Industrie will sich "angemessen" am Jessi-Projekt beteiligen, aber:

Chip-Pfennig soll Euro-Elektronik retten

31.03.1989

DÜSSELDORF/BONN/BREMERHAVEN(vwd) - Die bundesrepublikanische Industrie hat sich bereit erklärt, einen "angemessenen" Beitrag zu den 7.8 Milliarden Mark Projektkosten zu leisten. die das europäische Chip-Programm Jessi verschlingen wird. Konkrete Aktivitäten sind dennoch kaum absehbar. Der neueste Diskussionsbeitrag kam von Loewe-Chef Helmut Ricke: ein staatlicher "Chip-Pfennig" soll helfen.

Bei der Produktion und Entwicklung von Mikrochips hinke Europa zwar weit hinterher, aber nicht hoffnungslos. Einstweilen gleiche das Bemühen der Europäer einem Hase-und-lgel-Spiel, in dem die fernöstlichen Wettbewerber die bequemere und erfolgreichere Rolle des Igels übernommen hatten, sagt Helmut Ricke, Vorsitzender der Geschäftsführung der Loewe Opta GmbH. Aufholen lasse sich der Rückstand wohl nur mit staatlicher Hilfe, einem .Chip-Pfennig". Derzeit verbrauche Europa 32 Prozent der Weltproduktion an hochintegrierten Schaltungen, produziere selbst aber nur fünf Prozent. Das Zusammenwachsen der Kommunikationstechniken habe den Mikrochip zu einem Synergiefaktor erster Rangordnung werden lassen. Dessen Beherrschung entscheide "über das Wohl und Wehe einer Volkswirtschaft".

Eine leistungsfähige Industrie für den Mikrochip sei daher unverzichtbar. Die Kommunikationstechnik dürfte künftig eine ähnlich bestimmende Funktion einnehmen wie heute das Automobil. Ricke zitierte eine US-Analyse, nach der die Weltproduktion der Elektronik-lndustrie von 365 Milliarden Dollar 1988 auf Billiarden Dollar im Jahr 1993 steigen werde. Der Anteil der Kommunikationstechnik betrage über 50 Prozent. Zu den Grundvoraussetzungen für die - eine Kostendegression ermöglichende - Massenproduktion gehöre eine einheitliche europäische Normung. So sei die dominante Stellung Japans, die von manchen Beobachtern bereits mit der Abhängigkeit vom Erdöl verglichen werde, zunächst durch die Massenproduktion von Unterhaltungselektronik, später zusätzlich von PCs erzielt worden. Europa habe jedoch reale Chancen. Mit dem digitalen, standardisierten ISDN-Vermittlungsnetz mit dem neuen mobilen D-Funknetz und mit der erwarteten europaweit gültigen Norm für das hochauflösende Fernsehen (HDTV) sei ein womöglich entscheidender Anfang gemacht.

Auch der BDI will sein Scherflein beitragen

Nicht nur einzelne Unternehmensbosse, auch die Verbände melden sich zu Wort. So ist die Industrie bereit, ,.angemessen" zu den Projektkosten des europäischen Halbleiterprogramms Jessi von 3,8 Milliarden Mark beizutragen; bei der Umsetzung der bei Jessi erzielten Ergebnisse nach 1996 werde sie noch einmal in einer den Jessi-Kosten vergleichbaren Größenordnung investieren. Das schreibt der Bundesverband der Deutschen Industrie (BDl), Köln, in der Stellungnahme zum Diskussionsentwurf "Zukunftskonzept Informationstechnik 2000".

Erstaunt zeigte sich der BDI darüber, daß der Diskussionsentwurf keine konkreten Aussagen zum Jessi-Projekt enthalte. Hier hätte die Industrie klarere Positionen der Bundesregierung erwartet. Jetzt komme es darauf an, die von seiten der Regierungen anderer europäischer Länder und der EG-Kommission für die Mikroelektronik ins Auge gefaßten Maßnahmen rasch mit den Anstrengungen der Unternehmen zu verzahnen. Ziel müsse ein arbeitsteiliges, enges Zusammenwirken in Grundlagenforschung, angewandter Forschung und Technologie-, Materialien- und Geräteentwicklung sowie Ausbildung sein.

Wirtschaftsminister demonstrieren Einigkeit

Nach Auffassung der Wirtschaftsministerkonferenz muß das Jessi-Programm schnellstmöglich weiter geplant und umgesetzt werden. Der nordrhein-westfälische Wirtschaftsminister Reimut Jochimsen sagte zum Abschluß der Konferenz in Bremerhaven, der Zeitfaktor müsse auch angesichts der forcierten Anstrengungen der USA und Japans zur Sicherung und zum Ausbau ihres Wettbewerbsvorsprungs "höchste Priorität" haben. Bayerns Wirtschaftsminister August Lang erklärte, das Projekt dürfe nicht primär als Instrument der regionalen Strukturpolitik eingesetzt werden.