CIM kann den Unternehmensruin forcieren

03.06.1988

Mit Dr. Klaus Richter, Mitglied der Geschäftsleitung der Scientific Consulting Dr. Schulte-Hillen BDU in Köln, sprach CW-Redakteur Wolf-Dietrich Lorenz.

- Das Bundesministerium für Forschung und Technologie (BMFT) will mit Förder-Millionen dem Mittelstand Innovationen in der Fertigungsautomatisierung schmackhaft machen. Eine Finanzspritze bis zu 300 000 Mark je Unternehmen soll das CIM-Denken beflügeln. Reicht dazu der derzeitige Wissensstand bei den Mitarbeitern eigentlich aus?

Kaum. Mit dem Thema ClM-Ausbildung haben wir deshalb auch in ein Wespennest gestochen. Der Bedarf ist offenbar sehr groß.

- Und nur wenige können ihn befriedigen.

Ja, denn für CIM-Ausbildung braucht man zweierlei: ClM-Verständnis - aus der Praxis - und die didaktischen Fähigkeiten.

- Wer fragt denn um Unterstützung beim Wissenstransfer nach?

Erstaunlicherweise zunächst die Hersteller und Anbieter von CIM-Komponenten. Der BMFT hat gerade mit seinem neuen ClM-Förderprogramm eine Lawine losgetreten. Die DV-Hersteller und Softwarehäuser wollen sich den Kuchen natürlich nicht entgehen lassen, also müssen sie Vertriebsmannschaften auf- und ausbauen. Nur, CIM verkauft sich nicht so leicht.

- Warum nicht, mit 300 000 Mark vom BMFT in der Tasche?

Die 300 000 Mark sind ein guter Türöffner, aber wenn der Verkäufer dann mit den üblichen Worten loslegt: "CIM ist kein Produkt, das man kaufen kann" oder ähnlich, fragt sich jeder, was er denn nun eigentlich kaufen solle.

- Die CIM-Komponenten PPS, CAD, CAQ ...?

Sicher. Doch die Formel CIM = PPS + CAQ + CAM + CAX kann leicht ins Auge gehen. Der Betrieb ist in seinen Teilbereichen vollautomatisiert, aber integriert läuft nichts. Die Reibungsverluste in der Ablauforganisation zehren allen Nutzen der Automatisierung auf. CIM ist nämlich seit langem die beste Chance, ein Unternehmen zu ruinieren.

- Sie raten doch nicht ab, sich mit CIM zu beschäftigen?

Keineswegs. Auf das Wie kommt es an. Und damit sind wir wieder beim Thema Ausbildung. Kaum ein Unternehmen in Deutschland verfügt über ausreichende Personalkapazität, um CIM erfolgreich zu realisieren. Es fehlt an Erfahrungsaustausch zwischen ClM-Anwendern und ClM-Herstellern und ClM-Anwendern untereinander. Die Publikationen über CIM sind oft oberflächlich oder akademisch. Die Eintages-ClM-Seminare bleiben auch meist an der Oberfläche.

- Eine recht herbe Kritik...

Ja. Bei der Zahl derjenigen, die sich mit ClM-Seminaren zu profilieren versuchen, drängt sich manchmal der Verdacht auf, die handeln nach dem "Rumpelstilzchen-Prinzip": "Oh, wie gut, daß niemand weiß, daß auch ich von CIM nichts weiß."

- Sie bieten doch auch Seminare an?

Ja, nehmen Sie ein offenes Eintages-CIM-Seminar allgemeiner Art, wie wir es auch durchführen. Wir definieren jeweils Eingangsvoraussetzung und Ausbildungsziel. Ein durchschnittlicher Teilnehmer mit Vorkenntnissen in der Fertigungsindustrie und mit guten DV-Kenntnissen hat bestenfalls die Chance, nach der Veranstaltung qualifiziert über CIM mitreden zu können. Spezifische CIM-Probleme im Unternehmen lösen kann er dann aber noch nicht.

- Das braucht er auch nicht, heißt es ja allgemein, dafür gibt es Systemhäuser.

Systemhäuser sind primär DV-Systementwickler und Anbieter. CIM erfordert zusätzlich mit gleichem Gewicht Organisationsentwicklungs- und Personalentwicklungsmaßnahmen. Da sind die Systemanbieter in der Regel überfordert.

- Das machen die Unternehmen doch selbst, oder?

Eben drum, das ist der Punkt. Deshalb brauchen wir CIM-Weiterbildung in den Unternehmen. Nehmen wir zum Beispiel ein Zweitagestraining, das besteht aus drei Teilen:

Erstens: allgemeines über CIM, die Fertigungsindustrie, CIM-Komponenten, Organisationsentwicklung und Personalentwicklung,

Zweitens: branchentypische oder firmenspezifische Ausprägungen von CIM,

Drittens: DV-Anwendungen unter CIM, Vorgehensweise, Lösungsansätze.

- Ein ganz schön komprimierter Stoffplan. Wie bringen Sie das denn rüber, so daß auch was hängenbleibt ?

Wir gehen dabei im Wechsel vortragend und erarbeitend vor. Das wird aufgelockert durch Übungen, Rollenspiele und Lernerfolgskontrollen. Die Teilnehmer erhalten Teilnehmerunterlagen, Checklisten, Argumentationsleitfäden, Übungsunterlagen etc.

- Warum nimmt man sich für solch wichtige Aufgaben nicht mehr Zeit?

Es macht einen erheblichen Unterschied, ob 20 teilweise hochkarätige Mitarbeiter zwei oder zehn Tage geschult werden. Die Personalkosten der Teilnehmer allein betragen in dieser Zeit zirka 30 000 Mark bei zwei Tagen oder zirka 150 000 Mark bei zehn Tagen. Wenn dann teilweise gefordert wird, zukünftige CIM-Projektleiter müßten erst einmal ein halbes Jahr auf die Schulbank ...

- Ist CIM von unserer Volkswirtschaft denn überhaupt bewältigbar?

Die Frage möchte ich so nicht beantworten. Das klingt ja, als sei CIM eine von außen aufgezwungene Aufgabe. CIM ist eine mögliche, aber enorm wirkungsvolle Maßnahme zur Verbesserung unserer Wettbewerbsfähigkeit. Die Frage lautet also: Ist unsere Fertigungsindustrie bereit, etwas zur Verbesserung ihrer Wettbewerbsposition zu tun?

- Und wie reagieren die Unternehmen auf das ClM-Förderangebot der Bundesregierung?

Positiv. Wir haben bereits über 300 Interessenten vorgemerkt.

- Das heißt, es ist damit zu rechnen, daß noch in diesem Jahr die halbe Milliarde Mark des Förderprogramms ausgebucht ist?

So ist es. Nur wer rechtzeitig mit dabei ist, hat Chancen.

- Sollte dann auch derjenige jetzt schon einen Antrag stellen, der erst in drei Jahren CIM anfassen will?

Wenn er CIM in drei Jahren nicht allein finanzieren will, ja.

- Also ist die Nation im CIM-Fieber?

Bleiben wir mal auf dem Teppich. Wenn einige tausend Unternehmen sich entschließen, CIM zu realisieren, so ist das ganz gewaltig. Aber das geht langsam vor sich - löst keine Revolution aus, von heute auf morgen. Viel schlimmer ist, daß im Vorfeld des Programms keine Zeit mehr blieb, um standardisierte CIM-Vorgehensweisen und ClM-Ausbildungskonzepte zu entwickeln. Die deutsche Fertigungsindustrie so unvorbereitet auf CIM loszulassen, ist schon ein bißchen leichtsinnig.

- Das heißt, jeder muß jetzt für sich allein die Fehler machen, die eigentlich vermeidbar wären?

Ja. Und mancher wird dabei wie der Ochs vorm Tor stehen.

- Denen helfen Sie dann?

Natürlich! Aber auch wir hätten gern mehr Zeit gehabt, zum Beispiel im Rahmen des BDU, ClM-Standards zu entwickeln und gründliche Bedarfsanalysen durchzuführen. Jetzt müssen wir die Ärmel hochkrempeln und wühlen.

Guter Rat ist teuer

Geld winkt besonders mittelständischen Unternehmen: Mit einer halben Milliarde Mark unterstützt das Bundesforschungsministerium die CIM-Innovation in den kommenden fünf Jahren. Die Liste des CAD/CAM-Programms aus den Jahren 1984 bis 1988 wurde erweitert. Chancen haben zusammen mit dem Maschinenbau etwa auch Einrichtungen der Fördertechnik, Meß- und Prüf- sowie Textilmaschinen (siehe auch CW Nr. 18 vom 29.4. 88. Seite 56). Allerdings: Guter Rat ist teuer. Der Wissenserwerb der Mitarbeiter Im Unternehmen über das Kapitel Fertigungsautomatisierung bleibt nämlich zunächst unverzichtbare Voraussetzung, um nicht nur über CIM reden zu können.