Coaching: Reflexion statt Tipps

11.12.2006
Auch Führungskräfte brauchen Führung. Die erhalten sie immer häufiger von persönlichen Beratern. IT-Manager erzählen, wie und wann Coaching bei ihnen funktioniert hat.

Drei bis vier IT-Projekte leitet Herbert Müller* gleichzeitig, die Projektteams muss er immer neu zusammenstellen und dafür neben IT-Experten auch Vertreter anderer Unternehmensbereiche, des Kunden sowie IT-Dienstleister ins Boot holen. Kommunikation bestimmt seinen Tagesablauf und Druck, den er wie viele Kollegen im mittleren Management manchmal von allen Seiten spürt. "Dann habe ich das Gefühl, meine Arme sind zu kurz, und die Zeit reicht nicht aus, um alles zu schaffen." Müller hat sich schon oft gefragt, wie er mehr Zeit herausholen kann. Eine Antwort fand er im Alltagsgeschäft nicht, sondern erst durch Coaching. Schon nach den ersten Gesprächen lernte er, seine Person und sein Handeln von außen zu betrachten - mit für ihn überraschendem Ergebnis: "Plötzlich wurde mir bewusst, dass ich oft um den heißen Brei herumrede und so manche Nebelbomben in meine Rede einstreue."

Neue Impulse für die Karriere

Je höher man in der Hierarchie eines Unternehmens aufsteigt, desto schwieriger findet sich ein Gesprächspartner, mit dem man sich auf Augenhöhe und vertraulich austauschen kann. Diese Erfahrung machte Volker Hoffmann*, nachdem er 15 Jahre in leitenden Funktionen in der Software- und Hardwarebranche und zuletzt als Partner in einer Management-Beratung tätig war. "Ich hatte eine steile Karriere hinter mir und suchte neue berufliche Perspektiven jenseits der Unternehmensberatung und der IT."

Coach auf eigene Kosten

Zunächst absolvierte Hoffmann parallel zum Job ein MBA-Programm, spätestens danach wäre er für jeden Headhunter ein willkommener Kandidat gewesen. Doch Hoffmann wollte eine unabhängige Beratung, fernab von irgendwelchen Suchaufträgen im Hintergrund, und engagierte auf eigene Kosten einen Coach. "Ich sehe das als Investment in meine eigene Person", sagt er. In den Gesprächen mit Gudrun Happich hat er bekommen, was er erwartet hat: eine aufnahmebereite Zuhörerin, die ihm ein Höchstmaß an Verständnis entgegenbringt und durch Fragen neue Impulse gibt. Mittlerweile hat Hoffmann gelernt, auf seine Intuition zu hören und darüber ein völlig neues Betätigungsfeld für sich entdeckt: Die Entwicklung von Top-Führungskräften. "Hier kann ich meine Management-Fähigkeiten einbringen und bin ganz im Einklang mit mir." Stößt er in seiner neuen Funktion auf Probleme, notiert er sie in ein kleines Heft, um sie bei seinem nächsten Termin mit Happich zu besprechen. Für ihn ist Coaching keine kurzfristige Angelegenheit, sondern ein "längerer Prozess, auf den man sich einlassen muss".

Warum Coaches eingesetzt werden

• Als Sparringspartner für Führungskräfte, damit diese erkennen, was relevant ist und wie sie sich darauf konzentrieren können;

• wenn die Übernahme einer neuen Rolle, etwa einer Führungsfunktion, ansteht;

• bei Reorganisationen und Veränderungen, auf die sich die Führungskraft einzustellen hat;

• um Karriereziele von Mitarbeitern und Managern zu erfüllen;

• um Leistungen zu steigern und die Produktivität zu verbessern.

Hier lesen Sie …

• warum Coaches keine Ratschläge geben;

• wann sich Führungskräfte coachen lassen;

• wann Unternehmen auf Gruppen-Coachings setzen.

Eine kleine Erkenntnis mit weitreichenden Folgen. Klare und kurze Ansagen erleichtern Müller heute die Arbeit im Projektteam und helfen, lange Diskussionen zu vermeiden. Zusätzliche Gespräche mit dem Kunden helfen auch weiter, wenn es Schwierigkeiten gibt. Vorraussetzung sei allerdings, sich schon vorher mit dem Kunden, seiner Situation und möglichen Reaktion auseinandergesetzt zu haben und das eigene Verhalten darauf abzustimmen. Auch mit Druck von oben weiß Müller umzugehen. Er hat sich mit seinem Chef zusammengesetzt und mit ihm unterscheiden gelernt, welche Forderungen ihn und seine Projekte angehen und welche eher allgemeiner Natur sind oder andere Abteilungen betreffen. "Dadurch gewinnt man Zeit."

Dass der IT-Programm-Manager schon nach kurzer Zeit durch Coaching erste Erfolge erzielt hat, ist auch auf seine Offenheit gegenüber der Methode zurückzuführen - auch wenn er wie fast alle Gecoachten in diesem Artikel seinen richtigen Namen beziehungsweise seine Firma nicht nennen will. Obwohl immer mehr Unternehmen ihren Führungskräften Coaches zur Seite stellen, ist es nicht üblich, offen darüber zu sprechen. Schließlich geht es in den Beratungen nicht um Fachliches, sondern um die Person: Der Manager soll sein Verhalten, seine Einstellungen und letztlich sich selbst hinterfragen, was nur in einer vertrauensvollen Atmosphäre gelingen kann.

Angst vor der Couch

Immer noch begehen manche Firmen den Fehler, unwilligen Führungskräften ein Coaching zu verordnen. Die Klienten hätten dann oft das Gefühl, "sie müssten auf die Couch". Diese Erfahrung hat Diplombiologin Gudrun Happich gemacht, die nach zwölf Jahren in Führungspositionen als Coach arbeitet und mittlerweile über 7500 Beratungsstunden gegeben hat. Neben der Freiwilligkeit nennt die Geschäftsführerin des Berliner Galileo-Instituts für Human Excellence eine weitere Voraussetzung für den Erfolg: "Wer mit der Haltung ,Ich habe kein Problem. Das sind die anderen’ in ein Coaching geht, kann schlecht davon profitieren. Der Mitarbeiter muss willens sein, Verantwortung für sein Tun zu übernehmen, und die Ergebnisse des Coachings auch in Handeln umsetzen."

Zwei Sitzungen reichen nicht

Vor der Umsetzung steht die Erkenntnis. Und die reift bei komplexen Problemen nicht in zwei Sitzungen. Julia Wagner* leitet große, zum Teil über Jahre angelegte Projekte bei einem IT-Hersteller und fragte sich, wie sie am besten Ziele für ihre Teams setzen und artikulieren, aber auch für sich selbst stecken kann. In regelmäßigen Sitzungen mit Gudrun Happich als Coach erkannte sie, dass es hilft, möglichst einfache Ziele zu setzen. Auf diese Lösung kam Wagner selbst, angeregt durch Happichs Ermunterung, mal in eine andere Richtung zu denken. Dazu Wagner: "Ein Coach darf keine Vorgaben machen oder gute Ratschläge erteilen." Happich vermittelte laut Wagner "eher Grundprinzipien und psychologische Werkzeuge wie Frage- und Reflexionstechniken oder Methodik in der Gesprächsführung".

Um den Klienten ihre Situation zu verdeutlichen, greift Happich gern auch auf Beispiele aus der Natur zurück, die ein Aha-Erlebnis hervorrufen und sich als Metapher leichter im Kopf festsetzen. Ein Klient hatte etwa das Gefühl, er leiste nicht genug, obwohl er täglich um drei Uhr morgens aufstand, dann zwei Stunden an wissenschaftlichen Publikationen schrieb und spätestens um sechs Uhr in der Firma war. Dass Hochleistung auf Dauer nur in Verbindung mit Ruhephasen klappt, verdeutlichte Happich am Beispiel des Geparden: "Ein Gepard beschleunigt binnen Sekunden von null auf 100 Kilometer die Stunde, kann aber höchstens 600 Meter mit dieser hohen Geschwindigkeit laufen. Er peilt vorher sein Ziel genau an und schlägt dann zu. Geparde bringen auf den Punkt Höchstleistung und brauchen danach eine Phase der Regeneration."

Rahmenbedingungen wichtig

In der Natur geht es laut Happich immer darum, Stärken zu bündeln. Dieses Prinzip sei gut auf Coaching übertragbar: "Es ist sinnvoller die Stärken zu entdecken und zu bündeln, um dadurch Schwächen auszugleichen, als an den Schwächen zu arbeiten." Happich berücksichtigt in ihrem systemischen Ansatz zum Beispiel nicht nur Inhalte und Aufgaben der Mitarbeiter, sondern achtet auch auf die Rahmenbedingungen, die einen erheblichen Einfluss etwa auf die Leistungsfähigkeit der Mitarbeiter besitzen. Wenn sich diese von heute auf morgen verändern, können sich Mitarbeiter wie Führungskräfte vor den Kopf gestoßen fühlen. So auch bei der Hach Lange GmbH, einem Hersteller für Wasseranalysetechnik mit Sitz in Berlin und Düsseldorf. Amerikanische Investoren kauften den mittelständischen Familienbetrieb und gaben eine Umsatzrendite von 25 Prozent als Ziel vor. Um den Mitarbeitern zu helfen, sich in der neuen Führungskultur zurechtzufinden, und wichtige Leistungsträger zu halten, organisierte der damalige Personalchef Dietmar Bahr für 50 Mitarbeiter ein Teamcoaching sowie Einzelcoachings für Führungskräfte. "Viele wollten reden, sonst hätten sie gekündigt." Der systemische Ansatz von Happich entsprach Bahrs Erwartungen: "Wie die Natur ist auch ein Unternehmen ein System, als dessen Teil man sich auf das Ganze einstellen sollte."

Auch die Führungskräfte der Inforte Deutschland GmbH mussten lernen, wieder offen miteinander umzugehen. Diese Fähigkeit waren den Beratern für Business Intelligence während der vorangegangenen zweijährigen Wachstumsphase verloren gegangen. Vor allem innerhalb des erweiterten Führungskreises verloren sich die Diskussionen oft auf emotionaler Ebene, statt sachlich zu bleiben. Um kommunikativ wieder fit zu werden, holte sich Geschäftsführer Andreas Wilmsmeier mit Happich einen Coach ins Haus. In einem eintägigen Workshop unter dem Motto "Konflikt-Moderation" sollten alle Mitglieder des erweiterten Führungskreises sich offen austauschen können und Ursachen für ihr Unbehagen finden.

Ein Ergebnis: Während sich die Mitarbeiterzahl von Inforte von 25 auf heute 45 fast verdoppelt hatte, konnte die Weiterentwicklung der Organisationsstrukturen nicht Schritt halten; neue Rollen und Verantwortlichkeiten wurden eingeführt, in vielen Fällen waren die Zuständigkeiten undeutlich geworden. "Unterbewusst war es vielen klar, dass das schnelle Wachstum eine gewisse Unruhe ins Unternehmen bringt", sagt Wilmsmeier. "Aber richtig konkretisiert haben wir das erst auf dem Workshop." Dank der externen Moderation gelang es auch, die Kommunikation wieder zu versachlichen, so der Geschäftsführer. Auch wenn binnen eines Tages die Probleme nicht aus der Welt geschafft werden konnten, gibt sich Wilmsmeier zuversichtlich: "Obwohl einige Teilnehmer vorher angezweifelt hatten, dass wir externe Hilfe brauchen, waren danach alle zufrieden. Außerdem haben wir uns auf eine Agenda mit konkreten Zielen geeinigt." Unter anderem will Inforte an einer klar definierten Organisationsstruktur arbeiten, die Entwicklungsperspektiven für alle Mitarbeiter bietet.

Ein Coach springt nicht höher

Ob Gruppen-Workshops oder persönliche Beratung für Einzelne, die Grenzen von Coaching sind jedes Mal gleich. Die waren zum Beispiel IT-Programm-Manager Herbert Müller von Anfang an bewusst. "Ein Coach läuft nicht schneller oder springt höher. Er kann nur helfen, dass man den richtigen Weg und die Antworten findet."

*Namen von der Redaktion geändert