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Gestohlene Forscher-E-Mails

"Climategate" oder Sturm im Wasserglas?

04.12.2009
Ist der Klimawandel eine Weltverschwörung von Wissenschaftlern?

Der Datenklau hunderter persönlicher E-Mails aus einem renommierten britischen Forschungszentrum führt derzeit zu erhitzten Debatten von Klimawandel-Skeptikern und Klimaforschern - vor allem im Internet. Während die einen in den gehackten E-Mails Beweise gefunden haben wollen, dass die globale Erwärmung eine Erfindung ist, wittern die anderen den gezielten Versuch, die Klimakonferenz in Kopenhagen zu sabotieren, die am Montag beginnt.

Die Affäre hat sich im Internet schon zum "Climategate" gemausert. Vorläufiger Höhepunkt: Der Direktor der weltbekannten Climate Research Unit (CRU) an der britischen Universität von East Anglia, Phil Jones, trat vorübergehend von seinem Amt zurück. Damit soll eine unabhängige Untersuchung erleichtert werden. Vom E-Mail-Server seines Zentrums hatten unbekannte Hacker die Dateien kopiert.

Die Korrespondenz aus 13 Jahren tauchte Mitte November zunächst auf einem russischen Server auf und machte dann im Netz schnell die Runde, vor allem über klimaskeptische Seiten wie climateaudit.org. Jones lässt seinen Direktorenposten nun ruhen, bis eine Untersuchung der Vorgänge und Vorwürfe abgeschlossen ist. Den Verdacht einer Datenmanipulation weist er indes als "kompletten Blödsinn" zurück.

Die Beweislage für den Klimawandel und gegen den Menschen ist erdrückend: In den vergangenen 200 Jahren hat der Mensch unter anderem mehr als die Hälfte der Wälder der Erde zerstört. Der Kohlendioxid-Gehalt der Atmosphäre kletterte seit Beginn der Industrialisierung um ein Drittel, die weltweite Durchschnittstemperatur stieg seit Beginn der Aufzeichnungen Mitte des 19. Jahrhunderts um 0,74 Celsius, der Meeresspiegel im 20. Jahrhundert um 17 Zentimeter. Das alles hat der mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichnete Weltklimarat IPCC in seinem jüngsten Bericht festgehalten.

Klimawandel-Skeptiker empören sich dagegen im Internet in einschlägigen Blogs - oft in rüdem Ton - über angebliche Manipulationen, die in der gestohlenen E-Mail-Korrespondenz belegt seien. So werfen sie den Wissenschaftlern etwa vor, sie hätten diskutiert, wie sich unliebsame Arbeiten aus Fachjournalen oder dem IPCC-Weltklimabericht heraushalten lassen.

Weltklimarat will Vorwürfe untersuchen

Mit welchen Erfolg, das bleibt allerdings unklar. Der Schweizer Klimaforscher Thomas Stocker, Co-Vorsitzender der Arbeitsgruppe Wissenschaft im IPCC, gibt zu bedenken, dass in den Autorenteams des Weltklimarates auch Klimaskeptiker vertreten seien. So habe zu seiner Gruppe für den dritten IPCC-Bericht etwa Richard Lindzen vom Massachusetts Institute of Technology (MIT) gehört. "Er hat von Anfang an an dem Kapitel mitgearbeitet, für das ich als koordinierender Hauptautor zuständig war, und nachher seine Unterschrift daruntergesetzt", sagte Stocker der "Neuen Zürcher Zeitung".

Der IPCC-Vorsitzende Rajendra Pachauri sagte dem britischen Sender BBC, die Vorwürfe seien ernst und der Weltklimarat werde sie im Detail untersuchen. "Wir wollen bestimmt nichts unter den Teppich kehren."

Große Empörung trifft CRU-Direktor Jones, der in einer E-Mail von 1999 über einen "Trick" schreibt. Jones erläuterte der BBC, es gehe dabei nicht um irgendeine Schummelei, sondern um eine clevere Methode der Datenauswertung für ein bestimmtes Diagramm. "Es ist lächerlich nahezulegen, dass dies auf irgendetwas Unlauteres verweisen könnte."

"Da E-Mails normalerweise privat gemeint sind, sind die Schreiber, sagen wir, etwas freier in ihrer Ausdrucksweise als in einem öffentlichen Statement", heißt es auf der Klimaforscher-Internetseite realclimate.org. Sie wird unter anderem von dem ebenfalls in diesem Zusammenhang von Skeptikern kritisierten Michael Mann von der Pennsylvania State University betrieben. Der Inhalt der gehackten E-Mails sei wenig überraschend.

"Interessanter ist, was sich nicht in den E-Mails findet", heißt es weiter. "Es gibt keinen Beleg für eine weltweite Verschwörung [...], kein Zugeständnis, dass die globale Erwärmung eine Ente ist, keine Belege für die Verfälschung von Daten und keine Marschbefehle unserer sozialistischen/kommunistischen/vegetarischen Gebieter", schreiben die Forscher. Die wahrhaft Paranoiden würden dies indes vermutlich damit erklären, dass auch die Hacker selbst Teil der Verschwörung seien.

Mann vermutet hinter dem Datenklau eine gezielte Sabotage-Aktion. "Es ist kein Zufall [...], dass dies in den Wochen vor dem Klimagipfel in Kopenhagen geschah", sagte Mann dem Internetdienst accuweather.com. Seine Hauptsorge sei, dass diese künstliche Kontroverse nun nicht die Politiker ablenke.

Während die britische Polizei im Datenklau ermittelt, nannte der britische Umweltminister Ed Miliband jeden Versuch, ein neues Klimaabkommen zu sabotieren, "abgrundtief verantwortungslos". Und jede Andeutung einer Verschwörung von Wissenschaftlern, um Beweise für den Klimawandel zu fälschen, sei "absoluter und äußerster Nonsens". (dpa/tc)