Finanzverwaltung Nordrhein-Westfalen stellt 145 Dienststellen um

CIOs kommen an Voice over IP nicht vorbei

23.07.2004
MÜNCHEN (pg) - Seit vielen Jahren gilt Voice over IP (VoIP) als Zukunftstechnologie. Doch so richtig aus den Startlöchern kam der auf dem Internet Protocol (IP) basierende Sprachverkehr bisher nicht. Das scheint sich nun zu ändern.

VoIP tritt langsam, aber sicher aus dem Schatten der klassischen Festnetztelefonie. Die Technik, die schon seit Jahren mit Vorschusslorbeeren bedacht wurde, weil sie Sprachkommunikation über das Datennetz ermöglicht, beginnt sich nun endgültig in Corporate Networks zu etablieren. Das belegen Studien verschiedener Marktforscher. So haben zum Beispiel die Analysten von Gartner bei einer Umfrage unter IT-Verantwortlichen ermittelt, dass zwei Drittel aller Unternehmen in den nächsten fünf Jahren ihre Anwendungen komplett auf vereinheitlichte IP-Netze umstellen wollen.

In der Tat spricht einiges dafür, dass VoIP nun endgültig Fuß fasst, auch hierzulande. Prominentes und jüngstes Beispiel ist die Finanzverwaltung Nordrhein-Westfalen. Die Behörde teilte dieser Tage mit, ihre 145 Dienststellen schrittweise mit 30000 IP-Telefonen ausstatten zu wollen. Signalwirkung bei den Anwendern dürften auch Großprojekte wie das des Flugzeugbauers Boeing haben. Der Konzern hat Cisco beauftragt, sein klassisches Telefonnetz abzulösen und die Sprachkommunikation aller 160000 Boeing-Beschäftigten stattdessen in weltweit 70 Staaten auf VoIP umzustellen. Boeing wagt die Investitionen, weil sich der Konzern von der Migration auf ein integriertes Sprach- und Datennetz Einsparungen in Millionenhöhe an Wartungs-, Management- sowie Endgerätekosten erhofft.

Aus Sicht von Frank Heuer, bei der Karlsruher Marktforschungs- und Beratungsfirma Techconsult für den Bereich Sprach- und Datenkommunikation verantwortlich, ist das Vorgehen von Boeing logisch: "Im Zuge der Erneuerungszyklen stellt sich für große Unternehmen nicht die Frage, ob, sondern wann Voice-over-IP kommt." Die Vorteile konvergenter Netze seien für Großanwender zu eindeutig, als dass sie darauf verzichten könnten. Der Experte nennt dabei in erster Linie die geringeren Management- und Wartungskosten für ein einheitliches Sprach- und Datennetz, weil Personal und Pflege für ein separates Telefonnetz entfallen. Darüber hinaus könnten die Kunden Übertragungskosten einsparen, weil der Sprachverkehr innerhalb des Corporate Network geführt werde. Ein weiteres Plus sei die Flexibilität von VoIP, da Endgeräte bei Umzügen an jeder Datensteckdose eingestöpselt werden können.

Obwohl diese Argumente für VoIP hinlänglich bekannt sind, konnte sich die Technik in den vergangenen Jahren nicht wie erwartet etablieren. Der wesentliche Grund dafür dürfte der Sparzwang der CIOs aufgrund der weltweiten Wirtschaftskrise gewesen sein. Da die Unternehmen über funktionierende TK-Systeme verfügten, wurden Ausgaben für VoIP trotz des Interesses an der Technik hintangestellt. Nun, da die IT-Budgets wieder steigen, rückt das Thema endgültig in den Vordergrund.

Eine Unbekannte ist die Technik für deutsche Unternehmen nicht. Nach Schätzung von Techconsult wurden hierzulande 2003 bereits 160 Millionen Euro für Hardware und Software in Sachen VoIP ausgegeben. Dieses Jahr erwarten die Karlsruher in Deutschland ein Volumen von 190 Millionen Euro und für kommendes Jahr eine Steigerung um 30 Prozent. Mit zwei Milliarden Euro liegen die Investitionen in traditionelle TK-Systeme damit zwar immer noch höher, allerdings entwickeln sie sich rückläufig.

Sanfte Migration durch hybride TK-Anlagen

"Häufig wird die vorhandene Telefonanlage auf IP umgestellt, das heißt mit hybrider Technik eine sanfte Migration in die Wege geleitet", erklärt Heuer die anhaltenden Investitionen in existierende TK-Anlagen sowie die Umstiegsstrategie vieler IT-Manager. Dem Berater zufolge nutzen dabei die alteingesessenen Anbieter wie Siemens oder Alcatel ihre Geschäftsbeziehungen aus, weil sie wissen, wann Wartungsverträge auslaufen. Laut Techconsult sind viele Unternehmen unterdessen aber auch für den Regelbetrieb von VoIP gerüstet, weil sie das Verfahren in Testszenarien innerhalb des Firmennetzes schon erprobt haben. Besonders weit seien dabei Banken und Versicherungen.

Das Wachstumspotenzial für VoIP ist immens. So prognostiziert Gartner Dataquest für den westeuropäischen Markt im Jahr 2007 ein Umsatzvolumen von 3,6 Milliarden Euro. 2010, so die Auguren, werde VoIP über die Hälfte des europäischen TK-Gesamtumsatzes in Höhe von einer Billion Euro ausmachen. Zu einem ähnlichen Ergebnis kommt auch eine Studie von Mercer Management Consulting. Im Jahr 2003, so das Beratungshaus, wuchs der Markt für Internetfähige Telefonanlagen um 55 Prozent. Die Experten erwarten ein Einsparpotenzial von 30 Prozent durch VoIP für Unternehmen.

Die Vorbehalte, die viele Anwender gegenüber der Technologie wegen der schlechteren Sprachqualität hatten, sind unterdessen in den Hintergrund getreten. "Die Kinderkrankheiten, die es in der Vergangenheit gab, sind weitgehend ausgeräumt", attestiert auch Heuer VoIP die Einsatzfähigkeit in Unternehmensnetzen. Ein Manko, so der Berater, sei jedoch die fehlende Interoperabilität zwischen den Systemen der verschiedenen Hersteller.