Client-Server-Loesung fuer das dokumentaere Auslandsgeschaeft MAN AG verlagert Abwicklung von Nixdorf-8860 auf den PC Von Detlef Lietfien*

04.02.1994

Der MAN-Konzern zaehlt zu den fuehrenden europaeischen Anbietern von Investitionsguetern. Ueber die Haelfte der 19 Milliarden Mark Jahresumsatz entfallen auf den Export. Fuer die internationalen Geschaefte werden im Auslandsbereich der MAN AG die traditionellen Instrumente des Dokumentengeschaefts eingesetzt. Mit der Einfuehrung einer Client-Server-basierten Standardsoftware in einem PC-Netz wurden die in diesem Geschaeftsbereich zeit- und personalaufwendigen Ablaeufe wesentlich beschleunigt.

Im MAN-Konzern wird das gesamte dokumentaere Auslandsgeschaeft in der konzernleitenden Obergesellschaft, der MAN AG, analog zur Verfahrensweise bei den Banken abgewickelt. Akkreditive beziehungsweise Garantien werden der Obergesellschaft durch Banken angezeigt und von dort an die jeweiligen Konzerngesellschaften avisiert. Die Lieferdokumente werden von den jeweiligen Konzerngesellschaften erstellt und nach Pruefung von der Obergesellschaft an die Banken weitergeleitet. Auszahlungen der Banken erfolgen an die Obergesellschaft und werden mit den Konzerngesellschaften verrechnet.

Wartung der Software war nicht mehr sicher

Fuer die Abwicklung des dokumentaeren Auslandsgeschaefts ist in der Holding die Abteilung FGA "Bereich Finanzen, Abwicklung Ausland" mit insgesamt sechs Mitarbeitern zustaendig. Das Avalgeschaeft uebernimmt die Abteilung FEG "Garantien und Buergschaften" zentral fuer die MAN-Konzerngesellschaften. Die beiden Abteilungen setzten bis Anfang 1992 ein 8860-System von Nixdorf ein. Der Bereich FGA verwaltete seine Inkassi mit einer Standardsoftware, mit der auch Akkreditive ab Behebung abgewickelt wurden. Der Bereich FEG verwendete ein speziell auf seine Beduerfnisse abgestimmtes, in Cobol geschriebenes Programm, das jedoch keine Textverarbeitung beinhaltete.

Das neue DV-Konzept der MAN AG zielte auf die Abloesung der auf der Nixdorf-Anlage eingesetzten Anwendungen. Der Rechner war zu diesem Zeitpunkt technologisch veraltet und voellig ueberlastet. Fuer die eingesetzte Standardsoftware konnte zudem laengerfristig eine ordnungsgemaesse Einhaltung des Wartungsvertrages nicht garantiert werden. Ausserdem war die Software nicht in der Lage, die wachsenden Anforderungen der Fachabteilung zu erfuellen.

"Die Probleme mit der Software fuehrten in der Abteilung FGA zu zeitaufwendigen Doppelerfassungen der Daten bei gleichzeitig unzumutbaren Antwortzeiten in den Dialogen", so Abteilungsleiter Andreas Maier. "Zudem ist der Arbeitsumfang in den letzten Jahren enorm angestiegen." Fuer die Abteilung FEG gestaltete sich die Situation aehnlich. Es galt, eine Loesung zu finden, die ohne Personalaufstockung die Abwicklung hoeherer Stueckzahlen sowie die Entlastung von Routineablaeufen ermoeglichte.

Fuer die Abloesung der Nixdorf-Maschine und den Einkauf einer modernen Standardsoftware standen zunaechst viele Alternativen zur Verfuegung. Doch schon bald kristallisierte sich heraus, dass Host- Loesungen nicht in Frage kamen. Sie hatten immer zwei gravierende Nachteile: Zum einen kosten Standardloesungen fuer den Mainframe ab 500 000 Mark aufwaerts, zum anderen sind die bekannten Probleme, die bei einer Textverarbeitung auf Grossrechnern auftreten, nicht unter den Teppich zu kehren.

Das Erzeugen akkurater Vorlagen und Statistiken ist ohne weitere Nachbearbeitung nicht moeglich.

Projektleiter Franz Frischhut formuliert die Anforderungen: "Wir suchten ein Produkt, das alle Probleme der beiden Fachabteilungen loest und darueber hinaus die gesamte Bandbreite der modernen Kommunikationsmittel und Schnittstellen abdeckt. Die Vielfalt der Anforderungen und die Dynamik bei dieser Art der Sachbearbeitung fuehrten dazu, dass wir eine PC-Loesung praeferierten." Doch die Suche erwies sich als schwierig. Im Bereich der reinen PC-Loesungen gab es zwar sehr guenstige Angebote, deren Funktionalitaet deckte aber nicht im entferntesten die Anforderungen der Fachabteilungen ab.

Im Bereich der mittleren Datentechnik entdeckte man dann das Produkt "Doka" der Hamburger DOS GmbH. "Leider wurde uns die Software zuerst auf einem VS-System von Wang praesentiert", so der Projektleiter, "das haette uns wieder direkt zu den proprietaeren Systemen gefuehrt, von denen wir eigentlich weg wollten." Das plattformunabhaengig konzipierte Produkt liess sich jedoch auch auf einem PC-Netz einsetzen.

Mit der Entscheidung im Februar 1992 erfolgte sofort die Installation der in den Fachabteilungen notwendigen Hardware. Die MAN AG verfuegte bereits ueber ein Novell-Netz mit etwa 150 Clients. Das Unternehmen setzte bereits vor einigen Jahren, insbesondere im Konzern-Controlling, auf die Client-Server-Technologie. Insofern entsprach das neue Anwendungssystem dieser Philosophie.

Zunaechst wurde das Netz auf die Betriebssystem-Version Novell Netware 3.11 aufgeruestet. Von den vier vorhandenen Servern des Typs "AST 4/86" mit 200 MB Plattenkapazitaet, 8 MB Hauptspeicher und 33-Megahertz-Taktung wurde ein Geraet uebergangsweise als Daten- Server abgestellt. Als Clients dienten AST 4/86-PCs mit 100 MB Plattenkapazitaet, 4 MB Hauptspeicher und ebenfalls 33 Megahertz Taktfrequenz.

Das Konzept fuer die Verteilung der Anwendungssoftware im Netz war schnell erstellt. Die etwa 270 Programme des Paketes wurden einmal als Mutterversion installiert. Von dort luden die DV-Fachleute mit Hilfe spezieller Download-Prozeduren jeweils eine Gesamtkopie auf den einzelnen Client. Das lokale Speichern der Programme belegt auf der Platte etwa 15 MB und entlastet den Datenverkehr auf den Leitungen wesentlich.

Schwieriger gestaltete sich allerdings die Entscheidung, wie die Daten im Netz gespeichert werden sollten. In jedem Fall sollten sie zentral im Netz abgelegt werden, damit alle Sachbearbeiter mit demselben Datenbestand arbeiten koennen. Dies stellte an sich kein Problem dar, nur wollten beide Fachabteilungen eine eigene Datenbank.

Der Grund dafuer liegt in der Art der Geschaefte, die beide Fachabteilungen abwickeln. Obwohl beide demselben Zweck dienen, ergeben sich doch grosse Unterschiede im Detail.

Spezielle SW-Struktur macht Loesung portabel

Alle betriebssystemnahen Operationen der modularen Software sind aus dem reinen Anwendungssystem ausgelagert. Sie werden von einer speziellen Umgebungssoftware ausgefuehrt, die auch die Plattformunabhaengigkeit ermoeglicht. Theoretisch koennte man morgen auf Unix umsteigen, die Abteilungsloesung wandert unveraendert mit. Fuer die spezifische Anpassung der Anwendung an die Kundenanforderungen verfuegt das System ueber einen zentralen Parameterbestand.

Jede Abteilung hat ihre eigene zentrale Datenumgebung fuer Geschaeftsdaten, Musterdokumente (notwendig fuer die automatisierte Korrespondenz), Geschaeftskorrespondenz, Telexe sowie fuer die Buchungs-Schnittstelle und fuer statistische Daten. Doch bei der Installation der Auslandssoftware mit den beiden zentralen Datenbanken wurden im Rahmen der Einfuehrung schnell zwei Engpaesse deutlich. Zum einen war der fuer den Auslandsbereich abgestellte Daten-Server sowohl in der Plattenkapazitaet als auch im Hauptspeicherausbau zu schwach dimensioniert, was sich deutlich im Antwortzeitverhalten der Anwendungsprogramme niederschlug. Zum anderen erwies sich bei dem erhoehten Datenverkehr auf den Leitungen das eingesetzte Breitband-Koaxial-Kabel als Hemmschuh.

Die vier Server wurden deshalb durch zwei neue NCR-3447-Geraete mit 486er Prozessor ersetzt. Die Rechner verfuegen jeweils ueber 64 MB Hauptspeicher und arbeiten mit einer Taktgeschwindigkeit von 50 Megahertz. Die Plattenkapazitaet betraegt je 6 GB. Die Anwendungssoftware fuer den Auslandsbereich und die beiden Datenbanken sind auf einem Server installiert, die uebrigen Programme sind auf beide Server verteilt. Im Normalbetrieb werden beide Server eingesetzt. Sollte ein Rechner ausfallen, uebernimmt der noch funktionsfaehige Server beide Plattenstapel. Die Server werden nicht gespiegelt betrieben, stattdessen wird ein Disk-Array (Raid 5) eingesetzt.

Ein Austausch des Breitbandkabels war zu diesem Zeitpunkt zwar bereits geplant, aber noch nicht realisiert. Das neue Netz soll in Form einer strukturierten Verkabelung mit Lichtwellenleiter im Steigungsbereich und kombinierten Kupfer- und Glasfaserkabeln im Horizontalbereich aufgebaut werden. Eine derartige Massnahme stellt bei den Groessenordnungen des MAN-Netzes jedoch eine kostspielige Investition dar. Bis zu dessen Realisierung muss deshalb auch mit dem vorhandenen Breitband die Funktionsfaehigkeit sichergestellt sein. Um den Datenverkehr auf den Leitungen zu entlasten, baute der Softwarehersteller Cache-Logiken in das Anwendungspaket ein, die durch das lokale Zwischenspeichern besonders haeufig eingelesener Daten und Parameter die Antwortzeiten spuerbar verbesserten.

Anfang Juni 1992, drei Monate nach der Installation der Software, fiel der Startschuss fuer den Produktiveinsatz der Anwendung. Schon nach kurzer Zeit sorgten die insgesamt zwoelf Sachbearbeiter fuer einen heftigen Datenverkehr auf den Leitungen. In unregelmaessigen Abstaenden stieg ein Client mit der stereotypen Meldung "Disk error on drive F" aus. Ein Disk error lag nie vor, die Meldungen wurden von ueberlasteten Netzkarten produziert. Leider kamen diese Fehlermeldungen in unregelmaessigen Abstaenden und unter sehr ungleichen Begleitumstaenden, so dass sich die Ursache fuer die Ueberlastung erst sehr spaet einkreisen liess.

Bei MAN werden etwa 150 Breitband-Netzkarten fuer drei verschiedene Kanaele (Frequenzbereiche) eingesetzt. Durch eine ueberdurchschnittlich aktive Benutzergruppe war ein Kanal ueberlastet. "Wir vermuteten, dass damit eine kritische Grenze ueberschritten wurde, und verteilten in den Sachbearbeiter-Clients der beiden Fachabteilungen gleichmaessig die verschiedenen Netzkartentypen", erlaeutert der Projektleiter. "Und wir hatten recht: Die Netzverfuegbarkeit ist dadurch deutlich gestiegen."

SAP-Connection erfolgt via Batch-Input-Mappen

Als die Sachbearbeitung in beiden Abteilungen problemfrei arbeiten konnte, stand die Realisierung der Schnittstellen zur SAP- Buchhaltung auf dem IBM-Host und zu dem Telex-System an. Die PC- Anwendung exportiert die Umsatzdaten bereits in verbuchungsfaehigem Format in sequentielle Transportdateien, die in einem bestimmten Datenpfad abgelegt werden. Von der SAP-Seite holt sich der Buchhalter die Buchungsdaten ueber das Netz ab. Parallel wird auf dem Mainframe ein Schnittstellen-Programm gestartet, das eine Batch-Input-Mappe erstellt. Der Buchhalter verbucht somit die Buchungsdaten mit allen Pruefroutinen der Dialogerfassung.

Aehnlich wie die Buchungsdaten werden auch die Telexe in einem bestimmten Datenpfad auf dem Netz abgelegt. Die notwendige Telex- Stichzahl wird ueber ein Programm "SZE" von der Stadtsparkasse Koeln ermittelt und in die Ausgangstelexe eingetragen.

Das Telex-Direkt-System "Com-M-Tex" prueft in einem 30-Sekunden- Zyklus, ob versandfertige Telexe im Netz warten. Wenn ja, werden diese in der Reihenfolge ihrer Prioritaet versendet. Fuer die Kontrolle des Sendejournales des Telex-Systems hat die MAN AG ein Programm entwickelt, das alle 30 Sekunden das Journal liest und je nach Nachrichtenart einzelne Nachrichten ueber das Netzwerk schickt.

Die Meldungen ueber Erfolg oder Misserfolg des Telex-Versandes erscheinen immer auf dem Bildschirm des zustaendigen Sachbearbeiters, ungeachtet, mit welchem Programm dieser gerade arbeitet. Jeder Sachbearbeiter hat in seinem Anwendungsmenue Zugang zu dem Verwaltungsprogramm fuer die Telex-Warteschlange und kann selbstaendig Telexe einfuegen, korrigieren oder aus der Warteschlange entfernen. Frueher war das Telex-System ein echter Engpass - heute treten fuer den einzelnen Sachbearbeiter praktisch keine Wartezeiten mehr auf.

Neben den Nachrichten-Schnittstellen verfuegt die Loesung auch ueber eine Dbase-Schnittstelle fuer das Erzeugen von beliebigen Adhoc- Auswertungen als Ergaenzung zum integrierten Management- Informationssystem. Das entsprechende Modul exportiert saemtliche Geschaeftsdaten inklusive der vollstaendigen Adressinformationen aus dem Datenbestand in sequentielle Dateien, die in einem Dbase- Format strukturiert sind. Dieser Export findet ueblicherweise Job- gesteuert in der Nacht statt, um das Tagesgeschaeft nicht zu belasten.

Die MAN AG hat eigene Clipper-Routinen erzeugt, die diese taeglich aktualisierten Daten auswerten. Bei der Ermittlung eines Laenderrisikos benoetigt dieses Auswertungssystem nur wenige Sekunden, um eine vorzeigbare Liste zu liefern. Fuer die beiden Abteilungsleiter ist dies eine grosse Erleichterung: "Frueher haetten wir stundenlang saemtliche Handakten nach den erforderlichen Daten sichten muessen."

Ueber eine weitere Standard-Schnittstelle arbeitet die Anwendung mit dem Textsystem Word 5.0 zusammen. Rainer Goess, Gruppenleiter in der Abteilung FGA, war verantwortlich fuer den gesamten Aufbau der Musterkorrespondenz, die - einmal definiert - bei den Geschaeftsabwicklungen fuer die interaktive Generierung der Ausgabedokumente verwendet wird.

Der Clou bei den von Goess gestalteten Mustern ist das Wechselformular. Heute wird es, wie jedes andere Dokument auch, von dem Sachbearbeiter im Dialog ausgefuellt und automatisch im korrekten Layout auf dem Laserdrucker ausgegeben. Frueher musste man die Wechselvordrucke muehsam via Schreibmaschine manuell ausfuellen.

Job-gesteuerte Datensicherung

Neben dem Export der Dbase-Daten gehoeren zu den naechtlichen Standardjobs auch die taegliche Reorganisation der beiden Datenbanken und die automatischen Loeschlaeufe, die nicht mehr benoetigte Ausgabedokumente nach einer gewissen Frist loeschen.

Die taegliche Datensicherung und die woechentliche Gesamt- sicherung der Server findet ebenfalls Job-gesteuert statt. Um mindestens vier Jobs parallel fahren zu koennen, setzt der Operating-Bereich zu diesem Zweck einen Client mit OS/2-Betriebssystem ein. Die MAN AG hatte die Job-Steuerung erst unter Windows probiert, was sich aber wegen sporadischer Programmabstuerze als nicht geeignet erwies.

Nach einem Jahr der Systemnutzung hat die MAN AG bereits neue Ideen fuer die Organisation der Sachbearbeitung entwickelt. "Wir denken daran, mittelfristig Image-Verarbeitung einzufuehren, um postalisch eingehende Nachrichten vorgangsbezogen einzuscannen und online zu archivieren", erwaehnt der Projektleiter.

Heute sind die Abteilungsleiter von FGA und FEG einer Meinung: Die Einfuehrung der Standardloesung auf dem PC-Netz war eine gute Entscheidung. "Auf den proprietaeren Systemen haetten wir keine entsprechende Anwendung realisieren koennen."