Trotz runder Gehälter fehlt der Nachwuchs in der Halbleiter-Branche:

Chip-Spezialisten machen den goldenen Schnitt

18.03.1988

VAIHlGEN (lo) - Zähneknirschen ist in der Elektronikindustrie über die verhaltene Einkommensentwicklung des vergangenen Jahres zu hören. Gut lachen hat nur der Spezialist sowie der rare hochqualifizierte Nachwuchs: Newcomer legten zwischen 15 und 20 Prozent an Gehalt zu. Diese Bilanz zogen die Gehaltsexperten der Interconsult GmbH in Vaihingen.

"Der Markt bei Bauelementen ist enger geworden", konstatiert Interconsult-Geschäftsführer Friedrich Thomer. Deshalb sei die Einkommensentwicklung in der Elektronikindustrie "sehr uneinheitlich" und bei Vertriebskräften wegen gesunkener Bonuszahlen im Vergleich zum vergangenen Jahr rückläufig.

Licht in den vorjährigen Schatten der Elektronik-Gehaltsszene werfen nur wenige Verbesserungen. Positionen im Bereich Produkt-Marketing etwa profitierten mit drei Prozent und mehr, konnten die Experten der Unternehmensberatung im Schwarzwald feststellen.

Allein Spezialisten machten ihren "goldenen" Schnitt. CAD/CAE-Fachkräfte sahnten schon bei regulärer Planerfüllung ab. Für einen Entwicklungsingenieur frisch von der Hochschule lag das Gehalt zwischen 54 000 und 62 000 Mark per anno. Mehrjährige Berufserfahrung summierte sich, wie auch für den Applikationsingenieur, auf ein Plus von etwa 30 000 Mark. Der Entwicklungsleiter schließlich strich bis über 120 000 Mark ein.

Im Außendienst lagen die Einkommen noch ein Stück darüber. Bei mehr als drei Jahren Feld-Erfahrung reichten die Einkommen teilweise beträchtlich über 100 000 Mark. War der Vertriebsmann besonders rührig, nahmen die Bonuszahlungen überproportional zu.

Jahreseinkommen in der Sparte "ASICs" lassen sich ebenfalls sehen. Design-Ingenieure frisch von der Hochschule steigen im Bereich Logic- und Gate-Arrays, Standard-Cells sowie Full-Customs-ICs (ASICs) zwischen 60 000 und 70 000 Mark ein. Ihre Vorgesetzten mit mehrjähriger Innendiensterfahrung und Personalverantwortung für über sechs Mitarbeiter zählen das Doppelte auf ihrem Gehaltskonto. Im Außendienst beginnt der Verdienst des Field-Application-Ingenieurs bei 80 000 Mark, der Vertriebsingenieur verdient nach etwa drei Jahren Erfahrung bis 125 000 Mark, und der Gesamtverkaufsleiter mit Verantwortung für mehrere Mitarbeiter erreicht im Schnitt gut 180 000 Mark.

Trotz der immer noch runden Gehälter mangelt es indes auch der Elektronik-Industrie an qualifiziertem Nachwuchs. Zwar werden bei immer häufigeren Firmenzusammenschlüssen die Vertriebsorganisationen ausgedünnt und Mitarbeiter freigesetzt. Doch Unternehmensberater Friedrich Thomer meint: "Die ersten, die von Bord gehen, sind nicht immer die besten." Gute Leute sind rar. Sie fehlen vor allem für vernetzte PC-Systeme oder Minisupercomputer. Auch eine Suchzeit von einem Jahr nach einem qualifizierten ASIC-Experten ist für die Interconsult keine Seltenheit.

Besonders umworben von der Halbleiterbranche sehen sich Absolventen von Hochschulen der Fachrichtung Elektronik, Nachrichtentechnik oder Informatik. "Der Nachwuchs bringt", zitiert Berater Thomer seine Industrieklientel, "eine exzellente Ausbildung mit." Denn Hochschulen arbeiteten mittlerweile mit einem modernisierten und marktgerechten Equipment. Das Leistungsprofil des Einsteigers werten zusätzlich Verkaufsträinings mit fundiertem Theorieteil sowie praxisbezogenem Rollenspiel auf.

Engagierte sich ein Absolvent für eine Vertriebs- oder Applikationsposition, legte er in den vergangenen zwölf Monaten um durchschnittlich 15 bis 20 Prozent an Gehalt zu. Praxisnah während des Studiums zu arbeiten, ist dabei ein Schlüssel zum Erfolg. Diese Qualifikation zahlt sich zudem nicht nur finanziell aus. Immer häufiger betrauen Unternehmen junge Experten nämlich mit Aufgabenstellungen, die bislang für erfahrene Mitarbeiter reserviert waren.

Zusammen mit dem Hochschulabsolventen steht der etwa 28jährige Vertriebspraktiker mit ein bis drei Jahren Erfahrung und Produktfachwissen oben an auf der Wunschliste der Personalchefs. Diesen Spezialisten kamen die Unternehmen auch mit der vergleichsweise prozentual größten Gehaltssteigerung entgegen.

Bei "altgedienten" Praktikern entdeckt der Interconsult-Geschäftsführer häufiger ein Manko. Sie hätten in der aufreibenden Tagesarbeit übersehen, wie schnell sich die Techniklandschaft wandelt. Wer beim Wissens-Update aber zu eingleisig gefahren ist, kommt in die Bredouille. Den Mitarbeiter um 35 mit einem Jahresverdienst über 100 000 Mark, kann Friedrich Thomer beobachten, sticht der billigere, flexiblere und häufig auch ehrgeizigere Newcomer aus.