Der Unterschied zwischen NC und PC ist nur marginal

Citrix: Anwendungen gehören auf den Server

04.07.1997

CW: Selbst Microsoft hat jetzt in Anlehnung an Oracles CEO einen schlanken Client für 500 Dollar versprochen - natürlich mit Win- dows. Ist die gesamte Industrie auf dem Weg zu dieser Technik?

Iacobucci: Die Verwirrung im Markt ist derzeit groß. Es gibt eine Menge von Standardisierungs-Vorschlägen und um ehrlich zu sein, eine Menge ...

CW: Hype?

Iacobucci: Ich habe nach einem härteren Ausdruck gesucht, aber Hype trifft den Sachverhalt auch. Es kommt jetzt darauf an, genau zu definieren, wovon man spricht.

CW: Und wie definieren Sie den schlanken Client?

Iacobucci: Larry Ellison hat vor zwei Jahren in Paris den 500-Dollar-NC propagiert...

CW: ... wie jetzt auch Microsoft

Iacobucci: Es ist kein Kunststück, etwas zu versprechen, was es schon gibt. Bislang nannte man die schlanken Windows-Clients schlicht grafische Terminals. Aber, um auf den Punkt zu kommen, ich bin wie Ellison der Meinung, daß die meisten Leute gar keinen PC wollen. Es gibt hier zwar noch Wachstum, aber die Zeichen für eine Marktsättigung nehmen zu. Es ist unwahrscheinlich, daß sich mehr als 40 Prozent der Haushalte ein derart kompliziertes Gerät anschaffen möchten.

CW: Woran liegt das?

Iacobucci: An der Software, an ihrer Komplexität und an ihrem ständig steigenden Ressourcenbedarf.

CW: Was ist die Alternative zur PC-Technik?

Iacobucci: Jeder Haushalt, jedes Unternehmen braucht Informationsgeräte wie Radio, Fernseher, Uhren, Telefone. Um sie zu bedienen, muß man kein Techniker sein, muß nicht verstehen, wie sie funktionieren, und muß nicht ständig neue Anwendungsversionen einspielen oder den Speicher erweitern. Kurz: Ich setze das Konzept der Informationsgeräte gegen das der Computer.

CW: Ist der Browser-basierte NC kein solches Informationsgerät?

Iacobucci: Der ganze Thin-Client-Streit geht momentan darum, wer das bessere Gerät hat, nur wurde dabei vergessen, zu definieren, was generell die Aufgabe eines Gerätes ist.

CW: Nämlich was?

Iacobucci: Hier teile ich nicht mehr die Meinung von Larry, denn aus meiner Sicht unterscheidet sich der NC nicht grundsätzlich vom Net PC, der sich wiederum kaum vom PC selbst unterscheidet. Sie alle sind Computer, sie alle arbeiten lokal ihre Anwendung ab und brauchen alle vorinstallierte Systemsoftware, Objekt-Manager und was weiß ich noch alles. Das heißt, sie alle verlegen Logik in ein Gerät, das damit zum Computer mutiert.

CW: Was ist daran auszusetzen?

Iacobucci: Oberflächlich gesehen ist das ein wundervoller Ansatz mit all den Vorteilen, wie wir sie als PC-User mögen. Daß sich Software am Client weiterentwickelt, ist die Stärke, aber auch die Schwäche des Computerkonzepts. Verhindern läßt sich das Wachsen von Software nicht, denn in einem Verdrängungsmarkt werden die Hersteller immer wieder neue Funktionen anbieten müssen, um Geschäfte machen zu können.

Um in deren Genuß zu kommen, müssen die Anwender Updates vornehmen. Es ist nur eine Frage der Zeit, bis die Hardwareressoucen nicht mehr reichen. Das gilt für Windows-Programme ebenso wie demnächst für Java-Applets.

CW: Aber geht die Entwicklung denn nicht längst in Richtung schlanker Softwarekomponenten anstatt in das Aufblähen monolithischer Office-Pakete?

Iacobucci: Das ändert nichts daran, daß sich die Software verändert und man sie laden muß. Außerdem: Woher wissen Sie, ob das Applet, das gerade geladen wird, nicht eine voll ausgebaute Textverarbeitung ist, die ihre Speichermöglichkeiten sprengt? Auch gibt es Subsysteme etwa für das Drucken, die sich schwer verkleinern lassen, soll das Dokument im WYSIWYG-Verfahren aufs Papier kommen.

CW: Heißt das, wir werden immer mit großen Softwaremonolithen leben müssen - auch in Java-Umgebungen?

Iacobucci: Ja. Jedes Programm hat die unabweisbare Tendenz zu wachsen. Daran ändert auch keine Modularisierung etwas. Es macht keinen Unterschied, ob 30 MB in Form einer Anwendung oder in Form von einem Dutzend Modulen in einen Hauptspeicher von 4 MB Größe geladen werden müssen. In beiden Fällen wird der Rechner lahmgelegt.

CW: Wie ist dieses Problem zu lösen?

Iacobucci: Es läuft auf verschiedene Formen des Swapping hinaus, gleichgültig ob wie bei den ersten PCs Funktionen von Diskette oder wie später über das Netz nachgeladen werden.

CW: Das bedeutet, die Anwendung liegt wie in Mainframe-Zeiten auf dem Server ...

Iacobucci: Ja, da gehören Anwendungen hin. Es geht nicht darum, Funktionen zu besitzen, sondern darauf zugreifen zu können.

CW: Werden sich Firmen wie Microsoft, die ihr Geld im Massengeschäft machen, mit einem solchen Modell anfreunden können?

Iacobucci: Warum nicht? Der Lizenzpreis kann sich ja an den Benutzerzahlen oder Zugriffen orientieren.

CW: Die Anwender könnten sich wehren. Schließlich haben sie Jahre gebraucht, um gegen die DV-Zentralen die restriktiven Terminals durch die individuell konfigurierbare Anwendungsumgebung der PCs zu ersetzen.

Iacobucci: Das sind geschulte Leute, die in der Lage sind, die Möglichkeiten des Betriebssystems und der Anwendungen zu nutzen und auf ihre Bedürfnisse zuzuschneiden. In den Unternehmen sitzen aber viele Menschen, die mit dieser Technik überfordert sind. Dort muß man dafür sorgen, daß sie ihre Arbeitsumgebung nicht durch falsche Mausklicks beschädigen.

CW: Das heißt, daß die Anwendung von einer Zentral-DV gesteuert und überwacht wird.

Iacobucci: Bei wichtigen Anwendungen, bei Finanztransaktionen, Reisebuchungen und ähnlichem, ist es einfach besser, wenn die DV-Abteilung dafür verantwortlich ist, daß die Anwendung funktioniert, wie sie soll.

CW: Ist das die Rückkehr zur Mainframe-Welt?

Iacobucci: Die Welt hat sich geändert. Es wird keinen Rückfall in die 60er Jahre geben.

CW: Abgesehen von den grafischen Oberflächen - worin besteht der Unterschied?

Iacobucci: Als die IBM für kontrollierbare Zentral-DV gegen den PC-Wildwuchs argumentierte, hieß das: Verwendet unsere Mainframes, unser MVS-Betriebssystem, unsere Datenbank, unsere Applikationen, unsere Tools und unsere Terminals. Heute dagegen haben die Benutzer freie Auswahl beim Betriebssystem, bei den Anwendungen und bei der Entwicklungsumgebung. Wenn sie die Anwendungen auf einem zentralen Server lassen, haben sie zudem den klassischen Mainframe-Vorzug, daß ihre DV-Landschaft verwaltbar bleibt.

CW: Was wird aus den PCs?

Iacobucci: Es wird nicht ausschließlich die eine oder die andere Lösung geben. Eine zentral kontrollierte Umgebung läßt sich durchaus in einen regulären Windows-PC integrieren. Dadurch erhält der Anwender ein System, das er mit Ausnahme fest definierter Bereiche, beliebig gestalten kann.

CW: Ist das die Zukunft?

Iacobucci: Es gibt weit mehr Möglichkeiten, als wir heute wahrnehmen können. Denken Sie daran, daß Anwendungen für Geräte, auf Armbanduhren oder auf dem Fernseher ganz anders aussehen müssen als ein Windows-Programm. Die Bedienung muß viel einfacher sein. Das ist ein Riesenmarkt für Entwickler. Ein Markt, der viel größer ist als der für Computer-Freaks.