Thema der Woche

Comdex '98: Der Anwender von morgen ist vernetzt und mobil

25.11.1998
Mit dem schon traditionellen Chaos öffnete die diesjährige Comdex/Fall in Las Vegas ihre Tore. Neben einer erdrückenden Vielfalt an digitalen Geräten standen Themen wie Home-Networking und Internet im Mittelpunkt. Highlights und professionelle Anwendungen waren jedoch Mangelware.

Schon vor zwei Jahren stöhnte Andy Marken, President von Marken Communications, man bräuchte bei einem Acht-Stunden-Tag vier Monate, um auf der Comdex alle wichtigen Produkte wenigstens kurz zu sehen. In diesem Jahr wäre dafür angesichts von 10000 Produktvorstellungen eher ein halbes Jahr anzusetzen gewesen. Zudem konnte Comdex-Veranstalter Softbank/Ziff Davis die Ausstellungsfläche samt der Zahl der Aussteller seither deutlich vergrößern.

Dennoch ist die für viele Besucher chaotische Mammutveranstaltung nicht immer lohnenswert - etwa wenn wichtige Anbieter wie Intel, Compaq, Dell oder Netscape diesmal fernblieben. Dementsprechend hat die Comdex trotz räumlicher Expansion schon seit einigen Jahren mit schwindenden Besucherzahlen zu kämpfen. Der Rückgang der internationalen Gäste von 48000 auf 36 000 in diesem Jahr deutet auch auf ein Nachlassen der ehemals weltweiten Bedeutung als Trendmesse hin. Hinzu kommt, daß die Hersteller aufgrund der horrenden Standpreise ihre Präsenz deutlich reduzieren und nur noch wie etwa IBM in Partnerständen beziehungsweise in einer der vielen Hotelsuiten außerhalb des Messegeländes zu finden sind.

Trotzdem wagen die meisten Hersteller es bisher nicht, ein Traditionsereignis zu ignorieren, bei dem sich nach wie vor mehr PC- und Softwarehändler versammeln als irgendwo anders in der Welt. Immer stärker steht dabei die Pflege persönlicher Kontakte im Vordergrund und nicht die Suche nach neuen Produkten. Zudem konnte die Herbst-Comdex ihre Funktion als Trendbarometer im PC-Geschäft behaupten.

SQL Server 7 kommt

Lösungen für die Unternehmens-DV bleiben hingegen Mangelware. Zu den wenigen Highlights der Messe zählte daher der offizielle Start von Microsofts langangekündigtem Release 7 des Datenbanksystems "SQL Server". Begeistert erzählte Vizechef Steve Ballmer am ersten Comdex-Tag von den zahlreichen Ver- besserungen, die seit SQL 6.5 vorgenommen worden seien (siehe Kasten "SQL Server 7" ). Bereits 300 Hersteller haben ihre Unterstützung angekündigt, und in 18 Monaten sollen über 3000 Anwendungen für die Datenbank erhältlich sein. Offizieller Verkaufsstart in Deutschland ist Januar 1999.

Mit Stolz verwies Ballmer auf den Zuspruch führender Anbieter betriebswirtschaftlicher Standardsoftware wie SAP, Baan und Peoplesoft, die die verbesserte Skalierbarkeit der neuen Version gegenüber dem bisherigen Release 6.5 lobten. Die Hersteller seien nach Benchmarks mit "Baan IV", SAP R/3 und "Peoplesoft" (Human Resources) zu dem Ergebnis gekommen, daß SQL Server 7 nun von 95 Prozent ihrer Kunden genutzt werden kann. Laut Günther Tolkmit, Senior Vice-President of Marketing bei SAP, haben fünf Kunden bereits R/3 auf SQL Server 7 portiert.

Lob gab es auch von den sechs US-amerikanischen Referenzanwendern, die alle von SQL Server 6.5 auf 7 migriert haben und das System seit Oktober nutzen. So hob Britt Mayo, IT-Direktor von Pennzoil, einem milliardenschweren Produzenten für Schmierstoffe und andere Erdölprodukte, die in der neuen Version gewachsene Leistungfähigkeit der Datenbank hervor. "Das System speichert bei uns derzeit über 400 GB an Daten, bearbeitet über 1000 Transaktionen pro Minute und schafft das Backup in einer statt wie bisher in fünf Stunden."

Besonders warb Ballmer auch für die integrierten Funktionen für Online Analytical Processing (Olap), die er sich durch die Ausführungen von Lyle Anderson, IT-Chef des Buchverlags Harper-Collins Publisher, bestätigen ließ. Der Verlag nutzt SQL Server 7 als Datenbank und Repository, das Extraktions-Tool "Datatracker" von Silvon sowie Excel am Frontend. "Wir haben momentan 200 GB in SQL Server geladen und wollen bis auf ein Terabyte ausbauen. Gegenüber Version 6.5 reduzierten sich die Antwortzeiten um die Hälfte, und die Performance stieg um das Doppelte."

Oracle schlägt zurück

Hatte der Tag Microsoft gehört, schlug am Abend die Stunde eines altbekannten Gates-Kritikers: Oracle-Chef Larry Ellison. In seiner Keynote warnte er in gewohnter Manier davor, Unternehmen mit immer mehr dezentralen NT-Servern zu überschwemmen. Der richtige Platz für die Daten seien im Zeichen von Intranet und Internet vielmehr wenige zentrale Rechner, die sich leichter verwalten und über einen Browser abrufen ließen. Für eine solche Aufgabe sei das hauseigene Datenbanksystem "Oracle 8i" dank eines leistungsstärkeren Dateisystems besser geeignet als die Konkurrenz von Microsoft. "Wer es schafft, den SQL Server 7 auch nur ein Hundertstel so schnell zu machen wie Oracle 8i, der bekommt von uns eine Million Dollar geschenkt", prahlte Ellison vor dem amüsierten Publikum. Heute betreiben von den zehn weltweit größten kommerziellen Web-Sites, darunter Amazon.com und E-Trade, neun ein Oracle-System und eine IBMs Datenbank "DB2".

Zugleich nutzte Ellison seinen Auftritt in Las Vegas, um für Oracles Server-Projekt "Raw Iron" zu werben. Ziel ist es, Intel-basierte Rechner mit einem für Oracle 8i optimierten 64-Bit-Betriebssystem-Kernel auszuliefern, der etwa von Linux oder "Sun Solaris" stammen könnte (siehe CW47/98, Seite 1). Dem Oracle-Chef zufolge verhandle man derzeit mit den Server-Produzenten Dell, Sun Microsystems, Compaq und Hewlett-Packard über die Möglichkeit, entsprechende Pakete aus Rechner, Betriebssystem sowie Oracle 8i zu schnüren.

Anwender auf der Comdex zeigten sich von Raw Iron wenig beeindruckt. Insbesondere Unternehmen, die Oracle-Datenbanken unter NT laufen haben, sahen keinen praktischen Nutzen in einer Migration. Aus den Reihen Microsofts wurde die Strategie Ellisons lediglich als eine weitere Alternative zu NT-basierten Servern kommentiert. Allerdings sei man sich klar darüber, daß Unternehmen künftig häufiger andere Server-Betriebssysteme wählen werden.

Die Comdex bildet neben Produktpräsentationen auch für zahlreiche Unternehmensbosse eine Plattform, um den Kunden ihre Visionen zu vermitteln. In diesem Jahr behandelten dabei eine Reihe von Rednern das Thema Internet. Von der digitalen Zukunft war etwa bei Xerox viel die Rede. Chief Operating Officer Rick Thoman und der Cheftechnologe des renommierten Xerox Palo Alto Research Center (Parc), John Seely Brown, versuchten dabei der Keynote-Zuhörerschaft zu erläutern, daß Xerox nicht länger nur eine "Document Company" sein, sondern künftig zur "Digital Document Company" avancieren wolle. Thoman beschrieb den digitalen, vernetzten Kopierer als "Portal" ins Internet, das zugleich als Repository für unzählige Dokumente dienen könnte.

Digitale Visionen und Internet

Aber es war vor allem Seely Brown, der das Publikum mit Einblicken in die digitale Zukunft faszinierte. Der Forscher zeigte etwa den Prototyp eines digitalen Papiers, das sich immer wieder aufs neue beschreiben läßt. Unter der Oberfläche des Mediums befinden sich zahllose Kügelchen, deren eine Hälfte weiß, die andere schwarz ist. Zum Schreiben dient ein spezieller Stift, dessen elektrisch geladene Spitze die schwarze Seite der Kugeln - normalerweise sieht er die weiße - zum Benutzer dreht. Ein weiteres Highlight der Demonstration war eine neuartige Benutzer-Schnittstelle, die vor allem für das Internet die digitale Navigation den menschlichen Sehgewohnheiten anpassen soll. Da viele wichtige Zusatzinformationen "aus dem Augenwinkel" aufgenommen werden, stellt der im Parc ersonnene "Hyperbolic Tree" ein Dokument stets umgeben von sinnverwandten Inhalten dar.

In den Reigen der Internet-Enthusiasten reihte sich auch John Sidgemore, Chief Operating Officer (COO) von MCI Worldcom, ein, der seine Version einer vernetzten Zukunft skizzierte. Für ihn bevölkern künftig "Silicon Cockroaches" (Silizium-Küchenschaben) die Welt. Gemeint sind intelligente Geräte, die miteinander und im Internet kommunizieren können. Diese Nachfolger heutiger Alltagsprodukte (etwa intelligente Telefone, Brillen, Faxe) sollen zum größten Wachstumsfaktor des Internet heranreifen.

Sidgemore erwartet, daß bereits im Jahr 2000 jeder Mensch fünf "Objekte" mit eigener IP-Adresse am Körper trägt. Die Netzinfrastruktur der Zukunft bestehe seiner Ansicht nach vor allem aus Glasfasernetzen mit einem IP-Framework. Optisches IP-Paket-Switching werde daher die Entwicklung der kommenden Jahre bestimmen.

Produktvielfalt ohne Grenzen

Neben diesen Zukunftsvisionen standen in diesem Jahr auf der Comdex Produkte für E-Commerce, Thin Clients, Handheld-Rechner, Mobile Computing, Acht-Wege-Intel-Server (siehe Seite 52), Flachbildschirme sowie Spracherkennung im Vordergrund. Im Bereich Home-Networking engagiert sich eine Reihe von Unternehmen. Sie wollen in einem Haushalt verteilte Rechner und sonstige netzfähige Geräte miteinander verbinden, indem herkömmliche Strom- und Telefonleitungen (Tut Systems, Epigram), aber auch drahtlose Lösungen angeboten werden (Lucent, Proxim, Gemtek, Diamond Multimedia, Sharewave). Epigram beispielsweise demonstrierte seinen neuen Chipsatz "Iline 10", mit dem sich über Telefonleitungen Daten mit bis zu 10 Mbit/s übertragen lassen. Lizenzpartner sind unter anderem 3Com, Netgear und Texas Instruments. Letzterer Hersteller will die Epigram-Logik in einen digitalen Signalprozessor für Kablemodems integrieren.

Viel gesprochen wurde in den Messenhallen über die Peripherie-Schnittstelle Universal Serial Bus (USB), die sich bislang mangels Software-Unterstützung auf dem Markt nicht durchsetzen konnte. Mit dem Erscheinen von Win- dows 98 sind aber die Weichen gestellt, und in Kürze sollen auch Windows CE und verschiedene Unix-Derivate, darunter Linux, den USB unterstützen. Hardwareseitig ist ebenfalls noch einiges zu tun: Abgesehen von Apples Designerrechner "I-Mac" setzt kaum ein PC strikt auf USB. Das dürfte nicht zuletzt daran liegen, daß derzeit erst rund 100 Peripheriegeräte für den neuen Standard auf dem Markt sind.

Nicht für alle gezeigten Peripheriegeräte ist USB der Anschluß der Wahl - wo es um große Datenmengen geht, etwa bei Video, ist Firewire alias IEEE 1394 die richtige Alternative. Die aktuellen Spezifikationen erlauben bereits Transferraten von bis zu 400 Mbit/s. Die einst von Apple entwickelte Technik hat nun Compaq erstmals serienmäßig im PC-Modell "Presario 5600" eingebaut und stellte es mangels eigenen Messestands bei Philips Semiconductor vor.

Erstmals fanden sich in diesem Jahr fast genauso viele Flachbildschirme wie herkömmliche Monitore - ein Hinweis darauf, daß die Flüssigkristall-Bildschirme auch preislich immer interessanter werden. Hersteller wie Acer mit "Acerview F51" oder Viewsonic mit seinem "Viewpanel VP150" offerieren mittlerweile 15-Zoll-Geräte mit erstaunlich guter Bildqualität für weniger als 900 Dollar. Wem das zu klein ist, der konnte bei NEC das "Multisync-LCD 2000" mit einer sichtbaren Diagonalen von 20,1 Zoll und einer maximalen Auflösung von 1280 x 1024 Bildpunkten bewundern.

Wie Pilze schossen auch die Lösungen für vorgefertigte Online-Shops aus dem Boden. Die meisten gleichen sich technisch wie ein Ei dem anderen. Stellvertretend sei der "Web Retailer" von Cyberoffice erwähnt. Das Produkt der 1997 gegründeten Startup-Company besteht aus einer "schlüsselfertigen" Lösung, die vor allem für kleine und mittlere Unternehmen konzipiert ist. Mittels intelligenter Assistenten lassen sich die Produkte ohne großen Zeitaufwand online stellen.

Ein weiterer Comdex-Trend ist die Neuentdeckung der kleinen und mittleren Betriebe. "Der Consumer-Markt ist nicht profitabel und der Markt für Großunternehmen bereits gesättigt", nennt Roger Kay vom Marktforschungsunternehmen International Data Corp. (IDC) einen der Gründe. Eine Rolle spielt aber auch, daß passende Web-Techniken und preisgünstige Software für diesen Bereich diese Kundenschicht ins Blickfeld gerückt haben. Das gilt insbesondere für kostenlose Produkte wie das Linux-Betriebssystem oder den Web-Server "Apache", auf deren Basis sich kostengünstige Komplettlösungen für die neue Zielgruppe konfigurieren lassen. Entsprechende Produkte wurden im neuen Linux-Pavillion vor allem von kleinen innovativen DV-Anbietern gezeigt.

Aber auch etablierte Unternehmen wie Novell und die IBM haben Produkte für kleinere Firmen vorgestellt. Ihnen geht es nicht zuletzt darum, sich in einem bislang von Microsoft mit dem "Back-Office"-Paket dominierten Bereich zu etablieren. Novell stellt dabei mit seinem "Netware für Small Businesses 4.2" den Lösungsgedanken in den Vordergrund. Anwender, die eine kaufmännische Lösung suchen, sollen vom Händler ein Paket erhalten, das dank Novell-Techniken auch über alle nötigen Netz-, Backup- und Administrations-Features verfügt. In den USA benutzt Novell die Buchhaltungssoftware "Quickbooks Pro 6.0" von Intuit als Zugpferd, für den deutschen Markt ist Sage/KHK als Partner im Gespräch (siehe Seite 45: "Novell lockt Kleinunternehmen").

Office-Paket für kleine Unternehmen

Wie sehr der Markt kleiner Mittelständler in der Hand von Microsoft liegt, zeigt, daß die IBM ihr Client-Server-Paket "Small Business Solution for Windows NT" zuerst für NT und erst danach für das eigene OS/2-Betriebssystem anbietet. Das Produkt ist nur eines von drei ähnlichen Paketen, die mit zum Teil anderen Komponenten auch die Abteilungsebene und die Großkunden-Bedürfnisse abdecken sollen. Die jetzt vorgestellte Software umfaßt Komponenten wie Fax (mit Techniken von Lansource Technologies), E-Mail, Terminplanung, kurz: Bürokommunikation auf Basis von "Domino" und "Notes" von Lotus, sowie die IBM-eigene Datenbank "DB2 Universal Database". In den USA wird ein Paket mit Server und fünf registrierten Benutzern für knapp 1000 Dollar zu haben sein..

SQL Server 7

Features:-Optimiertes Row-Level-Locking,-tiefere Integration von Windows-Anwendungen,-verbesserte Replikations-Features,-automatische Konfiguration, Speicheranpassung und Erzeugung von Systemdaten,-Extraktion aus unterschiedlichen Datenquellen mittels "Data Transaction Services",-integrierter Server für Online Analytical Processing (Olap),-Performance-Steigerung gegenüber SQL Server 6.5 (laut Referenzkunden),-Liefermöglichkeit als mobile Version mit maximal 5 MB Speicher,-Einstiegspreis: Fünf-User-Lizenz ab 1400 Dollar.