Zentrale Systemsoftware der Kalifornier ist umstritten

Ciscos Betriebssystem: Altlast oder Zukunftsgarant?

26.01.2001

Wer Netz sagt, muss auch Cisco sagen. Das mit Routern groß gewordene Unternehmen verfügt inzwischen über zwölf Produktlinien und stellt eine feste Größe im Netzgeschäft dar. Von Zugangslösungen für ISDN, Digital Subscriber Line (DSL), Hubs, Routern, LAN- und WAN-Switches, Funk-LANs, IP-Telefonie-Lösungen, optischen Produkten bis hin zur Sicherheit reicht die Palette. Nahezu alles, was das Netzwerkerherz begehrt, findet sich unter dem Cisco-Logo, der stilisierten Golden Gate Bridge.

Kernstück von Ciscos Netzprodukten ist das IOS. David Kirk, Senior Vice President von Ciscos IOS Technologies Division (ITD), bezeichnet die Software als "Kronjuwelen des Unternehmens und Hauptunterscheidungsmerkmal seiner Produkte". Sie dient als eine Art Betriebssystem für die Router und Switches des Herstellers. Cisco selbst legt Wert darauf, IOS nach außen nicht als Softwareprodukt darzustellen, sondern vielmehr als eine Plattform, die Netzdienste und Internet-Applikationen ermöglicht.

Für Behrooz Moayeri, Mitglied der Geschäftsleitung bei der Comconsult Beratung und Planung GmbH, Aachen, bedeutet das IOS einen Wettbewerbsvorteil für Cisco. Es biete den Kunden sehr viele Features, die einfacheren Systemen oftmals fehlten. Das mache die Software zwangsläufig komplexer, aber Anwender müssten schließlich nicht alle vorhandenen Features tatsächlich benutzen. Aus seiner Sicht spricht für das proprietäre System, dass andere Hersteller versuchen, dessen Bedienoberfläche zu kopieren.

Klaus Becker, ehrenamtlicher Vorsitzender der Benutzergruppe Netzwerke (BGNW) und hauptberuflich Berater bei Becker Training und Consulting in Mering, beurteilt die Stabilität des IOS als "im Prinzip sehr gut". Er warnt jedoch, dass das Betriebssystem instabil werde, wenn der Kunde seine Möglichkeiten voll ausschöpfen wolle: "Je mehr Funktionen man nutzt, desto kritischer wird es."

"Das" IOS gibt es eigentlich gar nicht. Vielmehr existiert eine Vielzahl von verschiedenen "Images", die aus den etwa fünfzehn Grundversionen der Software für spezielle Produkte aufgebaut sind. Bestimmte Features, etwa gewisse Routing-Funktionen (wie Open Shortest Path First = OSPF) oder die Unterstützung für einzelne Netzprotokolle sind nicht von vornherein im IOS vorhanden, sondern müssen ergänzt und extra bezahlt werden.

Doch nicht alle Features stehen für jede IOS-Version zur Verfügung. Das macht die Wahl des richtigen Produkts und des zugehörigen IOS-Images nicht einfach.

Das Problem: Ein Anwender, der ein bestimmtes Gerät gekauft hat und ein Jahr später spezielle Funktionen freischalten will, könnte feststellen, dass dies mit seiner Netzkomponente und deren IOS nicht möglich ist. Berater Becker bestätigt: "Es sind zu viele Versionen im Umlauf, die man kaum noch überblicken kann."

Abhilfe bietet Cisco auf seinen Web-Seiten mit einem "Feature-Navigator". Er soll Anwendern helfen, herauszufinden, welche IOS-Version welche Funktionen unterstützt. Dieses Tool ist für registrierte Kunden unter http://www.cisco.com/go/fn kostenlos zugänglich. Eine Einschränkung existiert allerdings: Die Hilfe unterstützt nur die IOS-Versionen 11.2, 11.2P, 11.3, 11.3T, 12.0, 12.0T, 12.1, und 12.1T.

Beim Einspielen von Erweiterungen oder neuen IOS-Versionen kann es Probleme geben. Ein Netzadministrator, der anonym bleiben möchte, schimpft: "Updates beim IOS sind jedesmal eine Katastrophe. Selbst wenn Cisco nur minimale Änderungen vorgenommen hat, muss man ganz vorsichtig hantieren. Und das kostet jedesmal natürlich richtig viel Geld."

Das IOS als solches, so der Insider, sei jedoch "nicht verkehrt". Das führt der Spezialist unter anderem darauf zurück, dass Cisco bereits zu einer Zeit leistungsstarke Geräte gebaut hat, "als die Konkurrenz noch nicht einmal wusste, was Routing überhaupt ist". Diesen Vorteil hat der Hersteller aber seiner Ansicht nach teilweise verspielt. Cisco sei "hardwaretechnisch nicht mehr am Ball". Im Gegensatz zu Konkurrenzprodukten etwa von Foundry oder Extreme Networks, bei denen Routing-Funktionen über Asics (Application Specific Integrated Circuits) getroffen werden, geschieht dies bei Cisco-Produkten mit einigen wenigen Ausnahmen noch immer über die Software. Kritiker bemängeln, das gehe zu Lasten der Performance. Die schnellere Asic-Variante gibt es lediglich für die Topmodelle der 12000er Reihe und einige andere Router.

BGNW-Vertreter Becker behauptet: "Eigentlich führt der Trend weg von softwarebasierten Routern hin zu Layer-2- und Layer-3-Switches. Cisco zieht dabei zurzeit nicht mit." Er glaubt daher, dass der Marktführer aus diesem Grund "in absehbarer Zeit nicht mehr so gut dastehen wird". Consultant Moayeri relativiert diese Aussage. Die Funktionen eines Routers lassen sich seiner Meinung nach nicht komplett auf Hardwarebasis einrichten. Alle Hersteller benötigten zusätzlich noch Software, die komplexere Funktionen erledigen kann, als bloß Datenpakete weiterzuleiten.

Ein weiterer Kritikpunkt betrifft die Konfiguration des IOS. Jeder, der sich schon einmal mit einem Cisco-Router beschäftigt hat, weiß, dass dies nicht gerade ein Kinderspiel ist. Die Betriebssoftware des Routers oder Switchs muss via Terminal (oder ein Laptop mit Terminalemulation) manuell angepasst werden. Das geschieht über kryptische Befehlszeilen, die eine bestimmte Syntax verlangen und nicht jedermanns Sache sind. Der Vorteil dabei: Das System ist effizienter, es verbraucht weniger Ressourcen als eine grafische Oberfläche. Das IOS soll insgesamt über 12000 Befehle kennen, wobei erschwerend hinzukommt, dass einige davon nicht dokumentiert sind.

Becker erklärt: "Die Features sind eigentlich nur noch von Experten bedienbar. Wenn jemand anders daran arbeitet, kann die Software instabil werden." Das kurbelt natürlich den Schulungsmarkt kräftig an. Cisco-Zertifikate wie der Cisco Certified Network Associate (CCNA), Cisco Certified Network Professional (CCNP) oder Cisco Certified Internetwork Expert (CCIE) sollen geballtes Netzwerk-Know-how bescheinigen und sind entsprechend begehrt.

Eigenen Aussagen von Cisco zufolge legen mittlerweile weltweit über 100000 Personen pro Jahr eine entsprechende Prüfung ab. Die dazugehörigen Vorbereitungskurse dürfen nur ausgesuchte Unternehmen wie Azlan, Compushack, Pro-In oder Global Knowledge anbieten, die für den Status des "Cisco Learning Partner" pro Jahr - ähnlich wie die Cisco-Beratungspartner - eine Gebühr an Cisco überweisen müssen. Außerdem wird pro Kursteilnehmer eine Abgabe fällig, die sich dem Vernehmen nach in Größenordnungen von 400 bis 500 Dollar bewegen soll.

Angewiesen sind sie auf diese Einnahmequelle nicht. Cisco weitet seine Produktpalette ständig aus und schafft sich dadurch weitere Geschäftsfelder. Das geschieht über Eigenentwicklungen, aber in zunehmendem Maße auch über Akquisitionen (siehe Kasten "Expansion durch Akquisition"). Dies birgt jedoch eine Gefahr: Die Netzwerker müssen den Nachweis erbringen, dass sie die neuen Produkte mit den bestehenden eigenen Lösungen und natürlich dem IOS auch in Zukunft integrieren können. Nur dann wird das Unternehmen erfolgreich bleiben.

Expansion durch Akquisition

In Ciscos Strategie spielen Einkäufe eine große Rolle: Kann das Unternehmen nicht mit intern entwickelten Produkten rechtzeitig auf den Markt kommen, weicht es auf die Lizenzierung von Techniken anderer Hersteller aus oder übernimmt diese Firmen gleich ganz.

Dabei haben die Netzwerker nicht immer eine glückliche Hand. Nach dem Kauf des Herstellers Lightstream (1995) kamen die Arbeiten an dessen ATM-Switch nicht wie geplant voran. Cisco musste nachlegen und wetzte die Scharte aus, indem es ein Jahr später Stratacom schluckte. In puncto Gigabit Ethernet hatte der Netzgigant ebenfalls Startschwierigkeiten. Als sich die Entwicklung einer eigenen Lösung als unerwartet schwierig erwies, kaufte Cisco Granite Systems. Dennoch hinkte der Hersteller etablierten Konkurrenten wie 3Com oder Hewlett-Packard, aber auch Newcomern wie Extreme Networks, Rapid City Communications oder Alteon Networks mit seinen Produkten weit hinterher.

Auch der bisherige Auftritt auf der Bühne des Optical Networking lässt sich nicht gerade als Glanzvorstellung bezeichnen. Heinz Deininger, Business Development Manager des Unternehmens in Deutschland, bezeichnete es gegenüber der COMPUTERWOCHE als "einen Fehler", die geplante Akquisition von Ciena Systems, einem Hersteller von Komponenten für optische Netze, nicht mit letzter Konsequenz verfolgt zu haben. Inzwischen brachte die stattdessen erfolgte Übernahme von Firmen wie Cerent, Monterey oder Qeyton zwar technisches Know-how, eine schlüssige Strategie fehlt in den Augen vieler Analysten aber noch immer.

Es reicht eben nicht aus, eine Firma nach der anderen zu schlucken (allein im letzten Jahr wurden 23 Hersteller übernommen). Cisco hat bewiesen, dass es diese Einkäufe nach einem Merger bilanztechnisch integrieren kann. Die eigentliche Herausforderung liegt jedoch darin, neue Mitarbeiter mit den bereits vorhandenen unter einen Hut zu bringen, außerdem müssen Technologien und Produkte an die eigenen Lösungen angepasst und so ein überzeugendes Gesamtkonzept entwickelt werden.

Dank seiner zahlreichen Akquisitionen verfügt das Unternehmen von Firmenchef John Chambers inzwischen über eine Produktpalette, die es ihm ermöglicht, sowohl Service-Provider und Großunternehmen als auch kleine und mittelständische Betriebe zu bedienen. Die Breite von Ciscos Produktpalette sieht der Comconsult-Berater Behrooz Moayeri als Vorteil für den Kunden, weil dieser so - abgesehen von Netzadadapterkarten - eine Gesamtlösung aus einer Hand bekommen kann. Eine homogene Infrastruktur besitze gegenüber einer gemischten Systemlandschaft den Vorteil, dass der Aufwand für Know-how-Aufbau geringer sei und zudem Mehrleistungen für Wartung und Support entfielen. Moayeri schätzt, dass dies im laufenden Betrieb einen Kostenvorteil von 25 bis 30 Prozent ausmachen kann. Berater Becker lobt außerdem den guten Support, den Cisco seinen Kunden biete.

Trotzdem sieht Moayeri für Anwender die Gefahr, von Cisco zu abhängig zu werden, wenn sie nur dessen Produkte kaufen. Dies sei bei Verwendung von Produkten mehrerer Hersteller nicht der Fall. Probleme wegen mangelnder Interoperabilität brauche man dabei nicht zu fürchten, solange man beim Einkauf auf die Einhaltung anerkannter Standards achte.