Client-Server-Anspruch wird langsam Realitaet Anwender diskutierten ueber Risiken und Vorteile verteilter DV- Strukturen

24.11.1995

Client-Server-Architekturen sind heute der DV-Normalfall, so scheint es. Ein Blick hinter die Kulissen stimmt allerdings skeptisch. Derzeit bedeutet Client-Server in vielen Unternehmen vor allem: zentrale Datenhaltung mit PC-Tools an den Arbeitsplaetzen. An drei- oder mehrstufige Konzeptionen trauen sich bislang nur wenige heran. Einer der Gruende liegt wohl darin, dass Datenkonsistenz und -sicherheit verteilter Umgebung bislang Probleme aufwerfen. Trotzdem sind die ersten Unternehmen heute schon bereit, die notwendige organisatorische Vorarbeit zu leisten, um Client-Server-Systeme zu schaffen, die ihre groesste Staerke, die Flexibilitaet, voll ausspielen koennen. Das bestaetigten die Vortraege auf der "Client Server World", einer von der COMPUTERWOCHE veranstalteten Kongressmesse.

Als Reizthema des DV-Marktes ist Client-Server von anderen Schlagwoertern abgeloest worden. Schon sprechen die Marktbeobachter von einer Vertrauenskrise der Anwender gegenueber dem Client- Server-Computing. Wieder einmal haetten Berater und Marketiers den Kundenunternehmen mehr versprochen, als die von ihnen angepriesenen Produkte einloesen konnten. Vergessen wird dabei meist, dass es sich bei Client-Server eben nicht um die Summe unterschiedlicher Produkte, sondern um ein Konzept fuer die Gestaltung der unternehmensweiten Informationssysteme handelt.

Die grossen Anwenderunternehmen haben erst in juengster Vergangenheit begonnen, ihre zentralen DV-Strukturen zu verteilen, also die Datenhaltung auch physisch von der Anwendungsebene zu trennen. Dass sie dabei aus Gruenden der Investitionssicherung nicht der reinen Lehre des Client-Server-Computings folgen wollen, versteht sich fast von selbst. Wie so oft klaffen auch hier der Anspruch der Gurus und die Realitaet der Betriebe auseinander.

Meist bleibt der Mainframe als Superserver der Mittelpunkt der IT- Umgebung. In einigen Faellen fungieren die angeschlossenen PC- Clients denn auch nur als intelligente Terminals mit einem huebschen User-Interface. Doch viele Unternehmen bemuehen sich bereits um eine Middleware-orientierte Infrastruktur, die eine Zwei-Wege Kommunikation zulaesst.

"Wir befinden uns im Uebergang von der ersten zur zweiten Client- Server-Generation", resuemierte Dieter Jenz, Geschaeftsfuehrer der Unternehmensberatung Jenz & Partner mit Sitz im hessischen Erlensee, am ersten Kongressabend. Die Zwei-Schichten-Architektur eigne sich zwar fuer kurzlebige, "taktische" Anwendungen auf Abteilungsebene. Aber "alles, was laenger als drei Jahre leben soll", muesse heute dreistufig konzipiert werden.

Ein Beispiel dafuer, wie eine solche Architektur aussehen kann, praesentierte die Dresdner Bank AG, Frankfurt am Main. Mit Unterstuetzung der Norcom GmbH, Muenchen, hatte die Grossbank eine Middleware-Schicht zwischen die Anwendungs- und die Systemebene eingezogen.

Dadurch schuf sich der Finanzdienstleister unter anderem eine einfache Schnittstelle fuer Kommunikationsaufrufe, ein Schaltpult fuer netzweite Sicherheitsfunktionen sowie die Moeglichkeit, die Anwendungsaufteilung flexibel zu modellieren. Prokurist Michael Baumartz bekannte sogar: "Ohne eine solche Schicht waere eine stringente Umsetzung unserer Vorstellungen nicht moeglich gewesen."

Die Finanzwirtschaft ist einer der Geschaeftszweige, fuer die eine funktionstuechtige Informationstechnik zu den ueberlebenswichtigen Unternehmensressourcen zaehlt. Da nimmt es kaum Wunder, dass die Bankkonzerne auch auf dem Client-Server-Kongress bestens vertreten waren. Die Eroeffnungsrede hielt Peter Gerard, Generalbevollmaechtigter der Deutsche Bank AG, Frankfurt am Main. Er ging darin der Frage nach, ob die Informationstechnik-Branche fuer die Herausforderungen des naechsten Jahrtausends bereit sei.

Drei Haupttrends der Informationsverarbeitung hat Gerard ausgemacht: die globale Verfuegbarkeit von Daten, das Realtime- Processing im Netz und die Integration heterogener Systemwelten - ein Faktum, mit dem sich die Informations-Manager auch in Zukunft wuerden abfinden muessen. Client-Server-Architekturen sorgen dafuer, so der Deutsche-Bank-Mitarbeiter, dass sich diese Umgebungen besser strukturieren und ueberschauen lassen.

Ein Problem stelle jedoch nach wie vor die Betriebssicherheit der heterogenen und zumeist in Echtzeit arbeitenden IT-Systeme dar. Adaequate Tools fuer die effiziente Steuerung und Pflege weitflaechiger Client-Server-Netze seien bislang Mangelware. Deshalb bedeuten verteilte Strukturen laut Gerard ein "enormes Management-Risiko", das nur durch eigene Entwicklungen abgefangen werden koenne. Diese Auffassung teilten viele der nachfolgenden Redner.

Zu ihnen gehoerte der Muenchner Unternehmensberater Richard Nussdorfer, Geschaeftsfuehrer der CSA Consulting GmbH. Seiner Ansicht nach ist die Sicherheit das am meisten unterschaetzte Thema im Client-Server-Umfeld.

Nussdorfers Hauptanliegen bestand jedoch darin, die Zuhoerer vor einer allzu zaghaften Annaeherung an das Client-Server-Prinzip zu warnen. Seine Empfehlung lautete sinngemaess: Entwerfen Sie zunaechst ein Unternehmenskonzept, und nehmen Sie erst dann ein Client- Server-Projekt in Angriff - nicht etwa umgekehrt! Die gegenseitigen Abhaengigkeiten vernetzter Systeme liessen sich nur mit Hilfe einer ganzheitlichen Sicht und vernetztem Denken beherrschen.

Wer mit der Client-Server-Einfuehrung auf verringerte DV-Kosten spekuliert, sei gewarnt: Laut Nussdorfer erfordern die notwendigen Investitionen bisweilen eine Verdoppelung des IT-Budgets. Unter dem Strich erweise sich der Umstieg auf dezentrale DV-Strukturen bestenfalls als Nullsummenspiel. Der Nutzen, der in einer Verbesserung der unternehmensweiten Kommunikation bestehe, sei nicht in Mark und Pfennig zu berechnen.

Tatsaechlich bestaetigten die Anwender, dass eine moderne DV- Landschaft zunaechst einmal grosse Investitionen erfordere - nicht nur in neues Hard- und Software-Equipment, sondern auch in zusaetzliche Integrationstests sowie in die Ausbildung der Mitarbeiter. Die erwarteten Vorteile liessen sich hingegen kaum in Zahlen ausdruecken.

Auch Helmut Rueberg, Bereichsleiter Informationsverarbeitung und Organisation bei der Techniker Krankenkasse, Hamburg, haelt eigenen Angaben zufolge jede Kosten-Nutzen-Analyse fuer ueberfluessig. Entscheidend sei nicht, wie sich die Investitionen gegen die Produktivitaetsgewinne aufrechnen lassen.

"Die Frage muss vielmehr lauten: Will sich das Unternehmen diese Struktur schaffen, um kuenftig beweglich zu sein?" gab Rueberg zu bedenken.

Obgleich sich diese Aussage durch viele der Anwendervortraege zog, gibt es offenbar doch DV-Manager, die der modernen IT-Umgebung bereits oekonomische Vorteile abringen konnten. So auch Erich Kertels, Abteilungsdirektor fuer einen der beiden Anwendungsentwicklungsbereiche bei der Hypo Bank AG, Muenchen.

Auf Druck der Anwender hatte das Finanzdienstleistungs-Unternehmen vor sechs Jahren die ersten Client-Server-Applikationen entwickelt: Die Infrastruktur der Bank besteht, so Kertels, aus einer Hierarchie von Servern, deren oberste Ebene drei zentrale Rechnerjumbos unter MVS bilden. Zu den Vorgaben, die dabei unter allen Umstaenden eingehalten werden sollen, gehoeren eine Systemverfuegbarkeit von 98 Prozent, also maximal fuenf Stunden Stillstand im Jahr, und Antwortzeiten unter drei Sekunden.

Obwohl die Initiative fuer die Umgestaltung der Systemlandschaft nicht von der DV-Abteilung ausging, beurteilt Kertels diese Entscheidung positiv: Der erhebliche Aufwand fuer die Implementierung der Anwendungen sowie fuer die technischen und organisatorischen Voraussetzungen habe sich ausgezahlt - vor allem aufgrund der Akzeptanz von seiten der Endanwender.

Da zu einem grossen Teil bereits existierende Anwendungen fuer 3270- Terminals in die neue Struktur uebertragen wurden, war es moeglich, die Auswirkungen der Client-Server-Architektur auf die Produktivitaet der Mitarbeiter zu beobachten. Anhand von vier exemplarischen Anwendungen suchte Kertels dem Auditorium zu vermitteln, dass jede investierte Mark innerhalb von sieben Jahren Einsparungen in doppelter Hoehe mit sich bringe. Die Zuhoerer monierten allerdings, dass er die Lebensspanne der Anwendungen sowie die Abschreibungsdauer fuer die PCs mit sieben Jahren ein wenig zu lang angesetzt habe.

Auch Ralf Cabos, Leiter Flugvorbereitung bei der Deutschen Lufthansa AG, Frankfurt am Main, hatte einen quantifizierbaren Nutzen vorzuweisen. Mit Hilfe einer Client-Server-basierten Anwendungsloesung koenne das Luftfahrtunternehmen seine Flugwege heute wesentlich schneller planen als zuvor. In drei Minuten statt einer Stunde lasse sich jetzt berechnen, welchen Weg eine Maschine fliegen muesse, um zwischen Abflug- und Ankunftsflughafen einerseits moeglichst guenstige Wetterkonditionen anzutreffen und andererseits die Menge des verbrauchten Treibstoffes auf dem geringstmoeglichen Level zu halten.

Dieser Zeitersparnis hat es die Lufthansa zu verdanken, dass sie die Flugwege heute wirklich optimal planen kann. Frueher liessen sich einige der extrem veraenderlichen Parameter - beispielsweise das Wetter oder das endgueltige Ladegewicht - aufgrund der langen Vorlaufzeiten nicht mit der notwendigen Praezision beruecksichtigen. Die jetzige hoehere Flexibilitaet der Client-Server-Anwendung schlaegt sich unter anderem in geringeren Treibstoffkosten nieder.

Wie Cabos mit einem gewissen Stolz berichtete, haben bereits drei weitere Flug-Carrier - Air Canada, Allitalia sowie ein tuerkisches Charterunternehmen - Interesse an der Applikation angemeldet. Die Lufthansa wird ihnen nicht nur die Software liefern, sondern ueber eine Frame-Relay-Leitung auch aktuelle Informationen zu den Wetterbedingungen und den Startfenstern europaeischer Flughaefen weitergeben.

Trotz der positiven Erfahrungen, ueber die Kertels und Cabos referieren konnten, bleibt der Einstieg in die Client-Server-Welt ein kostspieliges Unterfangen. Deshalb warnte Luis Praxmarer, Geschaeftsfuehrer der Meta Group Deutschland GmbH, Muenchen, die Zuhoerer davor, ein solches Vorhaben als reinen Selbstzweck zu inszenieren. Der Anstoss fuer den Umbau der unternehmensweiten IT duerfe nicht von der Technik kommen. Vielmehr muesse das Argument zugunsten neuer Strukturen immer deren Wirtschaftlichkeit sein.