Comdex Herbst '95/Visionen von IBM, Microsoft und Novell Keine Internet-Zukunft ohne gesellschaftlichen Konsens

24.11.1995

LAS VEGAS (gfh) - Unterschiedliche Vorstellungen von der Zukunft der Datenverarbeitung wurden in den Comdex-Hauptreden der Firmenchefs von IBM, Microsoft und Novell sichtbar. Einig waren sie sich lediglich darin, dass kuenftig nicht mehr die Anwendungsprogramme im Zentrum des Interesses stehen, sondern die Faehigkeiten zur Kommunikation in weltweiten Netzen.

Die verschiedenen Erwartungen zur kuenftigen PC-Verwendung waren bereits aus der Art des Vortrags abzulesen. So verzichtete IBM- Chef Lou Gerstner zugunsten einer frei vorgetragenen Rede auf jeglichen technischen Schnickschnack. Dementsprechend hielt er sich auch inhaltlich bei allen Internet- und PC-Bekenntnissen an althergebrachte Werte wie Sicherheit fuer die Unternehmensanwendungen und die mittlerweile auch in seinem Unternehmen etablierten offenen Standards.

Bill Gates bemuehte fuer seine Ansprache weniger rhetorische Faehigkeiten und bediente sich stattdessen vor allem bewaehrter Hollywood-Klischees. Er praesentierte ein Schmalzfilmchen, in dem ein futuristisch angehauchtes Windows von gewissenlosen Spekulanten benutzt wird, um ein Erholungszentrum in ein Einkaufszentrum umzuwandeln. Vereitelt wird dieser Plan durch eine ebenfalls Windows benutzende Heldin, die aufgrund der besseren Informationen aus dem Internet die negativen Folgen der Bauplaene fuer den Verkehr in der Kleinstadt via Computersimulation demonstriert. Die Moral: Microsoft verhilft dem Guten zum Sieg. Wie bei dem Film griff Gates auch technisch auf bewaehrte Vorbilder zurueck. Wenn er das Ende des dateienzentrierten PC-Einsatzes zugunsten von integrierten multimedialen Objektverbuenden propagiert, dann kann er sich dabei auf die Opendoc-Techniken von Apple, IBM und Co. berufen. Auch die Anwendungsumgebung von Taligent, bei der Dateien durch die am Alltag angelehnten Metaphern "People, Places and Things" ersetzt werden, koennte fuer die Funktionen "People, Projects, Tasks, Find and Tips" Pate gestanden haben (siehe Bild). Die Einbindung von Anwendungsmodulen ueber das Internet erinnert an Suns Java-Konzept. Glaubt man Gates, dann stellt er sich an die Spitze der Internet-Bewegung, von der einige Analysten behaupten, dass sie gerade wegen Interpreter- Techniken e la Java das Potential habe, dem Betriebssystem- und Anwendungsgeschaeft von Microsoft das Wasser abzugraben. Uneingeschraenktes Vertrauen in die Technik demonstrierte Novell- Chef Bob Frankenberg. Zum wiederholten Mal versprach er, mit Techniken rund um Nested Netware die Prognosen der Zukunftsforscher aus den 60er und 70er Jahren wahr zu machen. Danach wird man bald per Fernbedienung weltweit alle Buerogeraete, aber, so Frankenberg, auch das Auto und die Kaffeemaschine steuern. Anders als bei IBM und Microsoft spielt das Internet dabei jedoch nur eine Nebenrolle. Frankenberg plaediert fuer das Stromnetz als Transportmedium - eine Option, die inzwischen auch von Siemens ernsthaft in Erwaegung gezogen wird.

Neben dem Netzwerk gab es noch ein anderes gemeinsames Thema, das allerdings nur IBM-Chef Gerstner offen anzusprechen wagte. Nachdenklich plaedierte er dafuer, die Aengste vieler Menschen ernst zu nehmen, die befuerchten, in eine Orwell-Zukunft zu schlittern, in der prinzipiell jede Taetigkeit technisch beobachtbar ist. Auch greife das Internet empfindlich in die Souveraenitaet der Regierungen ein. Die via Netz weltweit verbreiteten Informationen, Anwendungen und Finanzen seien bislang von keinem nationalen Gesetz mehr zu kontrollieren. Nur im allgemeinen Konsens sei daher die Informationsgesellschaft herzustellen.

Bob Frankenberg, der sich in einer Spielszene seines Vortrags Cyber-Bob nennen laesst, tut derartige Bedenken als mangelhafte Kenntnisse ueber die moeglichen Sicherheitsmechanismen ab. Gates bevorzugt die Hollywood-Loesung, in der Hoffnung, dass die Guten schon siegen werden. Happy end.