Amerikanische Halbleiter-Hersteller sind die Verlierer des Jahres:

Chip-Giganten rappeln sich nur langsam auf

20.12.1985

MÜNCHEN-Arg gebeutelt wurde 1985 die amerikanische Halbleiterindustrie. Das gesamte Jahr hindurch kamen immer neue Hiobsbotschaften über den großen Teich. Sie reichten von Produktionsstops und Zwangsferien bis hin zu Werkschließungen, Massenentlassungen sowie katastrophalen Umsatz- und Gewinneinbrüchen. Darüber hinaus kam es zu schweren Handelsstreitigkeiten zwischen den Vereinigten Staaten und Japan. Die Amerikaner werfen den japanischen Halbleiter-Produzenten vor, mit unfairen Wettbewerbspraktiken die US-Hersteller geschädigt zu haben.

Noch Ende 1983 lief der amerikanische Halbleitermarkt auf vollen Touren. Der Bedarf an Chips stieg sprunghaft, doch dem Nachfrageboom standen mangelnde Kapazitäten gegenüber. Preisexplosionen waren die Folge. Zahlreiche US-Hersteller sahen sich zu hastigen und umfangreichen Kapazitätserweiterungen veranlaßt, die rasch zu einem Angebotsüberhang führten. Diese Überproduktionen zeigten Mitte 1984 erste Auswirkungen, als die Auftragseingänge hinter den Prognosen zurückblieben. Doch im "Land der unbegrenzten Möglichkeiten" nahm kaum jemand diese ersten Anzeichen einer Marktsättigung ernst. Die Analysten und Branchenkenner nicht, auch nicht die Verbände und schon gar nicht die Chip-Giganten. Zwar richteten sich die Produzenten auf ein "schwieriges" viertes Quartal 1984 ein, doch rechnete niemand mit einem nachhaltigen Einbruch der Nachfrage. So prognostizierte W. J. Sanders, President der Advanced Micro Devices, für 1985 eine erneute Zunahme der Ordereingänge aufgrund neuer und erfolgreicher PC-Modelle.

Erste Absatzprobleme nicht ernstgenommen

Doch was Ende 1984 als "vorübergehende Lagerbestandskorrektur" begann, endete in diesem Jahr schlichtweg in einem Desaster. Entgegen aller Erwartungen kam es zu einer Absatzkrise bei den Computer-Herstellern, Hauptabnehmer der Chips. Der Nachfrage-Einbruch bei den Mikrocomputern führte insbesondere zu Überkapazitäten bei 64KB-Chips, die schließlich in einem "ruinösen" Preiswettbewerb nur noch zu Billigpreisen abzusetzen waren. Auch hatten die amerikanischen Halbleiter-Produzenten zunehmend unter der japanischen und später koreanischen Importflut zu leiden.

Bereits im Januar 1985 kam es zu ersten Massenentlassungen bei Texas Instruments. An die 2000 Mitarbeiter verloren ihren Job. Wurde diese Maßnahme noch auf die schlechte Gesamtsituation des Unternehmens zurückgeführt, so machte sich erste Unsicherheit breit, als die National Semiconductor Corp. (NatSemi), Santa Clara, für Februar und April 14tägige Produktionsstops ankündigte. Zu dieser Zeit lag der Chip-Absatz in den USA schon 31 Prozent unter den Vorjahreszahlen, und die amerikanischen Chip-Produzenten begannen, ihre unter anderem durch Marktforschungsinstitute hochgeschraubten Erwartungen für 1985 auf ein Mindestmaß herabzusetzen. Auch der amerikanische Halbleiter-Verband, die Semiconductor Industry Association (SIA), revidierte ganz schnell seine Wachstumsprognose für 1985 von 15 Prozent auf weniger als zehn Prozent.

Die Intel Corp. sorgte für die nächsten Schlagzeilen. Der Konzern entließ im Februar 900 Mitarbeiter, laut Intel die ersten Kündigungen seit zehn Jahren. Auch die inzwischen an die französische Thomson CSF verkaufte United-Technologies-Tochter Mostek, Carrollton/Texas, kündigte kurze Zeit später 620 Mitarbeitern aus der Halbleiterproduktion. Die Motorola Inc., Schaumburg/Illinois, schloß sich nahtlos an: 900 Arbeitskräfte verloren dort ihren Job. Darüber hinaus erklärte das Unternehmen, die Gehälter für die Mitarbeiter in den US-Werken um fünf bis zehn Prozent zu kürzen.

Bereits nach wenigen Monaten gab es kaum noch einen Halbleiter-Hersteller, der nicht auf der Liste der Produktionsstops, Zwangsferien und Entlassungen vertreten war. Charles E. Sporck, NatSemi-President, stellte im März völlig konsterniert fest: "Etwas Vergleichbares habe ich in den 17 Jahren meiner Branchen-Zugehörigkeit noch nicht erlebt." Ähnlich fassungslos reagierten die anderen Marktführer. Kaum jemand wagte eine optimistische Prognose für die kommenden Monate. Intel-Chairman Gordon Moore: Wir hoffen von Woche zu Woche auf Stabilisierung, aber der Halbleitermarkt ist tief gesunken . . ."

Die Stimmung bei den Chip-Herstellern erreichte den Nullpunkt, als mit den ersten Quartalsergebnissen auch erste Gewinneinbußen gemeldet werden mußten. Ob Motorola, Intel oder Gould -Verlustmeldungen in Millionenhöhe wurden zur Tagesordnung. Das jüngste Beispiel ist NatSemi, die mit dem dritten Quartal (30. September) den höchsten Quartalsverlust in der Firmengeschichte hinnehmen mußte. Hatte das Unternehmen im gleichen Zeitraum 1984 noch einen Nettogewinn von rund 35 Millionen Dollar verzeichnen können, so schlugen nunmehr rund 54 Millionen Verlust zu Buche.

Mitte dieses Jahres begaben sich die amerikanischen Halbleiter -Hersteller schließlich auf die Suche nach einem Sündenbock. Zu diesem Zeitpunkt waren die Auftragseingänge weiter gesunken. Gegenüber dem Vorjahr meldete die Semiconductor Industry Association (SIA) ein Minus von 57 Prozent. Mit dieser Hiobsbotschaft einher ging die Ankündigung der japanischen Halbleiter-Produzenten, nach einem guten Jahr 1984 ihre Kapazitäten um zehn bis 30 Prozent zu steigern. Das machte die Amerikaner mobil. Sie befürchteten eine verstärkte Importflut, die nicht nur die Preise weiter drücken, sondern auch ihre ohnehin schon prekäre Situation noch mehr verschlechtern würde. Inzwischen kostete der

64-KB-Chip gerade noch 70 Cents nach etwa vier Dollar Anfang 1984, und die 256-KB-Chips, für die man im ersten '84er-Quartal noch rund 25 Dollar "löhnen" mußte, waren nunmehr für ein Fünftel des ursprünglichen Preises erhältlich.

USA bezichtigten Japan des Dumpings

Es kam zum offenen Eklat. Hatten Motorola und Intel schon Anfang des Jahres erstmals Einfuhrrestriktionen der USA für japanische Halbleiter gefordert, so fuhren die amerikanischen Chip-Produzenten nun schwerere Geschütze auf. Sie suchten Schutz bei ihrer Regierung und pochten auf protektionistische Maßnahmen gegen die japanischen Lieferungen. Washington reagierte prompt und verlangte vom japanischen Ministerium für Außenhandel und Wirtschaft (MITI) in Tokio, ihren Halbleiter-Produzenten Zurückhaltung bei der Kapazitätserweiterung aufzuerlegen. Tokio dagegen wies die amerikanische Regierung nachdrücklich darauf hin, daß sie hierzu formal genausowenig Möglichkeiten hätte wie umgekehrt die USA.

Daraufhin reichte die SIA beim US-Handelsministerium eine offizielle Beschwerde gegen die japanischen Anbieter wegen unfairer Wettbewerbspraktiken ein, und die Micro Technology Inc. erhob eine Antidumping-Klage. Begründung: Das japanische Dumping habe zu einer Wettbewerbsschädigung amerikanischer Chip-Hersteller geführt. Zudem warfen die US-Marktführer ihren Konkurrenten aus Fernost vor, die amerikanischen Erzeugnisse auf ihrem Markt zu diskriminieren.

Während die Japaner in den USA einen Marktanteil von rund 16 Prozent hätten, klagten sie, stagniere ihr Marktanteil im "Land der aufgehenden Sonne" bei zehn Prozent.

Die Japaner wiesen alle Vorwürfe zurück. So erklärten Fujitsu, Matsushita, Hitachi und Nec, sie würden ihre Produkte in den USA nicht unter Preis verkaufen, sondern -im Gegenteil- die Preise in den Staaten höher ansetzen als im eigenen Land. Der Kritik der Amerikaner entgegneten sie ferner, ihr Anteil am japanischen Chip-Markt mache immerhin 19 Prozent aus. Dennoch sei man bemüht, den Konflikt zu lösen. So unterbreitete das MITI Washington im November einen Maßnahmenkatalog, der unter anderem auch freiwillige Export -Selbstbeschränkungen, einen besseren Zugang für US-Chips zum japanischen Markt sowie die Festsetzung der Preise für japanische Chips auf einem "angemessenen Niveau" beinhaltet haben soll. Zu diesem Zeitpunkt hatten auch die Japaner längst schwere Rückschläge im Halbleitergeschäft erlitten und meldeten ebenfalls rückläufige Gewinne. Die Handelsstreitigkeiten mit den USA kamen ihnen deshalb recht ungelegen.

US-Regierung erhebt Strafzölle

Eine Schlichtung der Kontroverse ist jedoch noch nicht abzusehen. In den Vereinigten Staaten ist seit September eine Untersuchungskommission (unter anderem mit Finanzminister James Baker, Arbeitsminister William Brock und Außenminister George Shultz) dabei, die Vorwürfe gegen die Wettbewerbspraktiken der japanischen Halbleiter-Industrie zu prüfen. Erstes Ergebnis: Dumping durch japanische Lieferanten bei 64KB-DRAM-Chips. Das US-Handelsministerium teilte Anfang Dezember mit, vorläufige Schätzungen der Dumping-Preisspannen abgeschlossen zu haben. Nach ihrer Höhe sollen mögliche Antidumping-Abgaben zugrunde gelegt werden, die bis zu einer gesetzlichen Regelung als vorläufige Zölle (Strafzoll) gelten.

Joseph L. Parkinson, President der Micron Technology, erwägt trotz dieses ersten Erfolges eine weitere Eingabe mit der Forderung, Strafzölle auch für 256-KB-DRAM-Chips einzuführen. Er betonte, daß diese eine Entscheidung die den Unternehmen durch die unfaire japanische Konkurrenz entstandenen Schäden nicht ausgleichen könnte. Darüber hinaus klagt Micron derzeit in einem Antitrust-Verfahren gegen japanische Gesellschaften auf mehr als 100 Millionen Dollar Schadenersatz.

Mit Spezialisierung aus der Talsohle

Inzwischen gehen für die amerikanischen Chip-Giganten die Alltagsprobleme weiter. Intel kündigte im November an, bis Jahresende ein Waferwerk (FAB 5) zu schließen und eventuell den Personalbestand weiter abzubauen. Bei NatSemi verloren unlängst wieder 500 Mitarbeiter, überwiegend im Hauptsitz Santa Clara, ihren Job. Ferner schlossen alle fünf Branchenführer das dritte Quartal dieses Jahres mit roten Zahlen von insgesamt rund 200 Millionen Dollar ab.

Dennoch scheint die Lage nicht hoffnungslos. So rechnet die Semiconductor Industry Association mit einer Erholung der US-Halbleiter-Industrie im Laufe des Jahres 1986. Wenn auch die Nachfrage noch recht schwach sei, so nähmen die Auftragseingänge doch wieder stetig zu. Auch haben die amerikanischen Halbleiter-Hersteller umzudenken begonnen. Spezialisierung heißt der neue Trend. Sie wollen die Entwicklungs- und Produktionsschwerpunkte von Chips der Massenfertigung ("Brot- und Butter-Produkte") verlagern auf in kleineren Stückzahlen für spezielle Anwendungen produzierte sogenannte "Proprietary Chips" . Nur auf diese Waise , so die Branche, könne der Konkurrenz der in der Massenfertigung überlegenen Hersteller aus Fernost entgangen und Produkte mit einträglichen Gewinnmarken hergestellt werden.

Advanced Micro Devices plant vor diesem Hintergrund im Rahmen ihres "Liberty-Chips"-Programms über ein Jahr hinweg wöchentlich einen neuen Chips"- den Markt zu bringen .Dieses kostenintensiv und risikoreiche Unterfangen müßte allerdings auch im Falle eines Erfolges zunächst mit einer deutlichen Verschlechterung der Finanzstruktur "erkauft" werden .