Comet: Ein Produkt am Ende seines Life-Cycles

13.07.1990

Winfried Berger Geschäftsführer bei der Proteam GmbH, Bickenbach

Die Comet-Anwender machen zur Zeit ein Wechselbad der Gefühle durch. Dies nicht nur wegen der wirtschaftlichen Situation von Nixdorf, sondern weil die Anwender erkennen müssen, daß sie "End-of-life-cycle-Produkte" im Einsatz haben.

War die Zukunft dieser Produkte unter der zu Ende gehenden Ära Nixdorf schon ungewiß, so ist diese jetzt durch die neue Konstellation von einer Siemens-Nixdorf-Informationssysteme AG (SNI) gänzlich unbestimmt.

Die überwiegende Anzahl der Comet-Anwender sind kleine und mittelständische Betriebe. Sie beschäftigen nur selten ausgebildetes EDV-Personal. Ihre Entscheidung für die Nixdorf-Lösung ist meistens nur aufgrund der umfassenden und kostengünstigen Anwendungslösung von Comet gefallen.

Untersuchung und Bewertung der Hardware-Architektur und der Technologie sind in den seltensten Fällen durchgeführt worden. Wichtig war nur die einfache Bedienbarkeit der Hardware. Viele Anwender erkannten dabei nicht, daß die 8870-Serie ihnen nur sehr wenig Wachstumsmöglichkeiten bot.

Die Nixdorf AG selbst schuf eine völlig neue Situation für diese Anwender, indem sie sich voll auf Unix ausrichtete. Ein neues moderneres Comet (Alexander) auf Unix-Basis unter Nutzung einer höheren Programmiersprache und einer Datenbank wurde angekündigt. Doch mit der Realisierung dieses neuen Comet ist das Unternehmen in Verzug geraten.

Ebenso unklar war und ist das Hardwarekonzept für Unix. Dort stützt sich Nixdorf auf verschiedene Lieferanten, die unterschiedliche, nicht kompatible Systeme liefern (Intel, Motorola, Pyramid, Mips).

Kunden, die auf Targon umsteigen wollten oder mußten, bot Nixdorf eine Comet-Portierung mit X/Basic an. Die Probleme hierbei lagen anfangs in der mangelnden Performance. Heute bestehen sie darin, daß nicht alle Funktionen unter Unix nachgebildet werden können (IO-Makro).

Die Situation für die Anwender hat sich durch die mehrheitliche Aktienübernahme der Siemens AG und durch die beabsichtigte Gründung der SNI nicht verbessert. Dort muß nun über eine gemeinsame Unix. Hardware (Targon oder MX) entschieden werden. Fraglich ist auch, welche Standardsoftware weiterentwickelt werden soll (Siline oder Comet). Bis dahin sind Entwicklern und Anwendern bei Produktentscheidungen die Hände gebunden.

Nixdorf dürfte innerhalb von SNI mit seinen Produkten bezüglich des Fortbestandes und der Weiterentwicklung einen schweren Stand haben. So hat die Siemens AG den weitaus klareren Unix-Weg eingeschlagen und kann heute Programmkompatibilität von Sinix auf PC-Basis bis hin zur MX-Serie anbieten. Dies ist Nixdorf wegen der vielen unterschiedlichen Hardwarelieferanten und der unterschiedlichen Unix-Derivate nicht gelungen.

Das große Nixdorf-Plus, die vielen Comet-Installationen im Mittelstand, bedeutet für SNI nicht unbedingt ein Vorteil. Das Problem liegt darin, daß nicht nur das Design von Comet, sondern auch die 8870-Hardware technisch veraltet ist. Das Design ist bereits vor 15 Jahren aufgrund der damals vorliegenden Hardware- und Softwaretechnik erstellt worden (Program-Entwicklungsumgebung, Datenorganisation, Daten-Sicherheitskonzept).

Das neue Comet (Alexander) dagegen ist noch nicht vorhanden. Im Vergleich mit dem Standard-Produkt von Siemens (Siline) dürfte der

heutige Leistungsumfang von Comet größer sein. Vielleicht wird sich SNI deshalb für ein Comet-Unix auf Basis Sinix entscheiden.

Mittelfristig führt kein Weg an einer Neukonzeption von Comet vorbei, weil neue Konkurrenzprodukte mit Datenbankarchitekturen und höheren Programmiersprachen den Druck von außen noch verstärken werden. Die Wartungsproblematik von Programmen, die in der Programmiersprache Bussiness-Basic geschrieben ist, fällt hier sicherlich auch ins Gewicht.

Derweilen bieten die SNI-Mitbewerber Lösungen für die Comet-Anwender an. Dort sind Unix-Portierungen für die Comet- und Basic-Welt zu haben. Mit diesen Werkzeugen können die Anwender ihre Anwendungsprogramme und alle ihre Daten auf verschiedene Zielsysteme (HP, DEC, IBM) übertragen.

Die Programme sind in der neuen Umgebung ohne zusätzlichen Anpassungsaufwand ablauffähig. Die bekannte Oberfläche der Anwendungen bleibt ebenfalls erhalten, so daß der Anwender sich nicht umgewöhnen muß.

Ein Nachteil ist, daß weder das Lizenzrecht noch die Wartungsfrage bei der Portierung von Comet-Programmen geklärt sind. Fraglich bleibt, ob Nixdorf oder SNI Comet-Programme auf nicht SNI-Hardware warten werden. Eine Wartung durch Softwarehäuser kann sicherlich nicht zu ähnlich preisgünstigen Konditionen angeboten werden.

Ferner bleibt die Basic-Welt auch in der Unix-Umgebung eine Enklave (ähnlich VM-Basic auf der Nixdorf 8890) und der Datenaustausch zu anderen Unix-Anwendungen kann nur über Mechanismen ähnlich dem Filetransfer erfolgen. Ein Direktzugriff aus anderen Unix-Anwendungen, die beispielsweise in C oder in Cobol geschrieben sind, ist zur Zeit noch nicht möglich.

Für die Anwender bietet sich ein genereller Wechsel auf ein zukunftsträchtiges und modernes System, einschließlich einer entsprechenden Software, an. In diesem Fall muß der Anwender sich heute bereits für einen Schritt entscheiden, der ihm, wenn er bei SNI bleibt, scheibchenweise unterbreitet wird: erst Konvertierung auf Unix-Comet zur Nutzung neuer Hardwaremöglichkeiten (Hardware-Austausch) und dann Umstellung auf das neue Comet (Alexander) (Software-Austausch).

Sicherlich erscheint ein kompletter Wechsel für den Anwender auf den ersten Blick als der schmerzvollere Weg. Findet er jedoch eine Software, die seine heutigen und zukünftigen Belange abdeckt, so kann der Aufwand für eine solche Umstellung einigermaßen in Grenzen gehalten werden. Auch die bereits existierenden Daten auf dem Nixdorf-Computer können, soweit die organisatorische Struktur der neuen Software ähnlich ist, übernommen werden.

Ein genereller Wechsel sollte in jedem Falle erwogen werden. Auch bei dem weiteren Festhalten an Nixdorf läßt sich nämlich der Weg in eine neue Hardware- und Software-Umgebung nicht vermeiden.

Die Lösungen, die heute mit Comet konkurrieren, bieten wesentliche Vorteile. Diese liegen in den größeren Wachstumsmöglichkeiten innerhalb derselben Hardware-Architektur, der besseren PC-, CIM- und Büro- sowie Datenbankintegration, dem möglichen Anschluß an Netzwerke wie Ethernet und Token-Ring und einer modernen Entwicklungsumgebung - Punkte, die im Comet-8870-Umfeld nur schwierig zu lösen sind. Der so oft zitierte Kostenvorteil einer Comet-8870-Lösung schwindet schnell, wenn die genannten Themen im Unternehmen realisiert werden müssen.

Unter all diesen Gesichtspunkten macht heute eine weitere Investition in die 8870-Technologie keinen Sinn mehr, da abzusehen ist, daß diese Investitionen mittelfristig nochmals ersetzt werden müssen. Ähnliches gilt für Comet, da auch SNI nicht an einer Neuentwicklung dieser Applikation vorbeikommen wird.

Die Frage, die sich stellt: Wird SNI mit dieser Erkenntnis an die Öffentlichkeit gehen oder die Kunden mit dem Versprechen beruhigen, die 8870-Comet-Welt weiterhin zu erhalten. Fraglich erscheint, ob Siemens sich neben der BS2000- und der Sinix-Welt noch eine 8870-Niros-Welt leisten kann.

In einer ähnlichen Situation wie die 8870-Anwender befinden sich die "großen" Comet-Kunden, die eine 8890-Hardware einsetzen. Ihnen hatte Nixdorf weiteres Wachstum ihrer Hardware versprochen. Trotzdem hat sich Nixdorf aus diesem Markt zurückgezogen und die Anwender ohne Zukunftsperspektive zurückgelassen.

Auch hier ist SNI gefordert. Ob für diese Kunden ein Wechsel auf das Betriebssystem BS2000 eine sinnvolle Alternative darstellt, muß allerdings bezweifelt werden.