Auch für mittlere Unternehmen der Sprung nach vorn

Computer Integrated Manufacturing:Qualität statt Quantität

15.11.1985

Mit Professor August-Wilhelm Scheer sprach CW-Redakteur Wolf-Dietrich Lorenz

þDie Fabrik der Zukunft scheint so offensichtlich, daß über Wege dahin im allgemeinen wenig Gedanken verwendet werden. Ein Modell allerdings taucht zu diesem Sujet ebenso häufig wie ungeprüft auf: CIM. Ist das die einzige Chance oder nur ein modisches Schlagwort ?

Der ClM-Gedanke, also die Integration von Produktionsplanung und -steuerung mit der computergestützten Konstruktion und Fertigung wird für viele Unternehmungen zur Überlebensfrage werden. Derzeit werden die Produktzyklen immer kleiner, bei gleichzeitig erzwungener langfristiger Ersatzteilversorgung, der internationale Wettbewerbsdruck ebenso wie die Kundenwunschorientierung nehmen zu - dies alles erfordert eine hohe Flexibilität der Unternehmungen, die nur durch den CIM-Gedanken auf die Dauer realisiert werden kann.

þDas Kennzeichen des integrierten Systems, also CIM, ist das Zusammenwachsen von betriebswirtschaftlichen mit technischen Informationssystemen. Sie nannten bereits den internationalen Wettbewerbsdruck. Könnten Sie Marktzwänge, die diesen Vorgang bedingen, vielleicht noch etwas ausführlicher beschreiben ?

Zunächst steht ja im Vordergrund des CIM-Konzeptes die Integration der mehr technisch orientierten Datenverarbeitungsfunktionen, also CAD/CAM. Der nächste Schritt muß die Anbindung an die betriebswirtschaftlichen Steuerungsfunktionen der Produktionsplanung und -steuerung (PPS) erfüllen. Ein flexibles Fertigungssystem ist eben darauf angewiesen, die Aufträge aus der Auftragsfreigabe eines PPS-Systems zu bekommen. Umgekehrt ist ein PPS-System darauf angewiesen, die Stücklisteninformationen aus einem CAD-System zu bekommen. Die Komponenten PPS und CAD/CAM werden also zusammenwachsen müssen. Dieses ist international so, hat aber im Augenblick noch die Tendenz, auseinanderzudriften. CIM kann man noch nicht kaufen, da nur isolierte Komponenten verfügbar sind. Auch überwiegen bei den Verantwortlichen in den Unternehmungen häufig noch die Abteilungsinteressen. In Amerika dominiert bisher unter dem ClM-Gedanken eindeutig die Linie CAD/CAM. Allerdings: Auch hier ist schon ein Umdenken erkennbar.

þEine sogenannte Kundeninitiative in den USA, etwa bei General Motors mit dem MAP Modell, ist zu beobachten. Wie sieht es in Europa aus: Gibt es da nicht eine eher abwartende Haltung und welches sind die Unterschiede zwischen diesen beiden Kontinenten ?

Aufgrund der Historie haben die klassischen Anbieter von PPS-Systemen - dieses sind im wesentlichen die großen Hersteller von EDV-Systemen sowie große Softwarehäuser - erst spät damit begonnen, sich Kompetenz in dem Bereich der mehr technischen Informationssysteme zu verschaffen. Und auch umgekehrt: Die typischen Anbieter von technischen Informationssystemen sind hochspezialisierte Softwarehäuser mit Nischenanbietern von Hardware, die nur wenig Kompetenz im Bereich PPS besitzen.

Dieses bedeutet, daß das Zusammenwachsen von der Anbieterseite her außerordentlich schwierig ist. Übrigens ist das auf der Nachfrageseite ähnlich. Ein typischer Leiter eines EDV-Bereichs in einem Industriebetrieb ist mehr kaufmännisch orientiert und hat nur wenig Einblick in technische EDV-Systeme. Und umgekehrt: Der Leiter der Konstruktion der ein CAD-System auswählen möchte, hat nur wenig Verständnis für die Materialwirtschaft oder Zeitwirtschaft. Das heißt: Sowohl auf der Anbieter- als auch auf der Nachfrageseite sind zur Zeit die Entwicklungen noch getrennt. Am Beispiel General Motors sehen wir immer mehr daß große Unternehmungen den CIM-Gedanken aktiv aufnehmen und gerade in den Bereichen, wo Standardisierungsansätze fehlen - hier ist vor allem das Gebiet der Local Area Network (LAN) zu nennen - offensiv nach vorne preschen. Die Bedeutung des MAP-Konzeptes von General Motors liegt vor allem in der Vereinheitlichung. Es ist zu erwarten, daß MAP noch in diesem Jahr zu einem Industriestandard wird. Damit erfolgt ein starker Schub im Bereich der fertigungsnahen Automatisierung.

Der Unterschied zwischen USA und der Bundesrepublik, wenn man ihn überspitzt formuliert, besteht darin, daß der CIM-Gedanke im Prinzip der Mentalität der USA entgegengerichtet ist. In den USA herrscht der Gedanke vor, möglichst einfache Systeme mit einem geringen Integrationsgrad einzusetzen, während wir in Deutschland geneigt sind, perfekte Lösungen mit hohem Integrationsgrad zu entwickeln. Konkrete Anzeichen sprechen aber dafür, daß der CIM-Gedanke auch in den USA Platz greifen wird. Das Beispiel General Motors ist schon ein guter Ausgangspunkt. Nebenbei bemerkt, ist es auch typisch, wie General Motors den CIM-Gedanken realisiert. Man hat eine eigene Company gegründet, man baut ein eigenes Werk, um den hohen Automatisierungsgrad für das neue Automodell "Saturn" zu realisieren. Dieses ist ein Indiz dafür, daß es eben nicht möglich ist, in gewachsenen Organisationsstrukturen in einem Schritt ein solches Konzept zu realisieren. Man weicht aus und baut eine neue Fabrik auf der "grünen Wiese" - sogar mit neuen Aktien.

þBetrachten wir den Teil Betriebswirtschaft etwas näher. CIM steht im Spannungsfeld von PPS bis zur Bürokommunikation. Das Stichwort LAN ist gerade gefallen. Wo finden sich da Schwächen des integrierten Systems - etwa bei theoretischen Ansätzen ?

Schwächen sind weniger bei theoretischen Ansätzen zu finden - auch dort ist noch etwas zu tun - als vielmehr in der Tatsache, daß CIM zunächst ein Konzept ist und bisher wenige konkrete Realisierungsansätze bestehen. Dies gilt für die Softwaresysteme, es gilt aber auch für "Vorzeigeunternehmungen", die bereits durchgängig CIM realisiert haben.

Es wäre falsch, wenn man den Gedanken der totalen Integration überlasten und fordern würde, CIM als Gesamtpaket in Unternehmungen einzusetzen. Das funktioniert nicht: CIM kann man nur inkremental, also in kleinen Teilstücken, entwickeln.

þKönnte man überspitzt formulieren: CIM will die Fabrik integrieren ?

Die Grundphilosophie von CIM besteht in der Automatisierung aller Abläufe. Kurz gesagt, die "Factory of the Future" als vollautomatische Fabrik.

Ansätze außerhalb der Industrie können diesen Grundgedanken recht plastisch machen. Nehmen wir einmal eine hoch automatisierte Druckerei aus dem Bereich des Zeitungswesens. Hier ist es bereits heute möglich, daß der Redakteur am Bildschirm aus Nachrichtendiensten elektronisch übermittelte Informationen bekommt, diese lediglich noch redigiert, den Umbruch bereits am Bildschirm macht, Bilder einfügt, die elektronisch gespeichert sind, und nach Abschluß der Umbrucharbeit praktisch per Knopfdruck die Produktion auslöst, ohne daß noch manuelle Tätigkeiten wie Setzen oder ähnliches dazwischen geschaltet sind. Das heißt, wir haben eine automatisierte Kette zwischen der Kreativität des Redakteurs und dem fertigen Ausstoß der Produkte. So ähnlich können wir uns auch in anderen Bereichen die automatisierte Fabrik vorstellen: Am Anfang steht der kreative Prozeß des Konstrukteurs, alle anderen Funktionen - CAD/CAM bis zum Produktionsausstoß - sind automatisiert. Begleitende Abläufe aus der Betriebswirtschaft, wie Kostenrechnung, aber auch Planungsfunktionen, sind dann viel stärker an diesen straffen Ablauf gekettet. Somit müssen grundsätzliche strukturelle, organisatorische Änderungen in den Unternehmen stattfinden, um dieses ClM-Konzept zu realisieren.

þWie lassen sich Vorteile der stärkeren Integration bisher getrennter Funktionalbereiche beschreiben ?

Die Rationalisierungsvorteile liegen darin, daß durch die Straffung der Abläufe sogenannte tote Zeiten verringert werden. Wir wissen heute aus einer Vielzahl von empirischen Untersuchungen, daß sowohl im Bereich der Fertigung als auch im Bürobereich der überwiegende Anteil der Durchlaufzeiten, man spricht hier von Anteilen zwischen 70 bis 90 Prozent, aus Wartezeiten bestehen. Es ist demnach ein riesiges Reservoir zur Rationalisierung vorhanden. Dieses bedeutet nicht nur zeitliche Straffung, sondern natürlich auch Wirkung auf Arbeitsplätze und damit Wirkung auf die generellen Produktivitätsfortschritte.

þDas bedeutet auch teilweise Verlagerung von den Aufgaben der Verwaltung, also dem gemeinsamen Overhead, in den Bereich der Fachabteilung.

Man kann CIM nur realisieren, wenn man auch die notwendigen aufbau- und ablauforganisatorischen Konsequenzen zieht. Und dies bedeutet, daß die Arbeitsstruktur sich verändert. Wir kommen zu einer stärkeren Funktionsintegration und bilden die Arbeitsteilung, zumindest teilweise, wieder zurück. Damit wandern zum Beispiel Funktionen der Materialwirtschaft an den Konstruktionsarbeitsplatz. Der Konstrukteur muß fertigungsgerecht konstruieren: Teile der Arbeitsvorbereitung geschehen am Konstruktionsarbeitsplatz. Der Konstrukteur muß kostenbewußt konstruieren: Teile der Kostenrechnung, insbesondere der Kalkulation, wandern demnach an den Konstrukteursarbeitsplatz. Der Konstrukteur muß auch entsprechend den zeitlichen Vorgaben konstruieren, wie sie aus Lieferaufträgen gegeben sind. Also muß er in die Materialwirtschaft hineinsehen können um Fehlmengen oder Lagerbestände zu eruieren. Wir müssen in solchen Änderungen von Arbeitsplatzprofilen denken, wenn wir CIM realisieren wollen.

þDie Konsequenzen davon sind, daß überflüssige Mitarbeiter freigesetzt werden.

Man kann dies mit dem Schlagwort umschreiben, Qualität ersetzt Quantität. Wir werden einen quantitativen Abbau im Bereich der Fertigung, im Bereich der gesamten Produktion haben. Andererseits werden die Anforderungen aufgrund der Anreicherung der Tätigkeit wachsen. Eines der wesentlichen Hemmnisse für die schnelle Einführung des CIM-Konzeptes findet sich hier. Es fehlen zur Zeit noch die qualifizierten Mitarbeiter, die CIM-Konzepte planen können, also die nötige fachliche Kompetenz über betriebswirtschaftlich orientierte Planungsabläufe, konstruktionsorientierte Abläufe im Bereich CAD und gleichermaßen montage- und fertigungsorientierte Abläufe im Bereich CAM besitzen. Das gilt nicht nur für die Konzeption, sondern später auch für den Betrieb derartiger Systeme.

þDa kommt also der Höherqualifizierung ein enormer Stellenwert zu.

Dieses ist richtig, hier fühle ich mich als Universitätslehrer angesprochen. An den Universitäten sind wir den gleichen Weg der Arbeitsteilung, das heißt der höheren Spezialisierung gegangen, wie auch in der Industrie. Nun versuchen wir dieses Rad zurückzudrehen, indem wir stärker von Integration sprechen und damit eine weitere Qualifikation verlangen. Wir brauchen Ausbildungsgänge, in denen sowohl Kenntnisse in Planung und Steuerung als auch in Technik vermittelt werden.

þWer außer der Fachhochschule oder der Universität hätte die Verantwortung für diese Ausbildung noch zu tragen ? Gehören da auch die Hersteller in die Pflicht genommen ?

Die Aufgabenstellung ist nur bewältigt, wenn die angesprochenen Bereiche an einem Strang ziehen: Einmal die Universitäten und technischen Hochschulen, zum anderen

die Hersteller. Damit die Hersteller ihre Systeme einsetzen können, ist es erforderlich, daß sich zuvor die Abnehmer entsprechend qualifiziert haben. Drittens ist als weitere Säule die Industrie selbst zu sehen, die aus Rationalisierungszwang heraus solche Konzepte aufnehmen will. Wenn Sie meine persönliche Meinung wissen wollen, traue ich im Augenblick der Industrie bei der Ausbildung noch die größere Kompetenz zu.

þWerfen wir einen Blick auf die kommerzielle Datenverarbeitung. CIM als überlagerndes Konzept drängt die kommerzielle DV künftig in eine untergeordnete Bedeutung. Kann man das so sehen ?

Dies ist vielleicht etwas überspitzt formuliert, enthält aber einen richtigen Kern. Ich glaube, daß die vielen Overhead-Funktionen zur Verwaltung oder Koordination entfallen können, weil sie stärker mit den gestrafften Abläufen verbunden werden. Wir beobachten die Tendenz, auch insbesondere im Rahmen des CIM-Konzeptes, zu mehr dezentralisierten Einheiten. Denken Sie nur an Schlagworte wie flexible Fertigungssysteme, Fertigungsinseln, Bearbeitungszentren.

Dies bedeutet jeweils, daß wir kleinere überschaubare Einheiten bilden, mit weitgehend selbständiger Regelung. Damit entfallen Trivialkoordinationsfunktionen, wie wir sie bei Werkstattfertigung früher gehabt haben. Sie hat zu der hohen Komplexität, der Planung, zu hohen Durchlaufzeiten und den schlechten Informationsflüssen geführt. Andererseits ist es natürlich erforderlich, daß die dezentralen Systeme auch weiterhin koordiniert werden, allerdings in lockerer, globalerer Form. Wir brauchen andere Steuerfunktionen als bisher.

Die betriebswirtschaftlichen Funktionen oder kommerziellen Datenverarbeitungssysteme, wie die Finanzbuchhaltung, die Auftragsbearbeitung, werden in der Tat zunehmend automatisiert, aber dieses geschieht auch schon ohne Einsatz des CIM-Gedankens. Die Finanzbuchführung wird heute weitgehend aus vorgelagerten Systemen wie der Materialabrechnung, der Auftragssteuerung, des Einkaufes, der Lohnabrechnung bedient. Sie selbst führt so gut wie keine eigene Datenerfassung mehr durch.

þAndere Steuerungsfunktionen innerhalb der kommerziellen DV - da fällt mir das Stichwort DV/Org-Leiter ein. Wandelt sich dessen Bild ? Wandelt sich vielleicht auch das Bild des Managers of Information, sofern es den überhaupt gibt, hin zum Manager of CIM ?

Wenn man den CIM-Gedanken als tragendes Organisationsprinzip für eine Industrieunternehmung begreift, und ich bin davon überzeugt, daß dieses berechtigt ist, dann müssen sich natürlich auch die Informationssysteme und deren Steuerung diesem Gedanken anpassen, um nicht zu sagen unterordnen. Damit muß auch eine Gleichgewichtigkeit der Kompetenz innerhalb der Org/DV für technische und betriebswirtschaftliche EDV-Systeme bestehen, wie es zur Zeit noch nicht gegeben ist. Zur Zeit werden für technische Informationssysteme meistens von der Fachabteilung betreut, während für die kommerziellen Informationssysteme der Org/DV-Leiter zuständig ist. Dieses muß sich ändern. Wir werden stärker in Team-Organisationen denken müssen, stärker unsere Unternehmen objektbezogen gliedern und damit eine stärkere Konzentration oder Integration der Funktionen betonen. In diese Prozesse muß auch das Informationsmanagement eingebaut werden.

þWelche Möglichkeiten sehen Sie derzeit zur Realisierung von CIM, gibt es Beispiele, die "voll und rund" realisiert sind ?

Voll realisierte CIM-Beispiele gibt es meines Erachtens noch nicht. Es gibt Pilot-Unternehmungen, die sehr weit fortgeschritten sind in dem Bereich CAD/CAM; Beispiel für Deutschland ist etwa Messerschmitt-Bölkow-Blohm GmbH (MBB). Es gibt andererseits auch mittlere Unternehmen, die recht weit fortgeschritten sind. Meines Erachtens ist nämlich CIM kein Privileg für die Großunternehmen. Gerade aufgrund der organisatorischen Konsequenzen, die gezogen werden müssen, sind mittlere Unternehmen viel eher in der Lage, sich flexibel an neue Anforderungen anzupassen. Wenn man weiß, wie stark das Programm "Fertigungstechnik" der Bundesregierung gewirkt hat, kann man guter Erwartung sein, daß in den nächsten Jahren gerade auch mittlere Unternehmen große Sprünge nach vorne machen.

Nun aber zu den konkreten Möglichkeiten. CIM kann man nicht kaufen. CIM muß man langsam weiterentwickeln. Selbst wenn man es kaufen könnte, wäre es für Unternehmen nicht sofort einsetzbar, weil jedes Unternehmen seine Geschichte mitbringt und der CIM-Gedanke auch in die vorhandene Organisationsstruktur eigebettet werden muß. Dazu bieten sich mehrere Wege an. Zur Zeit besteht der erfolgversprechendste Weg darin, die möglicherweise getrennt angeschafften CAD/CAM-Systeme mit einem PPS-System zu bedienen. Beispielsweise ist der Mikrocomputer mit seiner Konzeption als offenes System eine gute Möglichkeit, über Einsatz von Fenstertechniken mehrere Systeme zu integrieren. Auch die Möglichkeit der Datenschnittstelle gewinnt wieder zunehmend an Bedeutung. Aus einem CAD-System lassen sich Daten der Stückliste automatisch in das PPS-System überstellen. Ich darf bei dieser Gelegenheit vielleicht einflechten, daß an meinem Institut ein Prototyp für ein CIM-Konzept entwickelt worden ist, indem wir ein marktgängiges CAD-System mit einem Standard-PPS-System und einem anschließenden CAM-System zur Robotersteuerung integriert haben. Es ist also möglich, mit auf dem Markt angebotenen Standard-Systemen ein solches "rundes" Konzept, wie Sie es vorhin bezeichnet haben, auch tatsächlich zu realisieren.

þWie sieht das Wunschbild aus ?

Das Wunschbild für ein EDV-integriertes CIM-Konzept besteht darin, daß wir eine einheitliche Datenbankphilosophie besitzen und daß alle EDV-Systeme im Bereich PPS und CAD/CAM untereinander auf der "Anwendung-zu-Anwendung-Ebene" vernetzt sind. Die Gegenwart sieht jedoch anders aus. Wir haben zum Beispiel unterschiedliche Datenbankphilosophien: Im Bereich PPS dominiert zur Zeit das Netzwerkmodell, im Bereich CAD haben wir teilweise Dateiverarbeitung, bei neueren Systemen sehen wir einen Trend zum Relationsmodell. Hier ist also noch ein großer Schub an Neuentwicklungen zu erwarten.

Worauf der Anwender achten sollte bei seinen konkreten Entscheidungen ist, keine Hardware-Insel anzuschaffen, sondern bei der Auswahl eines CAD-Systems auf die Vernetzbarkeit mit der kommerziellen Datenverarbeitung zu achten. Er muß sich klar werden über die langfristige Struktur seines Datenbanksystems also ob netzwerkorientiert oder relationalorientiert, und bei der Neuanschaffung schon in die richtige Richtung gehen, selbst wenn er diese Maßnahme nicht flächendeckend über das gesamte Unternehmen realisieren kann.

þCIM kann man nicht kaufen, aber Bestandteile von CIM muß man kaufen. Gibt es Möglichkeiten, gerade für mittlere Unternehmen, eine Unterstützung zu erhalten ?

Auf die Förderprogramme der Bundesregierung, wie sie durch die Projektträgerschaft des Kernforschungszentrums Karlsruhe ja gegeben sind, habe ich bereits hingewiesen. Es ist allerdings auch zu bemerken, daß wir durchgängig einen Trend zu Low-cost-Systemen besitzen. CAD-Systeme auf dem Arbeitsplatzcomputer werden ja bereits angeboten. Immer mehr Funktionen der großen CAD-Systeme wachsen in die Workstations, in die Mikrocomputer. Hohe Kosten sind in den nächsten Jahren also kein Argument mehr.

þDie Kosten sind kein Argument mehr. Wie sieht es aber mit der CIM-Akzeptanz des einzelnen Mitarbeiters aus ?

Nun, fangen wir doch "von oben" an. CIM kann man nur einsetzen, wenn die Unternehmensleitung diesen Gedanken voll aufnimmt. Also muß zunächst damit begonnen werden, die Unternehmensleitung selbst von dieser Philosophie zu überzeugen. Ich darf aufgrund meiner Erfahrungen - wobei diese auf eine Vielzahl von Vorträgen und Diskussionen mit Unternehmensleitungen bedeutender Unternehmungen sowie konkreten Beratungsprojekten zur Entwicklung von ClM-Einführungsstrategien in den letzten Jahren zurückgehen - sagen, daß es nicht schwer ist, die Unternehmensleitung von der grundsätzlichen Richtigkeit dieses Konzeptes zu überzeugen. Schwierigkeiten bestehen, wenn man anschließend in die traditionell gewachsenen, funktional gegliederten Bereiche einwirkt. Dort entsteht jeweils Unbehagen wegen der neu auf sie zukommenden Aufgaben. Man erwartet Schwierigkeiten in der Zusammenarbeit zwischen den Funktionen, so daß die Akzeptanz in diesen Bereichen wesentlich schwieriger zu erreichen ist. Auf der anderen Seite ist es aber wieder leichter möglich, die Informationsbereiche, also den EDV-Verantwortlichen, von der notwendigen Integration zu überzeugen, weil er sieht, daß in den Unternehmungen sonst neue Informationsinseln entstehen, die zu großen Schwierigkeiten führen. Beispielsweise wachsen bei einer Ankopplung von PPS an CAD/CAM im Bereich der Verwaltung der CNC-Informationen riesige Datenpools wie auch bei der Verwaltung der Zeichnungen des CAD-Systems und ebenso im Bereich der üblichen kommerziellen Datenverarbeitung.

Die vielfältigen Schnittstellen dieser drei Datenzentren erfordern ein Vielfaches mehr an Know-how zur Datenpflege sowie zur Einrichtung des entsprechenden Sicherheitssystems, als wenn man sie integrieren würde. Insofern ist der EDV-Bereich ein Verbündeter des CIM-Gedankens.

þDie letzte Frage, Herr Professor Scheer: CIM kontra Taylor ?

Dieses Statement ist richtig. Im Rahmen des Taylorismus haben wir Arbeitsgänge zerschnitten, um die Vorteile der höheren Spezialisierung auszunutzen.

Lange Durchlaufzeiten waren die Folge, weil wir eben Informationen und Werkstücke von einem Arbeitsplatz zu einem nächsten transportieren müssen. Ausgedehnte Suchvorgänge müssen stattfinden, wenn zusammengehörende Teile eines Auftrages benötigt werden. Von diesem Gedanken wollen wir abrücken. Wir wollen Arbeitsabläufe wieder stärker in Einheiten zusammenfassen. Hierzu sind die technischen Voraussetzungen gegeben, etwa durch flexible Fertigungssysteme, Bearbeitungszentren etc., die bereits eine Integration von technischen Abläufen beinhalten. Wir müssen diese Entwicklung unterstützen durch die Anbindung des Informationssystems, so daß wir dann die Einheit von Fertigungsfluß, Bearbeitung und Informationsfluß erreichen.

Professor Dr. August-Wilhelm Scheer

ist Direktor des Instituts für Wirtschaftsinformatik an der Universität Saarbrücken.

Das Institut für Wirtschaftsinformatik (IWI) hat in den letzten Jahren für eine Reihe von Großunternehmen Konzeptionen zur Realisierung von Systemen zur Produktionsplanung und -steuerung unter besonderer Berücksichtigung des CIM-Konzeptes entwickelt. Projektpartner waren und sind u. a. Kraus-Maffei AG, Claas OHG, PWA, Villeroy & Boch sowie EDV-Hersteller. Das Institut für Wirtschaftsinformatik beschäftigt dazu rund 30 Mitarbeiter unterschiedlichster Ausbildungsdisziplin, um dem Integrationsanspruch des

CIM-Gedankens Rechnung zu tragen.