Siemens München mit Sonntagsarbeit glücklos:

Chipfertigung als Prüfstein für flexible Arbeitszeit

12.12.1986

MÜNCHEN - Sonntags zur Arbeit bitten will die Siemens AG in München 800 Beschäftigte im Bereich Halbleiter. Der Konflikt mit dem Betriebsrat weitet sich aus: die Gewerkschaft besteht nämlich auf dem freien Wochenende.

Nach Paragraph 105 b der Gewerbeordnung aus dem Jahr 1869 ist die Arbeit an Sonn- und Feiertagen verboten. Doch daran scheiterte bisher die Siemens AG mit ihrem Vorhaben, einen Rund-um-die-Uhr-Betrieb in zwei Münchner Halbleiter-Produktionsstätten einzuführen, nicht. Das Gewerbeamt in München zeige, so Siemens, in diesem Fall ein Einsehen. Aber nach Protesten der Katholischen Arbeitnehmerschaft und der Deutschen Angestelltengewerkschaft (DAG) gegen die Sonntagsarbeit meldeten auch die Landtagsfraktionen der SPD und der Grünen Bedenken an. In absehbarer Zeit soll gleichwohl in Neu Perlach der Dauerbetrieb mit Erprobung, Musterfertigung und Serienproduktion hochintegrierter Chips beginnen. "Dafür ist ein vollkontinuierlicher Schichtbetrieb notwendig", so die Siemenspresse, "denn die Anforderungen an Gleichmäßigkeit und Präzision der Bearbeitungsbedingungen werden hoch sein." Ein Arbeitsdurchlauf dauere von der reinen Siliziumscheibe bis zum fertigen Chip etwa 30 Arbeitstage mit über 300 Arbeitschritten.

Bei Toshiba sonntags nie

Hier will der Halbleiterproduzent ansetzen, um zu einem Konsens, sprich einer Betriebsvereinbarung, (...) kommen: Technisch bedingte Notwendigkeit ermöglicht laut Gewerbeordnung nämlich eine Ausnahmeregelung für die Arbeit am Wochenende. Diese Voraussetzung ist indes interpretierbar. Gerade die technische Handhabe wertet der Betriebsrat - mangelnder Output als Folge reduzierter Betriebsnutzungs- und Maschinenlaufzeiten - als ökonomisches Argument; IG-Metall-Sekretär Matthias Sommerfeld zitiert den internationalen Metallarbeiterbund: "In Japan fertigt der Lizenzgeber Toshiba Mega-Chips mit sonntäglicher Unterbrechung". Gespräche über die Arbeitszeitmodalitäten mit der Belegschaftsvertretung blieben vor diesem Hintergrund erfolglos.

Da sich also - so Vorstandsmitglied Hermann Franz - durch die Zäsur am Wochenende die Ausbeute erheblich verringert, ist "die Mega-Chip-Produktion nicht mehr diskutabel".

Dabei fänden sich in München genügend "Interne", die einer individuelleren Freizeitregelung und erhöhtem Verdienst gegenüber nicht abgeneigt wären.

Damit unterscheidet sich der Münchner Produktionsplatz von dem neu errichteten Regensburger Werk; dort läßt der Elekonikkonzern seit Beginn 1986 in mehreren Schichten von neu eingestellten 650 Mitarbeitern 1-Mega-Chips fertigen. Davon sind 320 in einem Voll-Wochenschichtplan einschließlich Wochenende eingebunden. Die

meistens dieser "Siemensianer" sind unverheiratet, das Durchschnittsalter liegt bei 23 Jahren.

Sechs Arbeitstagen folgen gewöhnlich vier freie Tage. Der Verdienst könne durch Zuschläge das Doppelte eines Normalgehalts erreichen. Der Andrang auf die bisherigen Sonntagsarbeitsplätze stimme für eine Einigung zuversichtlich.

Als Vorreiter der Sonntagsarbeit kann Siemens nicht gelten. Die Valvo Unternehmensbereiche Bauelemente der Philips GmbH in Hamburg arbeitet seit 1984 rund um die Uhr - mit eigens für den Bereich Sonntagsarbeit festeingestellten Belegschaftsmitgliedern, ehemaligen Arbeitslosen. Personalchef Schroeer über den Konsens mit dem Betriebsrat, den Gewerkschaften und Behörden: "Dazu war monatelange Überzeugungsarbeit nötig." Siemens habe diese noch zu leisten. Die Valvo-Betriebsvereinbarung regelt für das Wochenende einen Verdienst von etwa 90 Prozent des Nettoverdienstes eines vergleichbaren Mitarbeiters in der Dreier-Schicht.

Trotz Sonntagsarbeit läßt sich von einer vonausgelasteten Fertigung bei der ITT Intermetall in Freiburg noch nicht reden. Zwar wurden Stellensuchende für die Wochenendproduktion eingestellt. Ausreichend Arbeitswillige - auch für das doppelte Geld des Normalverdieners - in Randgebieten zu finden, scheint schwierig. So greifen die Intermetaller bei weiblichen Arbeitskräften auf Pendlerinnen aus dem Elsaß zurück.

Mitbewerber IBM fährt in Sindelfingen mit einer unterschiedlichen Produktionstechnologie "noch" nicht sonntags. Allerdings wird der Eigenbedarf gedeckt und nicht, wie bei Siemens, für den Markt produziert.