Computer lösen keine Bildungsprobleme

18.09.2002
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Alexandra Mesmer war bis Juli 2021 Redakteurin der Computerwoche, danach wechselte sie zu dem IT-Dienstleister MaibornWolff, wo sie derzeit als Head of Communications arbeitet.
Hunderte von Millionen Euro steckten Bund, Länder und Unternehmen in die Computer- und Internet-Ausstattung der Schulen. Doch die Frage, ob der IT-Einsatz Schülern hilft, effektiver zu lernen, bleibt unbeantwortet.

„Alle Schulen in Deutschland am Netz!“ Diesen Erfolg meldeten im Oktober 2001 Bundesbildungsministerium (Bmbf) und die Telekom, nachdem in Berlin die letzte der allgemeinbildenden Schulen ans Internet angeschlossen wurde. Nun sind 35000 von 38000 Schulen am Netz, die übrigen nahmen das Gratis-Angebot nicht an.

Über 80 Millionen Euro investierten Telekom und Bmbf in die Initiative „Schulen ans Netz“, seit sie diese 1996 ins Leben riefen. Damals hatten gerade 800 Schulen einen Internet-Zugang. „Das Internet im Schulalltag zu verankern“ war das große Ziel der Initiative, die sich heute darauf konzentriert, Lehrer durch Portale wie www.lehrer-online.de oder www.leanet.de (speziell für Frauen) zu unterstützen.

Technik im Schulalltag vergessen?

Auch wenn alle Schulen technisch in der Lage sind, das Internet zu nutzen, ist das Netz im Unterricht nicht so verankert wie gewünscht: Das liegt auch an der technischen Ausstattung, die vielerorts nicht optimal ist. Laut Bmbf befinden sich 684 968 Computer an 29 588 Schulen, wobei in weiterführenden Schulen ein PC auf durchschnittlich 17 Schüler kommt. Nur 58 Prozent der Geräte sind ans Internet angeschlossen und fast die Hälfte so alt, dass sie nicht multimediafähig sind.

Computerräume fristen mancherorts ein Dasein wie die Sprachlabors der 70er und 80er Jahre: Technik zwar vorhanden, aber im Schulalltag vergessen. Viele Lehrer empfinden die Integration des Internet als zu mühsam. „Wenn 17 Rechner gleichzeitig über eine ISDN-Leitung auf das Netz zugreifen, sind die Ladezeiten einfach zu lang“, beschwert sich ein Münchner Lehrer. 77 Prozent aller Schulen arbeiten noch mit ISDN-Anbindung. Das Internet betrachtet er wie viele Kollegen mit zwiespältigen Gefühlen: Zwar bietet es neue Quellen der Information, aber die Pädagogen müssen ihren Schülern den richtigen Umgang mit dem Netz erst vermitteln.

Kritikfähigkeit gefragt

Es gilt, deren „Internet-Gläubigkeit“ durch die genaue Analyse ausgewählter Seiten zu erschüttern. Zudem müssen Lehrer ihre Schüler viel schärfer kontrollieren. „Bei der Web-Recherche zum Thema Nibelungenlied dauerte es keine zehn Minuten, bis die ersten auf rechtsradikalen Seiten gelandet waren“, so die Erfahrung des Münchner Deutschlehrers. Andernorts ist die Computernutzung ein schlichtes Platzproblem. „20 gespendete PCs konnten wir nicht aufbauen, weil wir 600 Schüler statt der geplanten 400 unterbringen müssen und keinen freien Raum mehr haben“, erklärt Franz-Michael Baumann, Lehrer an der städtischen Realschule Nettetal in Nordrhein-Westfalen. Der einzige PC-Raum ist so belegt mit Informatikkursen, dass es wenig Chancen gibt, ihn für andere Fächer zu nutzen.

Für Schulen in sozialen Brennpunkten stehen dem PC-Einsatz ganz andere Hindernisse im Weg. Es gibt Klassen, in denen Kinder weder Deutsch noch die Muttersprache ihrer Eltern fehlerfrei beherrschen. Dazu kommen motorische Schreibprobleme, bei denen kein Computer helfen kann, so die Erfahrung einer Lehrerin an einer Hamburger Gesamtschule.

Angesichts der heterogenen Bildungslandschaft in Deutschland ist sich auch die Initiative D21 bewusst, dass IT in der Schule erst am Anfang steht. „Die Frage der Standardisierung der Systeme ist ebenso wenig gelöst wie die der Wartung: Bislang gibt es dafür zwar in vielen Bundesländern Geld aus den staatlichen Töpfen. Aber die meisten Landesinitiativen sind zeitlich begrenzt. Danach müssen die jeweiligen Träger der Schule - in der Regel Städte und Gemeinden - für die Kosten aufkommen“, beschreibt Monika Danner, Bildungsexpertin der Initiative D21 das Problem. Angesichts der zu erwartenden Support-Kosten sind künftige Konflikte schon programmiert. In den vergangenen Jahren unterstützte die Industrie die Schulen durchaus. IT-Hersteller wie Microsoft, IBM, HP, Cisco oder Intel, alle Mitglieder der Initiative D21, haben Millionen von Euro in Hardware, Software und Schulungen für Lehrer und Schüler investiert.

Vielversprechende Projekte

Allerdings ist zu erwarten, dass dieses Engagement in wirtschaftlich schwierigen Zeiten abnimmt. Außerdem betrachten die Firmen Bildungssponsoring auch als Investition in eigener Sache. Wer heute Schulen kostenlos mit Computern ausstattet oder dort die eigene Software verbreitet, hofft auf das Geschäft von morgen. So auch Sun Microsystems: Der Softwarehersteller hat Anfang September die ersten Schulen in Paderborn mit Ultra Thin Clients ausgestattet. Insgesamt 3,5 Millionen Euro macht die Stadt locker für das Projekt „Lernstatt Paderborn“, das bis Mitte 2003 etwa 1600 wartungsarme Thin Clients und 100 Server in den Schulen installieren sowie alle 45 Schulen der Stadt vernetzen will.