PCs in der Schule - eine Zwischenbilanz

Computer lösen keine Bildungsprobleme

20.09.2002
Hunderte von Millionen Euro steckten Bund, Länder und Unternehmen in die Computer- und Internet-Ausstattung der Schulen. Doch die Frage, ob der IT-Einsatz Schülern hilft, effektiver zu lernen, bleibt unbeantwortet. CW-Bericht, Alexandra Mesmer, Ingrid Weidner und Bettina Wirth

"Alle Schulen in Deutschland am Netz!" Diesen Erfolg meldeten im Oktober 2001 Bundesbildungsministerium (Bmbf) und die Telekom, nachdem in Berlin die letzte der allgemeinbildenden Schulen ans Internet angeschlossen wurde. Nun sind 35000 von 38000 Schulen am Netz, die übrigen nahmen das Gratis-Angebot nicht an.

Über 80 Millionen Euro investierten Telekom und Bmbf in die Initiative "Schulen ans Netz", seit sie diese 1996 ins Leben riefen. Damals hatten gerade 800 Schulen einen Internet-Zugang. "Das Internet im Schulalltag zu verankern" war das große Ziel der Initiative, die sich heute darauf konzentriert, Lehrer durch Portale wie www.lehrer-online.de oder www.leanet.de (speziell für Frauen) zu unterstützen.

Technik im Schulalltag vergessen?

Auch wenn alle Schulen technisch in der Lage sind, das Internet zu nutzen, ist das Netz im Unterricht nicht so verankert wie gewünscht: Das liegt auch an der technischen Ausstattung, die vielerorts nicht optimal ist. Laut Bmbf befinden sich 684968 Computer an 29588 Schulen, wobei in weiterführenden Schulen ein PC auf durchschnittlich 17 Schüler kommt. Nur 58 Prozent der Geräte sind ans Internet angeschlossen und fast die Hälfte so alt, dass sie nicht multimediafähig sind.

Computerräume fristen mancherorts ein Dasein wie die Sprachlabors der 70er und 80er Jahre: Technik zwar vorhanden, aber im Schulalltag vergessen. Viele Lehrer empfinden die Integration des Internet als zu mühsam. "Wenn 17 Rechner gleichzeitig über eine ISDN-Leitung auf das Netz zugreifen, sind die Ladezeiten einfach zu lang", beschwert sich ein Münchner Lehrer. 77 Prozent aller Schulen arbeiten noch mit ISDN-Anbindung. Das Internet betrachtet er wie viele Kollegen mit zwiespältigen Gefühlen: Zwar bietet es neue Quellen der Information, aber die Pädagogen müssen ihren Schülern den richtigen Umgang mit dem Netz erst vermitteln.

Kritikfähigkeit gefragt

Es gilt, deren "Internet-Gläubigkeit" durch die genaue Analyse ausgewählter Seiten zu erschüttern. Zudem müssen Lehrer ihre Schüler viel schärfer kontrollieren. "Bei der Web-Recherche zum Thema Nibelungenlied dauerte es keine zehn Minuten, bis die ersten auf rechtsradikalen Seiten gelandet waren", so die Erfahrung des Münchner Deutschlehrers.

Andernorts ist die Computernutzung ein schlichtes Platzproblem. "20 gespendete PCs konnten wir nicht aufbauen, weil wir 600 Schüler statt der geplanten 400 unterbringen müssen und keinen freien Raum mehr haben", erklärt Franz-Michael Baumann, Lehrer an der städtischen Realschule Nettetal in Nordrhein-Westfalen. Der einzige PC-Raum ist so belegt mit Informatikkursen, dass es wenig Chancen gibt, ihn für andere Fächer zu nutzen.

Für Schulen in sozialen Brennpunkten stehen dem PC-Einsatz ganz andere Hindernisse im Weg. Es gibt Klassen, in denen Kinder weder Deutsch noch die Muttersprache ihrer Eltern fehlerfrei beherrschen. Dazu kommen motorische Schreibprobleme, bei denen kein Computer helfen kann, so die Erfahrung einer Lehrerin an einer Hamburger Gesamtschule.

Angesichts der heterogenen Bildungslandschaft in Deutschland ist sich auch die Initiative D21 bewusst, dass IT in der Schule erst am Anfang steht. "Die Frage der Standardisierung der Systeme ist ebenso wenig gelöst wie die der Wartung: Bislang gibt es dafür zwar in vielen Bundesländern Geld aus den staatlichen Töpfen. Aber die meisten Landesinitiativen sind zeitlich begrenzt. Danach müssen die jeweiligen Träger der Schule - in der Regel Städte und Gemeinden - für die Kosten aufkommen", beschreibt Monika Danner, Bildungsexpertin der Initiative D21 das Problem. Angesichts der zu erwartenden Support-Kosten sind künftige Konflikte schon programmiert (siehe Artikel "Lehrer sind eine schwierige Klientel").

In den vergangenen Jahren unterstützte die Industrie die Schulen durchaus. IT-Hersteller wie Microsoft, IBM, HP, Cisco oder Intel, alle Mitglieder der Initiative D21, haben Millionen von Euro in Hardware, Software und Schulungen für Lehrer und Schüler investiert (siehe Kasten "Geld für IT in der Schule").

Vielversprechende Projekte

Allerdings ist zu erwarten, dass dieses Engagement in wirtschaftlich schwierigen Zeiten abnimmt. Außerdem betrachten die Firmen Bildungssponsoring auch als Investition in eigener Sache. Wer heute Schulen kostenlos mit Computern ausstattet oder dort die eigene Software verbreitet, hofft auf das Geschäft von morgen. So auch Sun Microsystems: Der Softwarehersteller hat Anfang September die ersten Schulen in Paderborn mit Ultra Thin Clients ausgestattet. Insgesamt 3,5 Millionen Euro macht die Stadt locker für das Projekt "Lernstatt Paderborn", das bis Mitte 2003 etwa 1600 wartungsarme Thin Clients und 100 Server in den Schulen installieren sowie alle 45 Schulen der Stadt vernetzen will.

"Wir adressieren mit dem Thin-Client-Projekt rund 48000 allgemein- und berufsbildende Schulen, 800000 Lehrer und zwölf Millionen Schüler in Deutschland." Ute Hesenius, Sun-Vertriebsleiterin Forschung und Lehre für Deutschland und Österreich, zeichnet ein positives Bild. Sie hat hochgerechnet, was in die Schulen investiert werden müsste, wenn die heutigen Vorstellungen von Computern in jedem Lehrer- und Klassenzimmer realisiert würden. Für diese Anschaffungen wäre bis 2005 ein Investitionsvolumen von fünf Milliarden Euro notwendig. Selbst wenn nur ein Bruchteil davon investiert würde und Sun im Gespräch bliebe, hätte sich das Engagement bereits gelohnt.

Es kommt auf die Lehrer an

Ob sich die Investitionen für die Schüler in jedem Fall auszahlen, ist allerdings fraglich. "Es kommt auf den einzelnen Lehrer an." Diese Binsenweisheit trifft besonders auf den sinnvollen Einsatz der neuen Medien im Unterricht zu. Ein mögliches Nadelöhr bleibt die Lehrerfortbildung. Selbst wenn die Schulrechner die neueste Software und eine schnelle Internet-Anbindung bieten, müssen die Pädagogen damit umgehen können.

Intel startete im Jahr 2000 mit Microsoft eine weltweite Kampagne zur Lehrerweiterbildung. Die deutsche Version erarbeitete die Akademie für Lehrerfortbildung und Personalführung in Dillingen in enger Zusammenarbeit mit den Kultusministerien der Länder. Mit dem Programm "Intel - Lehren für die Zukunft" wurden bisher bundesweit 130000 Lehrkräfte fortgebildet, die ihr Know-how an Kollegen weitergeben sollen. "Die Lehrer lernen, Word zu bedienen, eine Powerpoint-Präsentation zu erstellen und das im Unterricht einzusetzen", sagt Christian Lenz, Bereichsleiter Neue Medien am Institut für Lehrerfortbildung in Hamburg.

Gegen eine Schutzgebühr von 25 Euro erhalten die Lehrkräfte ein Handbuch und das komplette Microsoft Office-Paket. "Das Intel-Programm bietet keine Antworten auf didaktische Fragen, sondern vermittelt nur Anwenderkenntnisse", kritisiert Dieter Spanhel, Professor für Erziehungswissenschaft an der Uni Nürnberg-Erlangen. "Damit kann man allenfalls neue Kunden für die eigenen Produkte gewinnen." Auch für Lenz beschränkt sich das vermittelte Wissen auf Anwenderkenntnisse. Das Beherrschen der Technik führe nicht automatisch dazu, dass Lehrer sie auch fachdidaktisch einsetzen. "Die jetzige Unterrichtsform steht auf dem Prüfstand," ergänzt Lenz.

Politiker und Unternehmer sprechen gern von der geforderten Medienkompetenz bei Schülern und Studierenden, doch in der Lehrerausbildung stehen diese Anforderungen selten auf dem Stundenplan. Fehlende didaktische Konzepte und neu aufbereitete Inhalte stellen die größte Hürde dar.

Medienkompetenz notwendig

Gehören multimediale Unterrichtsformen nicht zu den Steckenpferden eines Professors, lernen die angehenden Lehrer keine neuen didaktischen Konzepte kennen. "Eine fundierte medienpädagogische Lehrerausbildung fehlt", so Spanhel. Wilfried Henricks, Erziehungswissenschaftler an der TU Berlin, fordert: "Lehrpläne müssen geändert und überarbeitet werden. Wir brauchen viel mehr Lernsoftware."

Während etwa das Bayerische Kultusministerium auf die Intel-Initiative setzt und stolz auf seine 160000 Rechnerarbeitsplätze in den Schulen verweist, findet die didaktische Qualifizierung in der Lehrerausbildung nur vereinzelt statt. "Im Referendariat bildet der Einsatz von Computern im Unterricht einen festen Bestandteil der Ausbildung," erklärt Peter Brendel vom Bayerischen Kultusministerium. "Außerdem erwarten wir von unseren Lehrkräften, dass sie sich selbst fortbilden."

Für Erziehungswissenschaftler Spanhel sind diese Beteuerungen fromme Wünsche: "Offiziell gibt es überhaupt nichts. Die Lehrkräfte werden allein gelassen. Bayern hat rund 30 Millionen Euro für die Computerausstattung ausgegeben. Ich habe Frau Hohlmaier vorgeschlagen, mir davon 2,5 Millionen Euro für ein neues Institut für Medienkompetenz zu geben und ein Konzept beigefügt. Die Ministerin hat sich nicht einmal die Mühe gemacht, meinen Brief zu beantworten. Das Kultusministerium möchte hier keinen Euro investieren."

Brauchen Kinder Computer?

In den Augen des amerikanischen Autors Clifford Stoll sind Investitionen in Computer überflüssig, weil sie nichts in der Schule zu suchen haben. In seinem Buch "Logout" plädiert er provokant für computerfreie Klassenzimmer, da bunte Bilder weder die intellektuellen Fähigkeiten noch die Konzentration der Kinder fördern. Sie verschlingen Unsummen, die sich sinnvoller in Lehrbücher und Unterrichtsmaterialien investieren ließen. Viele Pädagogen hierzulande befürworten einen dosierten Medieneinsatz. "Sie können Internet und neue Lernformen in der Schule nicht aussperren," argumentiert Hendricks "Der PC gehört längst zum Alltag der Kinder."

Empirische Ergebnisse über mangelnde Konzentrationsfähigkeit ließen sich nicht nachweisen. Kinder und Erwachsene müssten dagegen gleichermaßen lernen, kritisch mit dem Medium Internet umzugehen, so Hendricks: "Schüler wie Lehrer müssen lernen, seriöse von unseriösen Nachrichten zu unterscheiden."

Als große Chance der Neuen Medien sehen Experten eine Demokratisierung der Schule. Lehrer besitzen nicht länger ein Wissensmonopol, denn Schüler können selbständig fast alle Inhalte recherchieren und überprüfen. Eine mögliche Gefahr beschreibt Professor Hendricks: "Schüler tun sich beim selbständigen und selbstorganisierten Lernen oft schwer. Die Lücke zwischen leistungsschwachen und -fähigen Schülern wird möglicherweise größer." Allerdings ist vielen klar, dass Initiativen wie "Schulen ans Netz" nur den Anfang darstellen. Ob die Entwicklung neue Stundenpläne und mehr Freiraum für Projektarbeiten oder Ganztagsschulen bringt, wird vermutlich eine Frage der Finanzierung sein und weniger eine der Didaktik.

Medienkompetenz

Neben der technischen Kompetenz im Umgang mit Computern und den gängigen Softwareprogrammen, gehört die verantwortliche Nutzung des Internet als Informationsquelle dazu. Schüler sollen in der Lage sein, Inhalte kritisch zu beurteilen und auf ihren Wahrheitsgehalt zu überprüfen. Außerdem sollten sie aus der Fülle des im Netz angebotenen Materials die richtigen Antworten auswählen, um die gestellten Frage zu klären. Dazu gehört auch die professionelle Nutzung von digitalen Werkzeugen.

"Die neuen Technologien verhindern das eigentliche Lernen nicht", erklärt Jutta Maybaum-Fuhrmann, Arbeitsbereichsleiterin beim nordrhein-westfälischen Landesinstitut für Schule und Weiterbildung in Düsseldorf. "Es geht nicht darum, den Umgang mit Powerpoint zu lernen, sondern beispielsweise die Erfahrungen einer Klassenreise zu präsentieren. Auf diese Weise wird Medienkompetenz vermittelt."

Geld für IT in der Schule

So föderal das deutsche Bildungswesen organisiert ist, so unterschiedlich ist die finanzielle Unterstützung in den Bundesländern. Außer dem Bundesbildungsministerium, das von 2000 bis 2004 mehr als 700 Millionen Euro für den Bereich IT in der Schule bereit stellt und insbesondere die Entwicklung von Lernsoftware fördert, engagieren sich auch die Bundesländer. Hier ausgewählte Beispiele:

- Bayern: Die im Jahr 2000gestartete Hightech-Offensive stellt bis 2002 rund 24,5 Millionen Euro für die Iuk-Ausstattung an den Schulen als Anschubfinanzierung zur Verfügung.

- Brandenburg: Die Landesinitiative m.a.u.s. investierte zusammen mit den Schulträgern von 2000 bis 2002 21,5 Millionen Euro in Neue Medien an den Schulen. Mittlerweile sind 6500 Lehrkräfte entsprechend fortgebildet.

- Hamburg: Schwerpunkt der Landesinitiative "Lernen mit neuen Medien", die bis 2003 insgesamt 16,3 Millionen Euro investiert, sind die Einrichtung von Medienecken in Klassenzimmern sowie die Ausstattung von Computerräumen mit multimediafähigen PCs.

- Hessen: Bis zum Jahr 2003 stehen im Rahmen der Landesinitiative "Schule@Zukunft" 15 Millionen Euro zur Verfügung, die Initiative kann mit weiteren zehn Millionen Euro bis 2005 verlängert werden. Im Zentrum stehen auch hier die bessere Computerausstattung, die stärkere Vernetzung der Schulen sowie die Qualifizierung der Lehrer in Sachen IT.

- Niedersachsen: Von 2001 bis 2003 stellt die Landesinitiative n-21 38 Millionen Euro zur Verfügung, vor allem für die Ausstattung von Klassen- und Lehrerzimmern mit Internet-fähigen Rechnern und die Entwicklung von Medienkonzepten.

- Nordrhein-Westfalen: Die Landesinitiative e-initiative.nrw will bis 2004 die Voraussetzungen schaffen, dass das Lernen mit neuen Medien zum Unterrichtsalltag wird. Schwerpunkte sind die PC-Ausstattung der Schulen, die Qualifizierung der Lehrer und die Entwicklung von Lernsoftware. 2001 wurden unter anderem 65 Millionen Mark in die Ausstattung der Schulen und 14 Millionen Mark in Software, Modelle für Technikwartung sowie Medienentwicklungsplanung gesteckt.

- Firmen: Aktiv waren in der Vergangenheit vor allem die großen IT-Hersteller wie IBM, Microsoft oder HP, die Hard- und Software im Wert von mehreren Millionen Euro spendeten. Intel engagiert sich vor allem in der Fortbildung von Lehrern, Cisco in der Qualifizierung von Schülern im Netzwerkbereich.

Abb: Schulen setzen auf Microsoft

Wie in der Wirtschaft so auch in der Schule: Die Betriebssysteme von Microsoft dominieren. Quelle: Bmbf