Zukunft der Arbeit

Cloudworker - ein Modell mit Risiken und Nebenwirkungen

16.07.2014
Von Prof. Dr. Christian Scholz und Dr. Stefanie  Müller
IBM gilt als Vorreiter: Die „Liquid Workforce“ als neue und vor allem flexible Form von Mitarbeitern, die aus der Cloud heraus auf Abruf Dienste für das Unternehmen erbringt. Immer mehr Unternehmen bedienen sich inzwischen dieser Cloud-Arbeiter. Was aber steckt genau dahinter und was sind die personalwirtschaftlichen und gesellschaftspolitischen Folgen?

Auf dem Werbefoto von SAP schaut alles so einfach aus, so glücklich, so unkompliziert, so verlockend: „The employee of the month: cloud“ die Aufschrift, ansonsten eine strahlende Frau, der offenbar gerade ihr geheimster Wunsch erfüllt wird. Doch jenseits dieser Oberflächenstruktur bahnt sich eine grundlegende Veränderung der Arbeitswelt an, die weder generell unkompliziert noch für alle verlockend ist.

Erst Anwendungen, dann Mitarbeiter in die Cloud verlagern

Das magische Wort „Cloud“ erlebte bisher drei evolutionäre Entwicklungen:

Es begann mit reiner Datenhaltung und mit der Idee, Daten nicht mehr in klar definierten Speichern auf zentralen oder dezentralen Servern abzulegen, sondern „irgendwo“. Das bedeutete, dass man im einfachsten Fall ein bestimmtes Volumen bei einem Vermittler bucht und dieser Daten „irgendwo“ bei einem seiner Unterlieferanten ablegt. Ohne, dass der Kunde das letztlich weiß, kann zum Beispiel die Gehaltsliste auf einem kleinen Server in Oberbayern liegen, aber auch auf einer Serverfarm in Kalifornien oder irgendwo bei Amazon. Sicherte man also bis vor kurzem die Daten seines iPhones auf seinem MacBook, erfolgt jetzt ein automatisches Backup irgendwo in der Wolke („iCloud“).

Die zweite Stufe war dann die technologisch nicht mehr ganz so triviale Verlagerung von Anwendungen in die Cloud. In dem Fall hat man keine eigenen Anwendungen mehr auf seiner eigenen IT, sondern greift auf Anwendungen zu, die wieder „irgendwo“ liegen und dann „irgendwie“ ablaufen. Diese Anwendungen sind definiert durch Schnittstellen und durch Prozesse, die allerdings selber nur an den Schnittstellen eindeutig vorgegeben sind. Alles andere passiert „irgendwie“, wobei der Nutzer sich dementsprechend weniger kümmern muss.

Nimmt man diese beiden Stufen zusammen, so führt dies zu einer dritten Stufe, der Verlagerung von menschlicher Arbeit in die Cloud. Aus Sicht des Unternehmens stellt dies die konsequente Fortführung der Cloud-Logik dar. Genauso wenig, wie man als Unternehmen wissen muss, wo Daten abgespeichert sind, muss man wissen, welche Personen letztlich eine Arbeit erledigen. Entscheidend ist nur, dass sie „irgendwer“ erledigt und das Unternehmen möglichst wenig mit diesen virtuellen Mitarbeitern zu tun hat – solange die vorgegebenen Qualitätsstandards eingehalten und die geforderten Aufgaben erfüllt werden.

Zwar locken – zumindest auf den ersten Blick – erhebliche Einsparungen und Vereinfachungen (zum Beispiel keine große, komplizierte und teure Server zur Datensicherung). Dennoch existieren aber auch Verlust an Kontrolle und ein Anstieg an Unsicherheit, die sich auf Qualität der Leistungen bis hin zu Datenschutz und Datensicherheit bezieht. Dies gilt auch und gerade für die Stufe 3, über die bisher eher weniger gesprochen wird

Die Verlagerung von menschlicher Arbeit in die Cloud stellt aus der Sicht von Unternehmen, die bereits Daten und Anwendungen ion die Woke verlagert haben, die konsequente Fortführung der Cloud-Logik dar.
Die Verlagerung von menschlicher Arbeit in die Cloud stellt aus der Sicht von Unternehmen, die bereits Daten und Anwendungen ion die Woke verlagert haben, die konsequente Fortführung der Cloud-Logik dar.
Foto: stillkost - Fotolia.com

Flexibilität für Unternehmen, Unsicherheit für Beschäftigte

Analog zu der Bedeutung aus der IT-Welt steht die „Cloud“ im Bereich der Arbeitswelt für Menschen, die eine spezifische Arbeitsleistung für ein Unternehmen erbringen können, die dabei kein fester Teil mehr des Unternehmens sind, sondern irgendwo „in der Wolke“ arbeiten. Getrieben werden die Veränderungen der Arbeitswelt durch zunehmende virtuelle Arbeitsumgebungen, weltweite Netzwerke der Zusammenarbeit von freien und festangestellten Mitarbeitern, temporäre Strukturen im Hinblick auf Vertragsdauer, laufend neu konfigurierte Wertschöpfungsketten und generell ein Auflösen von Grenzen. Das sind nur einige Beispiele für das, was gegenwärtig passiert.

Diese beschriebene Arbeitswelt ist für viele faszinierend, bedeutet sie doch die Möglichkeit, aus bestehenden Strukturen auszubrechen, interessante Erfahrungen zu sammeln, neue Geschäftsmodelle zu entwickeln, persönliche Karrieren aufzubauen und letztlich natürlich auch sehr viel Geld zu verdienen, also zu Reichtum und Wohlstand zu kommen. Für andere hingegen sind damit ganz klare Nachteile verbunden: zunehmende Unsicherheit, Wettbewerbs- und Leistungsdruck und im schlimmsten Fall – sofern man dieses System nicht erfolgreich durchläuft – sozialer Abstieg.

„Arbeiten in der Wolke“ wirkt zwar auf den ersten Blick nur wie eine triviale Metapher: Beim näheren Hinsehen steckt dahinter aber eine weitere dramatische Veränderung der Arbeitswelt. Der Verlust von Bindung bedeutet zwar Seite Flexibilität, indem Unternehmen bei Bedarf Dienstleistungen aus der Wolke dazukaufen und den fixen Bestand an Mitarbeitern dadurch kleiner halten können. Für die Menschen als Arbeitskraft bedeutet es aber, dass Arbeitsort, -zeit und -menge flexibel eingesetzt werden können. Dadurch entsteht auch extrem hohe Unsicherheit für alle.

Unternehmen sind weltweit damit beschäftigt, Arbeitsleistung in die Cloud zu verlegen: Gerade angesichts der Diskussionen um den Mindestlohn und um Werkverträge erscheint es interessant, Arbeitsleistung anonym und ohne jegliche juristische Bindung einzukaufen, solange „irgendwer“ die Arbeit erledigt.

Natürlich funktioniert das nicht in allen Branchen gleich gut: So kann Daimler nicht einfach die Motoren irgendwie in der Cloud zusammenbauen lassen, braucht also real im Unternehmen existente Mitarbeiter. Für IBM, SAP und die Telekom ist die Verlagerung von Arbeitsleistung in die Cloud dagegen leichter. Letztlich gibt es aber auch für IT-Unternehmen, Banken, Versicherungen, Medienunternehmen, nicht-stationärer Handel und viele andere Branchen zunehmend Möglichkeiten, Arbeitspakete in die Cloud zu verschieben.

4 Typen von Cloudworkern

Das „Arbeiten in der Wolke“ bezieht sich dabei auf unterschiedlichste Tätigkeiten: Die Arbeitsleistung kann sehr komplex sein und hohes Wissen voraussetzen; sie kann aber auch aus einfachen Routinetätigkeiten bestehen, die von jedem Tagelöhner erfüllbar sind und deshalb auch an den günstigsten Anbieter vergeben werden.

Welche Typen von Cloud-Workern gibt es überhaupt? Hier bieten sich zwei Dimensionen zur Klassifizierung an: zum einen das benötigte Qualifikationsniveau, zum anderen die Frage, ob die Leistung alleine oder im Verbund erbracht wird. Dies führt zu vier Typen von Cloud-Workern:

  • Die extremste Form von „Arbeiten in der Cloud“ ist das, was wir den umtriebigen „Cloud-Nomaden“ nennen. Er hat keine ausgeprägten Kernkompetenzen, ist vollkommen flexibel und in vielfältiger Form einsetzbar. Er bietet seine Arbeitsleistung fast wie ein mittelalterlicher Tagelöhner an und muss letztlich „nehmen, was kommt“. Beispiele für diese Variante findet man bei einfachen Programmiertätigkeiten und einzelfallspezifischen Rechercheaufgaben.

  • Anders dagegen der „Cloud-Unternehmer“. Er hat ganz spezifische Kernkompetenzen, für die er – ein entsprechender Markt vorausgesetzt – auch einen entsprechenden Preis erzielen kann. Wegen der Transparenz in der Wolke agiert er als ein Unternehmer in eigener Sache, der zwar für Abnehmer „gläsern“, aber trotzdem gesucht wird. Hier geht es um komplexere Computerprogramme, Unteraufträge bei umfangreicheren Tätigkeiten und um auftragsgetriebene Entwicklungsarbeit.

  • Während die bisherigen beiden Formen von Einzelkämpfern ausgingen, gibt es beim „Arbeiten in der Wolke“ auch Verbundlösungen. Bei den niedrig qualifizierten Akteuren führt dies zur emsigen „Cloud-Ameise“. Sie ist Teil eines großen Ganzen, zu dem sie etwas beisteuert. Die Cloud-Ameise weiß weder, wer die anderen Ameisen sind, noch was diese machen: Sie ist aber Teil des Kollektivs und vergibt zum Beispiel „Tags“ bei Artikeln oder sucht Adressen und Personen im Internet.

  • Schließlich gibt es die Zugehörigkeit zum „Cloud-Kader“. Auch dies sind Akteure, die in einer Gruppe arbeiten. Allerdings haben sie zwei Vorteile: Zum einen zeichnen sie sich durch extrem hohe Qualifikationen aus. Zum anderen gehören sie zum vor-definierten „Lieferantenkreis“ renommierter Unternehmen, sind also „im Kader“. Aufgaben, die hier anfallen, kommen aus umfangreichen Updates von Computerprogrammen, laufenden Aktualisierungen von Social Media Auftritten, Betreuung von klar definierten Kundengruppen sowie generell aus dem User Support.

Damit wird aber auch schon unmittelbar klar, dass wir es hier mit vier völlig unterschiedlichen Gruppen von Cloud-Workern zu tun haben, die nach unterschiedlicher Behandlung rufen.

Cloud-Work ist alles andere als trivial

„Arbeiten in der Cloud“ ist ein bereits real existierendes Phänomen, das wissenschaftlich noch wenig durchdrungen ist, obwohl es mit der Theorie der virtuellen Unternehmen wichtige Anknüpfungspunkte gibt: Dort wurde zumindest in der Anfangsphase diskutiert, wie sich unabhängige Akteure „virtuell“ verbinden lassen – sofern man dies überhaupt will.

Für die Cloud-Worker stellen sich letztlich alle personalwirtschaftlichen Grundfragen, von Personalauswahl bis zur Personalqualifikation. Diese Fragen stellen sich aber differenziert nach den vier Arten der Cloud-Worker:

  • So wird es beim Cloud-Nomanden um eine möglichst effiziente und sichere Personalselektion gehen.

  • Beim Cloud-Unternehmer stehen Motivation und Retention im Mittelpunkt.

  • Die Cloud-Ameise soll rasch ihre Arbeit erledigen und muss dann nur noch bezahlt werden.

  • Mitglieder im Cloud-Kader brauchen unter anderem (virtuelle) Teambildungsmaßnahmen, da sie letztlich gemeinsam arbeiten und sich als Team verstehen müssen.

Hinzu kommen Fragen der Arbeitsorganisation, da Cloud-Worker in der Regel nicht physikalisch vor Ort sind. Somit ergeben sich Konsequenzen für alle Prozesse der Kollaboration und Kommunikation. Eng damit verbunden sind auch Überlegungen zu arbeitsrechtlichen Konsequenzen, die sich aus Cloud-Workern ergeben könnten.

Spätestens jetzt wird klar: Cloud-Worker brauchen nicht weniger Personalbetreuung, sondern teilweise sogar mehr. Damit müssen auch die Standard-Benchmarks der Personalarbeit hinterfragt werden, die sich im Regelfall auf festangestellte Mitarbeiter beziehen und die externe Workforce ignorieren. Hier kann und muss die Personalabteilung in den oben genannten Branchen aktiv werden: Sich darauf zurückzuziehen, dass Cloud-Worker keine Mitarbeiter sind und nur Sachkosten, könnte gefährlich werden.

Cloudworker - noch viele offenen Fragen

Das „Arbeiten in der Wolke“ wirft für die Personalarbeit eine Vielzahl von Fragen auf, die gegenwärtig noch nicht beantwortet sind. Zum Beispiel:

  • Welche Implikationen entstehen strukturell für den Personalbereich?

  • Wie integriert man unterschiedliche Typen an Cloud-Workern in den Arbeitsprozess?

  • Brauchen Cloud-Worker einen Mindestlohn?

  • Wie können und wie sollen sich Cloud-Worker gewerkschaftlich organisieren?

  • Wie ist das Arbeitsrecht für Cloud-Worker?

  • Wie motiviert man Cloud-Worker?

  • Wie bildet man Cloud-Worker weiter?

Auf diese und weitere Fragen werden gegenwärtig noch Antworten gesucht, weshalb es an der Universität des Saarlandes auch ein entsprechendes Forschungsprojekt gibt.

Wie wichtig und in ihrer Konsequenz völlig offen diese Themen sind, sieht man unter anderem an Aktivitäten wie der „External Workforce Policy“, die seit dem 1. März 2013 bei SAP gilt. Danach gibt es unter anderem auch keine Einzel- und Direktverträge mit Freiberuflern. Zudem muss sichergestellt werden, dass diese „individuelle Ressource“ unabhängig von SAP-Weisungen arbeitet und auch nicht in die Arbeitsorganisation eingegliedert ist. Dahinter steckt die Angst vor einer Überprüfung von externen Mitarbeitern auf Scheinselbstständigkeit.

Jetzt wird es paradox :Auf der einen Seite basiert das Arbeiten in der Wolke auf einer integrierten Wertschöpfung, auf der anderen Seite soll gerade dies ausgeschlossen werden. Auf der einen Seite sollen also auch externe Mitarbeiter „irgendwie“ als richtige Mitarbeiter behandelt werden, auf der anderen Seite darf aber gerade das nicht passieren.

Auch wenn zu bezweifeln ist, dass dies alles den Trend zur Arbeit in der Cloud stoppen wird, bahnen sich doch Veränderungen durch das Einschalten von Vermittlern an. Dies gilt vor allem deshalb, weil derartige Policies auch andere Unternehmen einsetzen und damit den Cloud-Arbeitern die Arbeit schwer machen.

Politik und Unternehmen stochern hier gleichermaßen – aber gegenläufig – im Nebel, ohne eine klare Linie für Unternehmen und für die Cloud-Worker zu schaffen. Während erstere auf internationale Cloud-Worker ausweichen werden, sind die deutschen Cloud-Worker letztlich die leidtragenden, die sich vielleicht zu früh als Cloud-Unternehmer im Home-Office auf Mallorca gesehen haben.

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