Microservices und mehr

Cloud Native - geht runter wie Öl

23.04.2020
Von 
Alexander Freimark wechselte 2009 von der Redaktion der Computerwoche in die Freiberuflichkeit. Er schreibt für Medien und Unternehmen, sein Auftragsschwerpunkt liegt im Corporate Publishing. Dabei stehen technologische Innovationen im Fokus, aber auch der Wandel von Organisationen, Märkten und Menschen.
Cloud Native – die Entwicklung von Applikationen direkt für die Wolke – greift dank des starken Rückenwinds aus dem Cloud Computing in Deutschland um sich.

Unternehmen versprechen sich von dem Paradigma viele Vorteile für die Entwicklung und den Betrieb ihrer Software. Sie soll unter anderem schneller entwickelt, stabiler und effizienter werden. Nach der Phase des "Lift & Shift" bestehender Anwendungen in die Cloud eröffnet sich mit Cloud Native eine zusätzliche Gelegenheit, von den Vorteilen des Bereitstellungsmodells zu profitieren. Es locken vor allem strukturelle Benefits, die sich jedoch erst dann einstellen, wenn Architekturen und Applikationen "nativ" für die Cloud entwickelt werden - wenn die Software sozusagen Cloud Native statt Cloud Immigrant ist.

Vergleichbar mit Service-orientierten Architekturen, sollen starre Monolithen in viele Microservices aufgebrochen werden, die die funktionalen Bausteine eines Gesamtsystems bilden. So lassen sich Anpassungen in kleinen Schritten vornehmen, ohne die gesamte Anwendung anzufassen. Die Vorteile: Geschwindigkeit und Flexibilität - so wie im Idealfall bei der Nutzung von Cloud Computing.

Unternehmen versprechen sich von Cloud Native Vorteile für die Entwicklung und den Betrieb ihrer Software.
Unternehmen versprechen sich von Cloud Native Vorteile für die Entwicklung und den Betrieb ihrer Software.
Foto: Foto: LuckyStep - shutterstock.com

Zur Studie "Cloud Native 2020"

Viele Cloud-Native-Projekte in Deutschland

In einer Studie hat IDG Research Services / COMPUTERWOCHE in Zusammenarbeit mit Deloitte den Status quo von Cloud Native in Deutschland abgefragt. Angesichts der langjährigen Cloud-Skepsis in deutschen Unternehmen überrascht es ein wenig, wie viele Organisationen laut den Befragten heute bereits Cloud Native nutzen - bei 23 Prozent der Unternehmen ist es etabliert, 40 Prozent sind vor Kurzem auf den Cloud-Native-Zug aufgesprungen. Dies wird nicht nur vom Top-Management postuliert, sondern auch durch Angaben von Teilnehmern aus Fachbereichen und IT-Abteilungen bestätigt. Erklären lassen sich die hohen Werte vermutlich auch damit, dass die Stichprobe eine gewisse Cloud-Affinität aufweist.

Vor allem die IT setzt auf Cloud Native, aber auch Vertrieb und Marketing sind beim Einsatz vorne mit dabei.
Vor allem die IT setzt auf Cloud Native, aber auch Vertrieb und Marketing sind beim Einsatz vorne mit dabei.
Foto: Foto: IDG Business Media / Daniela Petrini

Zusammengefasst herrscht der Eindruck vor, dass in deutschen Unternehmen rund 14 Jahre nach der Gründung von Amazon AWS der Cloud-Computing-Knoten geplatzt ist - nur jedes 20. Unternehmen hierzulande hat noch keine Cloud-Projekte umgesetzt. So bezeichnet über die Hälfte der Studienteilnehmer den Cloud-Reifegrad des eigenen Unternehmens als hoch bis sehr hoch, lediglich jeder fünfte Befragte attestiert seiner Organisation ein niedriges Niveau. Dabei gilt die Daumenregel: Je höher die IT-Ausgaben, desto höher der gefühlte Cloud-Reifegrad.

Interessant ist die Abweichung zwischen den Funktionen: Während 41,7 Prozent der Leiter von Fachbereichen den Reifegrad als mindestens hoch einschätzen und IT-Leiter auf 52,9 Prozent kommen, geben drei Viertel der Top-Manager einen hohen oder sehr hohen Cloud-Reifegrad an. Dies deckt sich mit den Aussagen zur Relevanz von Cloud Native, 39 Prozent der Befragten messen dem Thema schon heute eine hohe oder sehr hohe Bedeutung bei. Der Wert soll mittelfristig auf 67 Prozent steigen. Im Gegenzug halbiert sich die Zahl der Studienteilnehmer, die Cloud Native eine geringe Relevanz bescheinigen, von knapp 28 Prozent auf 13 Prozent.

Auffällig ist auch hier, dass Top-Manager deutlich euphorischer in ihrer Einschätzung von Cloud Native sind als Leiter und Mitarbeiter von IT-Abteilungen. Noch weiter fallen Befragte aus Fachbereichen ab - angesichts der zunehmenden IT-Beschaffung durch Business Units speziell im Cloud-Umfeld scheint hier wohl noch etwas Aufklärungsarbeit notwendig.

Hohe Erwartungen an Cloud Native

Aufgrund der Bedeutung von Cloud Native lohnt sich ein Blick auf die Erwartungen - und die Liste ist ziemlich lang: Eine raschere Entwicklung und eine erhöhte Stabilität von (Cloud-)Software sind die wichtigsten Vorteile, die Anwender festgestellt haben oder sich versprechen. Kurze Zyklen werden im IT- sowie im Top-Management gern gesehen, Fachabteilungen erhoffen sich eher stabile Programme. Danach folgen vereinfachte Software Development Lifecycles, eine allgemeine Prozessoptimierung, eine kürzere Time-to-Market sowie verbesserte Produkte und Services. Über 30 Prozent der Befragten versprechen sich von Cloud Native sogar eine moderne Unternehmenskultur und die Steigerung der Mitarbeiterzufriedenheit. Immerhin zeigen sich hier einige "Pain Points" in den Organisationen. Dazu passt: Während IT-Manager Kostenvorteile durch effizientere Softwareentwicklung relativ unwichtig finden, bauen sie auf mehr Freiraum für Innovationen.

Wenig überraschend ist, dass IT-Abteilungen die Vorreiter in der Cloud-Native-Anwendung sind, mit 48 Prozent Einsatzquote liegen sie unangefochten vorn. Selbst die Befragten aus der IT bestätigen dies - sonst liegt in dieser Studie zumeist das Top-Management in Front. Mit weitem Abstand folgen die Unternehmensbereiche Marketing, Vertrieb, Produktion, Forschung und Entwicklung sowie die Personalabteilung. Und jeder Fünfte geht davon aus, das Cloud Native mittelfristig im gesamten Unternehmen zum Einsatz kommen wird.

Kürzere Entwicklungszyklen für (Cloud-)Software und deren höhere Stabilität durch Cloud Native sprechen viele Unternehmen an.
Kürzere Entwicklungszyklen für (Cloud-)Software und deren höhere Stabilität durch Cloud Native sprechen viele Unternehmen an.
Foto: Foto: IDG Business Media / Daniela Petrini

Security ist die größte Hürde - aus Sicht der IT

Bei allem Optimismus angesichts von Cloud Native: Jeder der Befragten hat in der Studie im Durchschnitt 2,8 potenzielle "Hürden" angekreuzt. Auch hier liegen IT-Sicherheitsbedenken leicht in Front - diese haben schon die Ausbreitung der Cloud in den vergangenen Jahren gebremst. Allerdings: Lediglich 19 Prozent der Fachbereichsmanager sehen die Sicherheit als Hemmnis, aber 37 Prozent der IT-Leiter und -Mitarbeiter.

Unter den Top-Ten-Hürden finden sich fünf Punkte, die direkt mit den Menschen im Unternehmen zu tun haben: fehlendes Know-how, Fachkräftemangel, unzureichende Technik- und Methodenkompetenz sowie die "unpassende Unternehmenskultur" - letztere tendenziell bei größeren Organisationen. Studienteilnehmer aus der IT räumen zwar fehlendes Know-how für Cloud Native ein, aber nicht unzureichende Technik- und Methodenkompetenz. Legacy-Systeme und Vendor-Lock-In, die im Cloud-Kontext häufig als Bremsen angeführt werden, spielen laut Studie keine gravierende Rolle. Nur 6,2 Prozent der Geschäftsführer bezeichnen die IT-Architektur als Hürde, im Gegensatz zu 16 Prozent der IT-Mitarbeiter. Und Organisationen mit mehr als 1.000 Mitarbeitern nennen unreife Prozesse (41 Prozent) als größte Hürde für Cloud Native - 16 Prozentpunkte mehr als der Durchschnitt.

Innovation Center vor Top-down und Bottom-up

Wer den Weg zu Cloud Native mit seinen Methoden und Tools gehen will, nimmt häufig die Route über externe Einheiten. Das Innovation Center ist derzeit der bevorzugte Ansatz, wenn auch nur mit knappem Vorsprung. Je mehr Mitarbeiter und IT-Budget das Unternehmen hat, desto größer fällt die Zustimmung für diese Option aus. Auch die Geschäftsführung ist mit dem Weg überdurchschnittlich häufig einverstanden. Von den Methodiken liegen Top-down und Bottom-up fast gleichauf. Top-down findet überwiegend in Unternehmen mit weniger als 500 Mitarbeitern statt, Bottom-up in größeren Organisationen. IT-Abteilungen stimmen öfter für den Ansatz von unten als Teilnehmer aus Fachbereichen oder dem Top-Management.

Cloud Native wird häufig durch Innovation Center und Ausgründungen im Unternehmen eingeführt.
Cloud Native wird häufig durch Innovation Center und Ausgründungen im Unternehmen eingeführt.
Foto: Foto: IDG Business Media / Daniela Petrini

Cloud-native-geeignet ist (fast) alles

Auch wenn sich Schwerpunkte abzeichnen: Eine Anwendung, die definitiv Cloud-Native-Potenzial hat, scheint es nicht zu geben - knapp 40 Prozent Zustimmung für den Spitzenreiter "Datenbanken" ist nicht gerade ein Erdrutsch. Interessante Erkenntnisse ergeben sich bei ERP- und CRM-Systemen: Bei deren Cloud-Native-Potenzial liegen Unternehmen mit 1.000 Mitarbeitern und mehr deutlich unter dem Durchschnitt. Vielleicht beherzigen sie auch den alten ERP-Grundsatz "Never touch a running system". Im Gegensatz dazu setzen Studienteilnehmer aus der Geschäftsleitung (aller Unternehmensgrößen) den höchsten Einzelwert (42,3 Prozent) bei ERP-Systemen - vermutlich verbunden mit der Hoffnung, dass sich ERP-Herausforderungen in der Native Cloud irgendwie in Luft auflösen. IT-Leiter sowie -Mitarbeiter geben sich tendenziell optimistischer als der Durchschnitt, was die Cloud-Native-Fähigkeit aller Applikationen betrifft.

Cloud-Native-geeignet sind nach Einschätzung der befragten Unternehmen allen voran Datenbanken und Web-Interfaces.
Cloud-Native-geeignet sind nach Einschätzung der befragten Unternehmen allen voran Datenbanken und Web-Interfaces.
Foto: Foto: IDG Business Media / Daniela Petrini

Zufriedenheit macht sich breit

Wer die ganzen Vorteile der Cloud ausnutzen will, wird künftig über den Lift & Shift-Ansatz hinausgehen müssen. Dazu sind Investitionen in Skills und Abläufe notwendig. Die Anfänge jedenfalls sind vielversprechend: Obwohl es sich um eine relativ junge Disziplin handelt, ist die absolute Mehrheit der Befragten zufrieden mit bisher gestarteten oder absolvierten Cloud-Native-Projekten. Der Anteil der Unzufriedenen macht nicht einmal sechs Prozent aus. Nach den Gründen gefragt, liegen an erster Stelle erwartete finanzielle Vorteile, die sich nicht eingestellt haben; fast gleichauf rangieren zu hohe Kosten. Bei den anderen Gründen sind es Einzelnennungen, die wegen der geringen Anzahl keine Rückschlüsse auf Trends zulassen. In einer freien Antwort wurden als Gründe für die Unzufriedenheit "mangelnde Sicherheit" und "Vendor-Lock-In" angegeben. Doch salopp gesagt gilt dies für die Enterprise-IT generell. Insofern kann man sagen, dass Cloud Native 2020 in den Unternehmen angekommen ist.

Zur Studie "Cloud Native 2020"

Die aktuelle Studie "Cloud Native 2020" gibt es jetzt im COMPUTERWOCHE-Studienshop.
Die aktuelle Studie "Cloud Native 2020" gibt es jetzt im COMPUTERWOCHE-Studienshop.
Foto: Foto: LuckyStep - shutterstock.com

Studiensteckbrief

Herausgeber: COMPUTERWOCHE, CIO, TecChannel und ChannelPartner

Exlusiver Studienpartner: Deloitte GmbH

Grundgesamtheit: Oberste (IT-)Verantwortliche von Unternehmen in der D-A-CH-Region: strategische (IT-)Entscheider im C-Level-Bereich und in den Fachbereichen (LoBs), IT-Entscheider und IT-Spezialisten aus dem IT-Bereich

Teilnehmergenerierung: Stichprobenziehung in der IT-Entscheider-Datenbank von IDG Business Media; persönliche E-Mail-Einladungen zur Umfrage

Gesamtstichprobe: 374 abgeschlossene und qualifizierte Interviews

Untersuchungszeitraum: 20. Januar bis 27. Januar 2020

Methode: Online-Umfrage (CAWI)

Fragebogenentwicklung: IDG Research Services in Abstimmung mit den Studienpartnern

Durchführung: IDG Research Services

Technologischer Partner: Questback GmbH, Köln

Umfragesoftware: EFS Survey Winter 2018