Die Walldorfer wollen das Internet-Geschäft retten

Commerce One liefert SAP seine Marktplatz-Technik

23.06.2000
MÜNCHEN (gfh) - Das Konzept der SAP, möglichst alle Produkte im Alleingang zu entwickeln, ist am Online-Marktplatz gescheitert. Die dafür geschaffene Plattform geben die Walldorfer jetzt auf und ersetzen sie durch die Technik von Commerce One.

Bereits vor einem Jahr, als SAP im Rahmen von Mysap.com seine Marktplatz-Technik ankündigte, kämpfte das Unternehmen gegen Kritiker an, die behaupteten, SAP habe diesen Trend verschlafen. Damals konnte der drohende Gesichtsverlust abgewendet werden. Sechs Marktplätze wurden weltweit mit der Technik von Mysap.com aufgebaut. Dennoch gab es offensichtlich technische Probleme, die nicht zuletzt daher rührten, dass die Walldorfer entgegen aller anderslautenden Bekenntnisse versuchten, möglichst alles alleine zu machen. Derweil zog Konkurrent Oracle als Partner von Commerce One durch Prestige-Projekte wie den Marktplatz der Automobilgiganten Daimler-Chrysler, Ford und General Motors an SAP vorbei. Zudem hat sich kürzlich durch eine Allianz der IBM-Dienstleister mit der Business-to-Business-Company Ariba und dem Supply-Change-Management-Spezialisten I2 ein neues Konkurrenten-Team positioniert. Angesichts all diesen Aktivitäten wirkte SAP träge, und der Kurs der Aktien sackte in den vergangenen Monaten um vierzig Prozent ab. "Wir hatten gegenüber den Mitbewerbern ein Time-to-Market-Problem", beschönigt ein Sprecher von SAP Markets die Situation. Durch die Partnerschaft mit Commerce One könne es gelingen, im Geschäft mit Marktplätzen ganz vorne mitzuspielen. Kurz: SAP versucht, mit Hilfe des neuen Partners das Vertrauen der Börsianer und insbesondere der amerikanischen Kunden in die Innovationskraft der Walldorfer zurückzugewinnen. Hier hilft vor allem, dass Commerce One als die Nummer eins mit 33 Marktplätzen gilt. Technisch liegt der Reiz der Commerce-One-Allianz darin, dass es weit einfacher ist, Anwendungen über eine gemeinsame Infrastruktur zu integrieren als Applikationen direkt miteinander zu verknüpfen.

"Der Kurswechsel zeigt, dass SAP das Marktplatz-Geschäft einfach nicht versteht", bringt Harry Tse, Marktbeobachter der Yankee Group, die Skepsis einiger seiner Kollegen auf den Punkt. Andere Wallstreet-Analysten erkennen dagegen an, dass SAP endlich von seiner Do-it-yourself-Strategie abgerückt ist. Sie nehmen den Großauftrag des Lebensmittelkonzerns Nestlé als Zeichen des wiederkehrenden Vertrauens der Kunden in SAP. Ironischerweise haben die Schweizer für 230000 Nutzer unter anderem die Mysap.com-Technik erworben, die jetzt ausgemustert werden soll.

Teil der Partnerschaft ist nämlich die Entwicklung einer gemeinsamen Plattform, die im Wesentlichen auf der Technik von Commerce One beruht (siehe Kasten). Den Betreibern der sechs bereits laufenden und der sieben kurz vor dem Start stehenden Mysap.com-Marktplätze wird daher nahegelegt, auf das neue noch namenlose Produkt umzusteigen. Der Umstellungsaufwand für die Nutzer des Marktplatzes dürfte gering sein, da es sich um eine Server-Lösung handelt und die Hauptarbeit daher auf die Betreiber zukommt. Bei diesen handelt es sich in der Regel entweder um finanzkräftige Konzerne oder um Spezialisten, die von solchen Firmen gestützt werden, so dass sie sich den Umstieg leisten können.

Commerce One profitiert nicht nur von der Finanzspritze, zumal der Senkrechtstarter bei hoher Börsenbewertung bislang nur die für Internet-Startups typischen Verluste zu melden hat. Das Unternehmen ist mit Büromittel-Beschaffung via Internet groß geworden. Das Abkommen mit SAP ermöglicht Commerce One nun den Zugriff auf Supply-Chain-Management- und Business-Intelligence-Lösungen - Anwendungen, die tief in die Unternehmensabläufe eingreifen.

Konkret können die Kunden von Commerce One demnächst auch den Einkauf von Produktionsgütern organisieren. Hierbei muss aufwendig geplant werden - unter anderem weil bestehende Verträge mit Zulieferern und die Einbindung in die logistischen Abläufe von der Produktion bis zur Auslieferung zu berücksichtigen sind. Insofern ist es konsequent, wenn Commerce One im Rahmen der Partnerschaft statt der eigenen Lösung die Beschaffungslösung der SAP verwendet. Tatsächlich soll diese Kombination bereits lieferbar sein. Besonders attraktiv ist für Commerce One zudem die Chance, durch die Partnerschaft Zugang zur lukrativen SAP-Klientel zu erhalten.

Beide Partner legen Wert auf ihre Unabhängigkeit. So betont SAP Markets, die Lösung sei technisch so offen, dass Produkte Dritter eingebaut werden können. Umgekehrt will Commerce One auch weiter Geschäfte mit Oracle, dem Marktplatz-Partner Peoplesoft und anderen SAP-Wettbewerbern machen.

DIE ENTWICKLUNGS-ALLIANZSAP und Commerce One haben eine Vereinbarung getroffen, wonach beide eine gemeinsame Marktplatz-Plattform für den Einkauf entwickeln. Diese soll bereits in sechs Monaten auf den Markt kommen und von beiden vertrieben werden. Ein Marktplatz mit der Procurement-Lösung der SAP ist laut Commerce One schon jetzt zu haben. Technisch beruht die noch namenlose Entwicklung fast vollständig auf dem Produkt, mit dem Commerce One Weltmarktführer in diesem Bereich geworden ist. Besonders interessant ist für SAP die XML Transaction Engine. Auf dieser Plattform werden Services beider Firmen installiert. Commerce One kann mit Hilfe der SAP-Applikationen das eigene Funktionsspektrum um betriebswirtschaftlich bedeutende Anwendungen erweitern. Konkret sollen das Supply Chain Management und die Business-Intelligence-Software von SAP eingebaut werden. Für die Integration, die jetzt von 400 Fachleuten beider Firmen in Angriff genommen wird, zeichnet die von der SAP in Kalifornien gegründete Marktplatz-Tochter SAP Market verantwortlich. Teil der auf drei Jahre ausgelegten Partnerschaft ist auch eine Erhöhung der Beteiligung von SAP an Commerce One durch eine Finanzspritze von 250 Millionen Dollar. Damit wächst der Anteil der Walldorfer, die Commerce One bereits mit Venture Capital auf die Beine geholfen hatten, um rund zwei Prozent auf knapp vier Prozent. Der Vertrieb der neuen Software wird koordiniert und der Umsatz nach einem Schlüssel geteilt, über den sich die Partner ausschweigen.

Von SAP: Advanced Standard Opti-miser, Product Life Cycle Management, Business Information WarehouseVon SAP-Market: Business-to-Business-Procurement,Von Commerce One:Marktplatz-Infrastruktur mit Messaging und vor allem der XML Transaction Engine, Auktions-Software und Content-Management sowie die Common Business Library für die Integration der Services