Erschüttern Milliardenklagen die PC-Industrie?

Compaqs Geständnis lässt PC-Branche zittern

10.03.2000
MÜNCHEN (CW) - Ein kleiner Fehler in einem Floppy-Controller-Chip könnte die gesamte PC-Branche in Schwierigkeiten bringen. Toshiba entzog sich im letzten Herbst durch die Zahlung einer Entschädigung von zwei Milliarden Dollar einem gerichtlichen Verfahren. Nun hat auch Compaq eingestanden, dass mindestens 1,7 Millionen Presario-PCs betroffen sind.

Als die Sammelklage in den USA im letzten Jahr für Schlagzeilen sorgte, sah es zunächst so aus, als wären nur Toshiba-Notebooks von dem Fehler betroffen. Nach Bekanntwerden des Vergleichs jedoch reichte die Anwaltsgruppe unter Führung von Wayne Reaud ähnlich lautende Klagen gegen die US-Hersteller Compaq, Hewlett-Packard, Packard Bell-NEC, E-Machines sowie die japanische NEC Corp. ein. Der Vorwurf: Die Anbieter sollen wissentlich Rechner mit fehlerhaften Diskettenlaufwerks-Controllern ausgeliefert haben.

Compaq bezeichnete die Klage zunächst als "grundlos und ohne Aussicht auf Erfolg". Im Gegensatz zu Toshiba wolle man einen Rechtsstreit ohne Rücksicht auf die Kosten ausfechten. Nach eingehenden Tests hat Compaq nun allerdings zugegeben, dass mindestens 1,7 Millionen Presario-Desktop-PCs mit fehlerhaften Controllern ausgestattet seien. In den USA wurde daraufhin eine nicht genannte Zahl von Kunden angeschrieben, gleichzeitig hat Compaq einen Software-Patch auf der US-Website bereitgestellt. Wie zuvor Toshiba und andere Unternehmen beteuert auch Compaq, dass der Fehler nur unter extrem seltenen Umständen zu Datenverlust führen könne - bisher sei nicht ein einziger solcher Fall bekannt geworden. Nach US-Recht ist es allerdings möglich, auch für mögliche zukünftige Schäden Forderungen einzuklagen.

Der Bug in den Floppy-Controller-Chips geht bis in die 70er Jahre zurück. Seit 1978 wurde der Chip "U 765" zunächst von NEC und später auch von Intel produziert. Nachdem der Fehler bereits Mitte der 80er Jahre ans Licht gekommen war, hat NEC seit 1987 die überarbeitete Variante "U 765B" produziert und seine Abnehmer informiert. Über Lizenzen und auch Kopien des Chipdesigns pflanzte sich der Bug aber offenbar bis in die 90er Jahre fort.

Compaq Deutschland sieht in der Sache derzeit keinerlei Handlungsbedarf. Nach Aussage von Unternehmenssprecher Herbert Wenk bestehe keine reale Gefahr von Datenverlust. Zu Spekulationen, dass alle 60 Millionen von Compaq im Lauf der Jahre verkauften PCs den Fehler aufweisen könnten, meinte Wenk: "Niemand kann derzeit ausschließen, dass ein Großteil aller jemals produzierten PCs betroffen ist."

Während große Unternehmen wie Compaq die nötige finanzielle Ausstattung für einen aufwendigen Rechtsstreit besitzen, könnten die Sammelklagen so manchen kleineren PC-Hersteller in den Ruin treiben. Immerhin vermochten die Anwälte der Kläger ihre Privatkasse durch den Sieg über Toshiba mit einem Honorar von 147,5 Millionen Dollar zu füllen.