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Thema des Tages

Comdex: McNealy stellt der Software-Industrie den Totenschein aus

18.11.1999
Thema des Tages

LAS VEGAS (ciw) - Scott "Microsoftbasher" McNealy wurde seinem Ruf einmal mehr gerecht und ließ keine Gelegenheit aus, sich über die Gates-Company lustig zu machen. Die Gedanken, die er vor dem Keynote-Publikum der Comdex ausbreitete, waren zwar nicht unbedingt taufrisch, dafür aber sehr klar: Die Post-PC-Ära macht die Software-Industrie, wie wir sie kennen, überflüssig.

"Windows NT kann ganze Städte zerstören", mit dieser scherzhaften Warnung und einer daraufhin unter lautem Getöse zusammenbrechenden Styropor-Dekoration von Las Vegas eröffnete Scott McNealy seine Keynote in Las Vegas neuestem Hotel "Venetian". Die meisten der 8000 Leute waren gekommen, um den Sun-Chef Witze über Microsoft reißen zu hören. Dieses Mal nahm er sich dabei selbst auf den Arm ... "Wieder etwas von jemandem nicht ganz Erwachsenem". Doch McNealy beließ es nicht bei Microsoft-Häme - "Monopoly ist zur Zeit das beliebteste Spiel in dieser Stadt" -, auch den anderen Vorrednern warf er die Inhaltslosigkeit ihrer Keynotes vor. "Ich habe nichts so Großartiges anzukündigen wie ein neues Logo [wie Hewlett-Packard, Anm. d. Red.]", erklärte er feixend dem wiehernden Publikum.

Schade nur, daß sich McNealy anschließend inhaltlich kaum von seinen Vorrednern abhob. So prophezeite auch er - offenbar fragen sämtliche Keynote-Speaker die gleichen Analysten - den Siegeszug der Devices. "Alle Geräte mit einem elektronischen Herzen werden eine Verbindung zum Netz haben." Dann, so erklärte er für einen Moment todernst, müsse nach einem Flugzeugabsturz nicht mehr wochenlang nach einem Flugschreiber gesucht werden. Die Flugdaten würden wie in der Formel 1 per Telemetrie an sichere Server übertragen. Vielleicht ließen sich auf diese Weise katastrophale Abstürze sogar ganz verhindern. Allerdings mache diese schöne Device-Welt nur Sinn, wenn die Gerätschaften mit anderen Rechnern reden können. Die müssen natürlich von Sun Microsystems kommen: "Wir möchten doch nicht, daß sie mit irgendeiner kleinen unzuverlässigen NT-Box arbeiten, sondern mit einem skalierbaren Sun-Server unter Solaris".

Wer in den letzten Jahren die öffentlichen Aussagen von McNealy verfolgt hat, dem dürfte geläufig sein, daß er seine Company seit gut einem Jahr gerne als den Punkt in "Dot.com" beschreibt - als Lieferanten verläßlicher Server, die eine Internet-Verbindung genauso selbstverständlich und sicher herstellen wie es der Wählton des Telefons ist. "Wer kennt das Betriebssystem seines Handies, wer das seiner digitalen Kamera, mit der sie ans Internet angebunden ist? Keiner - weil es niemand zu wissen braucht." McNealy ist sicher, daß Smartphones, Set-top-Boxen und andere Geräte die wichtigsten Zugänge ins Internet darstellen werden. "Eine Set-top-Box kann mein anderthalbjähriger Sohn bedienen, in dem er den Fernseher einschaltet. NT beherrscht er noch nicht ganz."

In der Post-PC-Ära werde es keine Software-Industrie mehr geben, weder für Applikationen noch für Betriebssysteme - diese seien nämlich kostenlos zu haben. Die Menschen zahlten dann analog zum Telefon für die Services, die sie nutzten. Schließlich verkaufe ja auch E-Bay keine Auktionssoftware, sondern lebe von Auktionen. Amazon verdiene nicht an E-Commerce-Programmen, sondern am Verkauf von Produkten über das Netz. "In der Post-PC-Ära macht eine Software-Industrie keinen Sinn mehr, in der jedes fünfte verkaufte Programm dazu dient, das aus der Welt zu schaffen, was andere Applikationen angerichtet haben." Wer das allerdings nicht wolle, könne ruhig weiter Geld für Windows 2000 ausgeben und Microsoft beim Debugging helfen. McNealy erklärte die Microsoft-Applikationen für eine der größten Hürden auf dem Weg zum Network Computing. "Öffnen Sie noch Mails mit Word-, Powerpoint- oder Excel-Attachments? Die Dinger sind so groß, daß sie jedes Netz in die Knie zwingen."

Diese Vorrede sollte offenbar nur auf die dann folgenden Demonstrationen abheben. Zunächst demonstrierte McNealy, wie leicht und effizient es sich mit den bereits im vergangenen September angekündigten Thin Clients der "Sunray-1"-Serie arbeiten läßt. Jede Applikation residiere auf dem Server, dem Endanwender reiche zur Identifikation und Personalisierung seiner Website - und damit seiner Arbeitsumgebung - eine Smartcard. Selbst als McNealy den Stecker aus dem Client zog und ihn danach wieder mit dem Stromnetz verband, lief die Applikation - ein Video - weiter. "IT-Manager lieben das Ding", freute sich McNealy. Er mußte allerdings einräumen, daß der Einsatz dieser Maschinen nur in einem wirklich schnellen Netz, am besten schneller als 100 Mbit/s, Sinn macht.

Die nächste Demonstration brachte McNealy - wahrscheinlich ungewollt - in Microsoft-Nähe: Genauso wie Bill Gates (mit Ford) präsentierte er zusammen mit General Motors ein Fahrzeug ("Sedan 2000") mit Webanbindung - ein "Java-Browser auf Rädern". Wetterabfrage, E-Mail-Funktion und die Möglichkeit, Applikationen zu laden, glichen denen der Microsoft-Keynote wie ein Ei dem anderen. Mit einer Ausnahme: Der GM-Bühnenpartner erklärte, der Download von MP3-Musik sei erst ab dem nächsten Jahr möglich. (Bei Microsoft war der Ford schon mit per MP3 geladenen Lieblingsliedern des Präsentators von der Bühne gerollt). Diese Demonstration war für Sun, das sich mit aller Gewalt von Microsoft absetzen möchte, eher peinlich.

In der anschließenden Pressekonferenz gab sich der Sun-Boß dann sehr viel seriöser. Auf die Frage, was seiner Ansicht mit Microsoft nach dem Finding of Facts geschehen solle, erklärte er: "Wenn das Unternehmen nicht zerschlagen werden soll, muß Microsoft vier Regeln befolgen.

Sie müssen ihre Preisgestaltung transparent machen.

Sie dürfen keine exklusiven (Bundling-)Verträge mehr abschließen.

Sie müssen die APIs (Application Programming Interfaces = Programmierschnittstellen) für Office und Windows offenlegen, weil in diesen Bereichen ihr Monopol liegt.

Es muß sichergestellt werden, daß Microsoft nicht mehr sein Monopolgeld benutzen kann, um sich in andere Märkte einzukaufen.

Wenn sie diese Regeln beachten - fein. Wenn nicht, heißt es: Raus mit der Kettensäge."