Volkswagen AG auf dem Weg zum aktenlosen Büro

COM - quer durch alle Abteilungen

16.01.1976

Hunderttausende von Computer-Druckseiten, Duplizierung aus Sicherheitsgründen, Archivierung konventionellen Schriftgutes, Rationalisierungsinstrument ausschließlich für Großbanken... so denkt vielleicht noch mancher über das Computer-Output-Microfilm-Verfahren (COM). Dabei hat sich doch vieles geändert: Immer mehr Unternehmen setzen den Mikrofilm für die verschiedensten Anwendungen ein, ohne dabei "nur" Massendaten zu verfilmen.

Bei der größten deutschen Automobilfabrik, der Volkswagen AG, Wolfsburg, ist eine COM-Anlage im Einsatz, über die Anwendungen aus nahezu allen Bereichen des Konzerns laufen. "In unserem Hause geht der Trend eindeutig dahin, noch mehr auf Mikrofilm zu bringen", berichtet Werner Morawietz, Organisator in der Abteilung Büroorganisation, "Endziel ist das aktenlose Büro".

WOLFSBURG - Der Startschuß für die "COMisierung" fiel am Geburtsort des Käfers im Mai 1975 mit der Installation einer eigenen COM-Anlage. Vorausgegangen waren umfangreiche Untersuchungen des Marktes, die sich über zwei Jahre erstreckten. In der ersten Planungsphase gab es im Hause VW ernstliche Bedenken COM überhaupt einzusetzen. Werner Morawietz erinnert sich: "Die Geräte, die damals auf dem Markt waren, brachten - ganz kraß ausgedruckt mehr Probleme mit sich als Vorteile. Eine Unzahl von Anbietern - es dürften mehrere Dutzend gewesen sein - versuchte, sich ein Stückehen aus dem COM-Kuchen zu schneiden." Jetzt hätten sich - wie der Mikrofilm-Organisator feststellt - eine Handvoll Hersteller herauskristallisiert: "Die Geräte, die heute angeboten werden, sind wirklich gut."

Interesse der Fachabteilungen stärker als erwartet

Ausschlaggebend für die Entscheidung, eine eigene COM-Anlage einzusetzen - es gab ja die Alternative "COM-Service" - war das Ergebnis einer Umfrage der VW-Organisationsabteilung bei allen potentiellen Benutzern: Es zeigte sich, daß die Fachabteilungen in einem derartigen Umfange "einsteigen" wollten, daß auf Anhieb die Verfilmung von rund 200 000 Seiten pro Monat garantiert war.

Morawietz führt das auf die gute Aufklärungsarbeit seiner Abteilung zurück: "Wir haben eine Rundreise durch alle Abteilungen gemacht und allen Mitarbeitern das COM-Verfahren mit Probefilmen unterschiedlicher Hersteller demonstriert."

In Wolfsburg entschied man sich schließlich für eine Datagraphix-Anlage 4500 Modell 150, die im Offlinefahren arbeitet, um - wie Morawietz erklärt - "zeitkritische Anwendungen jederzeit sichtbar machen zu können". Kernstück des Systems ist ein Minicomputer mit 16 KB Hauptspeicher. Intelligenz war gefordert, da VW viele kleine COM-Anwendungen hat und auf ein nicht so großes Datenvolumen kommt wie etwa Großbanken, bei denen eine Druckausgabe über mehrere hunderttausend Seiten gehen kann.

Die VW-Mikrofilmstelle erhält druckaufbereitete Spoolbänder vom Rechenzentrum zur Weiterverarbeitung. Alle anwender-spezifischen Daten sind auf Floppy Disks gespeichert, die an das COM- Gerät angeschlossen sind.

COM-Anwendung im Finanzbereich behördlich genehmigt

Bis heute wurden speziell Anwendungen ans dem Finanzbereich übernommen, wozu VW vor kurzem die Pauschalgenehmigung der Finanzdirektion Hannover bekommen hat. Weitere Anwendungen laufen auf dem Produktionssektor. Und natürlich wird das "normale" Schriftgut archiviert.

Von der Organisationsabteilung wird jedoch ganz konsequent versucht, Mikrofilm-Anwendungen in alle Bereiche des Unternehmens zu bringen: Die Vorgaben für die Zukunft liegen bei 500 000 Seiten monatlich.

Die größte geschlossene Anwandlung "Freigaben in der Forschungs- und Entwicklungsabteilung" umfaßt 25 000 Seiten monatlich.

Planfilm statt Rollfilm

Bei allen anderen Aufgabengebieten wurden schon in der Voruntersuchung "Sprünge" von 200, 400, 600 und 800 Seiten festgestellt, so daß sich für das Volkswagenwerk der Einsatz von Norm-Fiches (105 X 148 mm) anbot, die neben dem Index bis zu 207 Seiten aufnehmen können. Der Planfilm habe - so Morawietz - gegenüber dem Rollfilm überdies den Vorteil, daß an den einzelnen Fiche anhand von

Suchkriterien direkt zugegriffen werden kann. Auch bei der Duplizierung für die Fachabteilungen sei der Rollfilm problematisch, da er erst vorsortiert werden muß, was bei VW wegen der Vielzahl kleiner Benutzer sehr aufwendig sei.

Meßbare Einsparungen hat der Einsatz des Mikrofilms auch dadurch gebracht, daß Zulieferer von Teilen, die VW nicht selbst produziert, heute bei einer Ausschreibung vom Einkauf des Automobil-Giganten nicht mehr je einen kompletten Satz Zeichnungen bekommen. Vielmehr wird nur noch die entsprechende Mikrofilmkarte gezogen und für die Verschickung an die Lieferanten eine DIN-A4-Rückvergrößerung der verfilmten Zeichnung hergestellt. Dadurch werden Porto- und Papierkosten gespart.

Auch Versuchsberichte, die vorher in "dicken Aktenordnern" abgelegt waren, werden jetzt in Form von Jackets erheblich platzsparender archiviert.

COM-Parade-Anwendung bei VW ist der Ersatzteilkatalog, für den ein "Superfiche" geboren wurde, der sämtliche Ersatzteil- Informationen eines Auto-Typs (bis zu 1400 Seiten) aufnehmen kann. Ansonsten wird im Hause VW AG einheitlich mit dem. Faktor 1:42 verkleinert.

Durchgesetzt hat sich der Mikrofilm auch in den Konstruktions-Fachabteilungen, die heute nicht mehr mit Blaupausen, sondern nur noch mit Lesegeräten arbeiten, von denen insgesamt 130 im VW- Werk installiert sind. In der Endstufe sollen es 300 sein.

Beim Lesen flimmert die "Birne"

Begünstigt wurde dieses Vordringen der Lesegeräte durch die Preisentwicklung der letzten Zeit.

Morawietz: "Mußten für dieses doch recht simple Gerät vor drei Jahren noch über 1000 Mark hingelegt werden, so kann man technologisch verbesserte Geräte heute bereits für etwa 500 bis 600 Mark bekommen." Ganz ohne Schwierigkeiten ging die Umstellung auf COM dennoch nicht über die Bühne: "Wir hatten in der ersten Zeit - besonders bei den Sachbearbeitern im kaufmännischen Bereich - mit Gegenargumenten zu kämpfen. So wurde geklagt: Bisher hatten wir unsere EDV-Listen und konnten darin schreiben, wenn wir heute den ganzen Tag auf den Schirm des Lesegerätes starren, dann flimmert uns die Birne."