Client-Server wirft Frage nach Zustaendigkeiten auf "Missverstaendnisse" zwischen zentraler DV und Fachbereichen haeufen sich

01.04.1994

Schon immer war die unternehmensinterne DV/Org.-Abteilung der Kritik ausgesetzt. Mitarbeiter aus Fachbereichen aergerten sich darueber, ihren DV-Spezialisten hilflos ausgeliefert zu sein. Von der Anwendung ueber die Bildschirmgestaltung bis hin zur Organisation bestimmte die DV, wie ein Arbeitsplatz auszusehen hatte. Inzwischen ist diese Top-down-Struktur passe: Neue Management-Konzepte, in deren Mittelpunkt Geschaeftsprozesse und nicht mehr Unternehmensfunktionen stehen, fordern vernetzte Organisations- und DV-Strukturen anstelle von Hierarchien. Dieser Trend wird durch rasante Fortschritte bei PC- und Netztechnologien gestuetzt - DV-Know-how in den Fachabteilungen ist zwingend erforderlich. Wie schwierig es geworden ist, die Aufgaben und Zustaendigkeiten von Datenverarbeitung und Fachbereichen zu definieren, zeigt ein von der CW initiiertes Gespraech unter Anwendern.

Rainer Seidel geht nicht nur mit der Zunft der DV/Org.-Chefs hart ins Gericht: "Wir haben mit unseren DV-Abteilungen eine betraechtliche Unzufriedenheit bei den Anwendern erzeugt. Daran sind nicht nur wir als Informationsmonopolisten, daran sind auch die Hersteller schuld, die uns teilweise miserable, unausgefeilte und wenig flexible Werkzeuge geliefert haben", meint der DV- Manager der Schieder Moebelwerke in Schieder-Schwalenberg.

Die Mitarbeiter in den Fachabteilungen haben - fuer Seidel verstaendlich - gierig nach neuen Technologien gegriffen, weil sie den Wunsch verspuerten, sich aus ihrer Abhaengigkeit von den zentralen DV/Org.-Stellen zu befreien. Durch diese Entwicklung seien die DV-Verantwortlichen in Zugzwang geraten: "Jetzt rennen wir mit haengender Zunge hinterher, um Stroemungen zu kanalisieren, Verfahren und Architekturen bereitzustellen und die noetigen Standards zu setzen."

Ein DV-Chef im Buessergewand - diese Pose loest bei den Mitdiskutanten heftige Reaktionen aus. "Ich sehe nicht ein, warum die Mitarbeiter einer zentralen DV neuerdings in Sack und Asche herumrennen sollen", aergert sich Wolfgang Auer, Chef der IBM- Benutzervereinigung Guide. Die DV-Chefs haetten im Rahmen der ihnen zur Verfuegung stehenden technischen Moeglichkeiten gute Arbeit geleistet. Viele Anwender dummer Terminals seien durchaus zufrieden - dagegen gebe es eine Reihe ueberforderter PC-Benutzer.

Die zentrale Datenverarbeitung, so der Sprecher der IBM-Anwender, verliere keineswegs ihre Daseinsberechtigung. Aufgaben wie die Beschaffung von Produkten, RZ- und Netzbetreuung, Datenbankadministration, Release-Management, Programmdistribution oder Spezialaufgaben wie Supercomputing blieben in der Obhut der DV-Spezialisten.

Die Auseinandersetzung verdeutlicht, welche Verwirrung derzeit um Zustaendigkeiten herrscht und wie angeschlagen das Selbstverstaendnis der Fachleute in den zentralen DV-Abteilungen ist. Fachbereiche koordinieren ihre Datenverarbeitung zunehmend eigenstaendig. Sie uebernehmen Programmiertaetigkeiten und schaffen sich ihr PC- und Netzequipment selbst an, wenn sie die Moeglichkeit dazu haben. Entscheidet sich ein Unternehmen dafuer, die Ablauforganisation in den Fachbereichen mit Hilfe von Workflow- Anwendungen neu zu gestalten, so sind auch hier die Kompetenzen von Fach- und DV-Abteilung neu zu ueberdenken: Know-how wandert in die Abteilungen. Ebenso obliegt die Anschaffung von Standardsoftware zunehmend den Fachbereichen, denn nur sie wissen, was wirklich benoetigt wird.

Schliesslich stellt auch die Einfuehrung von Client-Server-Konzepten die Abteilungen vor neue Herausforderungen: Ihre Aufgaben reichen von der Datensicherung ueber die Systemverwaltung bis hin zur Auswahl beziehungsweise Entwicklung geeigneter Software. Je nach Definition von Zustaendigkeiten werden die zentrale DV, der ihr in der Regel zugeordnete Benutzerservice, die Abteilung fuer Buerokommunikation beziehungsweise -organisation oder der DV- Koordinator eingespannt.

Gerade das keineswegs neue Berufsbild des DV-Koordinators, so zeigte die CW-Diskussion, dokumentiert die Unsicherheit ueber IT- Zustaendigkeiten: Diese Mitarbeiter befinden sich im Grenzbereich zwischen IT und Fachbereich. "Hierarchisch gehoeren unsere DV- Koordinatoren nicht zur Abteilung Datenverarbeitung", berichtet Dietrich Lueben, Leiter des PC-Bereichs und verantwortlich fuer Buerokommunikation beim ADAC in Muenchen. "Sie gehoeren zu den Fachbereichen - aber eigentlich sind es DV-Mitarbeiter mit speziellem Fachbereichs-Know-how."

Diese Angestellten benoetigen laut Lueben ein geruettelt Mass an DV- Kenntnissen sowohl in hardware- und softwaretechnischer als auch in ablauforganisatorischer Hinsicht. "Sie muessen in Zukunft den Workflow mitdesignen. Sie muessen mithelfen, damit die richtigen Tools eingesetzt werden und alles zusammenpasst."

Diese Einschaetzung findet bei den Gespraechspartnern keineswegs unge- teilte Zustimmung. Franz Dietl, DV-Chef der WWK Versicherungen in Muenchen, definiert: "Der DV-Koordinator hat sich um fachbezogene Dinge zu kuemmern - dazu ist er den Fachbereichen zugeordnet. In unserem Falle heisst das, er muss sich mit den fachbezogenen Anwendungen fuer Lebensversicherung, Unfallversicherung etc. befassen."

Die Unsicherheiten ueber Zustaendigkeiten verstaerken sich noch, wenn Unternehmen damit beginnen, ihr Geschaeft im Sinne eines Business Re-Engineering neu zu ordnen. Konzerne zerfallen in Tochtergesellschaften, von denen einige den Auftrag haben, unternehmensweit Dienstleistungen anzubieten - die DV gehoert in der Regel dazu. Die Schieder-Moebelwerke beispielsweise sind in 53 Gesellschaften aufgeteilt worden. Dem IT-verantwortlichen Profit- Center stehen sieben "Orga-Partner" in den anderen Gesellschaften zur Seite, semiprofessionelle Mitarbeiter aus den Fachbereichen.

"Gemeinsam mit diesen Leuten legen wir fest, was demnaechst die Fachabteilungen und was wir machen", erlaeutert DV-Chef Seidel. "Wir haben zum Beispiel definiert, dass wir fuer Software-Updates verantwortlich bleiben und die Auswertung an den Arbeitsplatz verlagert wird. Wir garantieren auch die Konsolidierung aller Daten - wir verpflichten uns, die Informationen ueber die verteilte Umgebung hinweg zu besorgen. In der Software-Entwicklung stellen wir nur noch Basisprodukte her und suchen uns am Markt die ergaenzenden Fremderzeugnisse, die von der Logik her passen. Listen und Formulare basteln nicht mehr wir; das machen jetzt die Fachabteilungen selbst."

Dass die Neuverteilung der Aufgaben zwischen DV und Fachbereichen zu neuen Berufsbildern fuehrt, zeigt das Beispiel der WWK Versicherungen. "Wir brauchen Leute, die sich um das Vakuum zwischen DV-Zentrale und Fachabteilung kuemmern", erklaert DV-Chef Dietl. "Unternehmensuebergreifende Aufgaben wie Groupware, optische Archivierung, unternehmensweite Textverarbeitung, Schulung, abteilungsuebergreifende Logistik etc. werden bei uns jetzt von einer eigenen Gruppe, der 'Infrastruktur', betreut." Diesen fuenf DV-Spezialisten sollen bei der WWK-Versicherung demnaechst DV- Koordinatoren aus den Fachabteilungen zugeordnet werden.

Innerhalb der IT-Welt gewinnt auch der Teamgedanke eine neue Bedeutung. Sollen Client-Server-Projekte realisiert werden, so muessen sich Datenbank-, Netz- und Systemspezialisten an einen Tisch setzen. "Client-Server erfordert mehr Team", konstatiert Matthias Schulta, Fachbereichsleiter Information und Organisation beim TUEV Suedwest in Mannheim. "Wir brauchen mehr als das Spezialwissen einzelner Leute. Der Netzspezialist muss sich im Datenbank- und Systembereich auskennen und umgekehrt - sonst koennen die sich nicht unterhalten. Schliesslich ist auch der Benutzerservice ein- zubeziehen, denn beim Endanwender laeuft das Client-Programm."

Mit dieser Erkenntnis steht Schulta nicht allein da. Die Schieder Moebelwerke haben eine radikale Konsequenz gezogen: Das klassische Organigramm ist der Projektorganisation gewichen. "Wir definieren nur noch Generalthemen", erklaert DV-Chef Seidel. "Diese werden jemandem zugeordnet, der sich seine Partner abteilungsuebergreifend sucht. Bei uns loest eine Team- die Abteilungsorganisation ab."