Antike Philosophie für die strategische Planung der Informationsverarbeitung

CIM-gestützte Fabrik aus dem Hut gezaubert

20.11.1987

In die Trickkiste greift Klaus Röber von der James Martin Associates (Deutschland) GmbH in Hamburg: Unter dem Motto "Divide et Impera" zeigt der Senior Consultant auf, wie eine Informationsarchitektur in systematischer Weise entwickelt sowie darauf eine Geschäftssystemarchitektur aufgebaut werden kann, aus der heraus sich wiederum auf das Unternehmen abgestimmte Anwendungssysteme entwickeln lassen.

In manchen Fragen können wir auch im 20. Jahrhundert noch etwas von den alten Römern lernen, etwa zu einem der "heißesten" Themen, nämlich CIM. Dieses Kürzel wird meist (noch) mit Computer Integrated Manufacturing übersetzt. CIM-Experte August-Wilhelm Scheer, Universität des Saarlandes, führt dazu aus: "Inzwischen hat sich breit durchgesetzt, CIM als Integration von Auftragsbearbeitung, abgekürzt durch den Begriff PPS, mit Konstruktion, Fertigung und Qualitätssicherung aufzufassen. Darüber hinaus werden bei einer modernen Interpretation auch die begleitenden administrativen Funktionen des Controlling miteinbezogen, so daß ich CIM als den "Computergestützten Industriebetrieb" übersetzt habe. CIM ist für jeden Industriezweig einsetzbar und ist weitgehend unabhängig von der Unternehmensgröße." Scheer schlägt weiter vor, den globalen CIM-Begriff in typische CIM-Teilketten aufzulösen, das heißt Teilbereiche des Unternehmens, die sich dann in konkreten Realisierungsprojekten , operationalisieren lassen.

Diese Interpretation des Begriffes CIM meint nichts anderes, als es James Martin bereits vor etlichen Jahren mit dem Begriff "The Computerised Enterprise" beschrieben hat, zu dessen Realisierung vor über sechs Jahren das Konzept des Information-Engineering geboren wurde. Information-Engineering zielt jedoch von vornherein auf die Realisierung des globalen CIM-Begriffs aus der Erkenntnis heraus, daß Realisierung von Teilketten immer nur zu Integrationsinseln führt, an deren Schnittstellen Probleme auftreten. Information-Engineering basiert deshalb auf einem Gesamtansatz, der alle Unternehmensaktivitäten abdeckt und gleichermaßen gut geeignet ist für Industriebetriebe, Banken, Versicherungen, Behörden, Verbände sowie andere große Organisationen.

Nun ist es ein schwieriges Unterfangen, ein Konzept für ein ganzes Unternehmen auf einmal zu entwerfen. Schon 1971 versuchten W. Köster und F. Hetsel am Beispiel der AEG dieses Problem systematisch in Angriff zu nehmen (in: "Datenverarbeitung mit System", Neuwied/Berlin, 1987). Seitdem hat es nicht an Lösungsversuchen gefehlt, deren bekanntester vielleicht die in der zweiten Hälfte der 70er Jahre von der IBM entwickelte Methode "Business Systems Planning" ist. Keine dieser Methoden war jedoch damals in der Lage, das Problem wirklich zu lösen.

Heute sind wir weiter. Der moderne Informations-Manager hat einige Hilfsmittel in seiner Trickkiste, die es ihm erlauben, in systematischer Weise eine Informationsarchitektur und auf deren Grundlage eine Geschäftssystemarchitektur für ein Unternehmen aufzubauen, aus der heraus sich nahtlos auf das Geschäft abgestimmte Anwendungssysteme entwickeln lassen.

Trick 1: Divide et Impera

(Abbildung 1)

Bei den klassischen Methoden litt das erstellte Modell des Unternehmens in der Regel darunter, daß es entweder viel zu grob war, um auf dieser Basis Anwendungssysteme definieren zu können, oder aber so detailliert, daß der Anwender bei dem Versuch der Modellierung an der Fülle der Details erstickte und die Aufgabe auf halber Strecke liegenblieb. Hier hilft eine dreistufige Vorgehensweise.

Stufe 1 erstellt ein Modell des Gesamtunternehmens, gegliedert in Geschäftsgebiete (Business Areas), Stufe 2 erstellt ein Modell eines Geschäftssystems, gegliedert in Anwendungssysteme. Stufe 3 realisiert definierte Anwendungssysteme.

Auf diese Weise wird das Problem der Unternehmensmodellierung in "manage-bare" Projekte zerlegt, die sukzessive die Anwendungssystemarchitektur des Unternehmens realisieren - wobei immer nur die für die jeweilige Entscheidungssituation notwendigen Details ermittelt werden, jeweils in einem Rahmen, der die Integration garantiert.

Trick 2: Divide et Impera

(Abbildung 2)

Es ist ein altes Grundprinzip der Naturwissenschaften, ein komplexes Problem dadurch zu lösen, daß man es in einfachere Teilprobleme zerlegt, zunächst diese löst und sie dann wieder zusammensetzt, um das Ausgangsproblem zu lösen. Dieses bereits im 14. Jahrhundert von dem englischen Philosophen William of Ockham formulierte Prinzip ("Ockhams Razor" genannt) hilft weiter.

Die geeigneten Elementarstrukturen, aus denen eine Informationsarchitektur und damit ein Unternehmensmodell zusammengesetzt werden können, sind das Funktionenmodell und das Datenmodell des Unternehmens, die durch ihre Interaktion das Unternehmensgeschehen widerspiegeln.

Beide stellen relativ stabile Strukturen dar, unabhängig von der Aufbauorganisation des Unternehmens, und sind deshalb in idealer Weise geeignet, als Grundlage für Anwendungssysteme zu dienen, die auch nach einer der häufigen Umorganisationen noch passen.

Stick 3: Die Unternehmens-Enzyklopädie

Seit Jahren haben sich als Hilfsmittel für das Informations-Management Data-Dictionaries durchgesetzt. Trotz ihrer unbestrittenen Nützlichkeit sind sie jedoch meist zu wenig anwenderfreundlich und zu begrenzt in ihrer Leistungsfähigkeit.

Hier hilft die Enzyklopädie mit grafischer Oberfläche, wie sie etwa in Computer-Aided-Software-Engineering-(CASE-)Tools angeboten wird.

Eine Enzyklopädie soll idealerweise eine Datenbank sein, in der alles gespeichert wird, was man über das Modell des Unternehmens und die daraus abgeleiteten Anwendungssysteme wissen muß - von der ersten Idee auf konzeptioneller Ebene bis hin zum Programmcode und den Datenbankstrukturen. Der einfachen Bedienbarkeit halber und um die kommunikativen Eigenschaften des Bildes nutzen zu können, benötigt eine solche Enzyklopädie idealerweise eine von einer Maus gesteuerte grafische Oberfläche, die das Füllen den Datenbank in natürlicher Weise während des Analyse- und Designprozesses erlaubt. Benutzt man für die Unternehmensmodellierung ausreichend präzise Diagramme und eine formale Spezifikationssprache, läßt sich - sozusagen als kleiner

Bonus - aus der Enzyklopädie nach der Durchführung des logischen Systementwurfs auch noch das fertige Anwendungssystem sowie die Datenbanken in ablauffähiger Form generieren.

Diese drei Konzepte (ergänzt um einige weitere -technische und methodische Details) reichen aus, um den "Computergestützten Industriebetrieb" zu realisieren. Dies haben eine Reihe von großen Unternehmen erkannt und bereits vor einiger Zeit damit begonnen, ein Konzept zu entwickeln, das nach und nach eine Integrationsinsel nach der anderen verschlucken wird und die Abwicklung des Geschäfts in bisher nicht gekannter Weise unterstützen wird dank einiger einfacher Ideen, die schon die alten Römer und die mittelalterlichen Philosophen kannten.