IBM-Durchbruch mit Elektronenstrahlen:

Chiop-Labormuster mit 8-Nanometer-Struktur

01.02.1980

Zweihundertmal feiner als heutige fortschrittliche Chip-Linienstrukturen, nämlich gerade noch 50 Atomdurchmesser breit sind die Schaltkreisbahnen neuer IBM-Versuchschips, die der Welt führender Computerkonzern kürzlich der Öffentlichkeit vorstellte. Wichtiger als die spektakulären technischen Daten dieser Laborprodukte ist aber, welchen technologischen Trend IBM mit seinen Novitäten markiert: Das Unternehmen setzt in der Herstellung ausgeklügelter Mikroschaltkreise nun anscheinend auf die Technik der direkten Elektronenstrahl-Lithographie.

Nach gut zwei Jahrzehnten triumphaler Chip-Miniaturisierung stößt die herkömmliche Technik, die Schaltkreisstrukturen über Masken und Lichtstrahlen auf Siliziumscheiben abzubilden (und damit einen Photolack zu belichten) an ihre physikalischen Grenzen: Linienstrukturen unterhalb 1000 Nanometer (=1 Ám) Breite lassen sich nicht mehr klar darstellen, das Auflösungsvermögen, selbst von UV-Licht reicht dazu nicht mehr aus.

IBM favorisiert Elektronenstrahl-Lithographie

Die von IBM nun offenbar favorisierte Alternativmethode zur Chip-Darstellung mittels UV-Licht und Schattenmasken, (die die Leiterstrukturen auf den Chips abbilden) ist also die Elektronenstrahl-Lithographie, ein bislang vor allem als langsam und damit teuer kritisiertes Verfahren. Dabei wird ein feiner Elektronenstrahl computergesteuert so über die Chip-Fläche geführt, daß exakt die zu produzierende Schaltkreisstruktur auf einer entsprechend für Elektronenstrahlen empfindlichen Lackschicht "belichtet" (und dann herausgeätzt) wird.

Da Elektronenstrahlen sich viel feiner bündeln lassen als Lichtstrahlen, kann man natürlich noch viel feinere Strukturen - eben bis hinab zu den Rekord-Nanometern (8nm) - definieren.

Allerdings geht das nicht einfach so im Handumdrehen. Eine Untergrenze für die Strukturbreite wird nämlich zunächst einmal durch die Tatsache festgelegt, daß das Silizium-Substrat einzelne auftreffende Elektronen rückstreut, wodurch in der Praxis "unscharfe" Linienränder entstehen.

Die IBM-Wissenschaftler umschifften die Klippe durch Computertricks: Sie gaben einem Rechner Informationen darüber ein, an welchen Stellen des Chip-Layouts dieser Streu-Effekt wahrscheinlich am stärksten auftreten werde, wodurch der Computer an diesen kritischen Zonen die Intensität des Elektronenstrahls reduzieren konnte. Damit konnte die Güte des Linienmusters immerhin schon so gesteigert werden, daß Strukturen von 250 nm realisierbar wurden.

Zwecks weiterer "Verdünnisierung" des Liniengewirrs schlugen die IBM-Experten anschließend einen ganz neuen Weg ein: Sie gingen von den üblichen, rund 1 mm dicken Siliziumscheiben (Wafer genannt; jede enthält eine Vielzahl identischer Chips) auf tausendmal dünnere, 1 Ám messende Scheiben über. Und die haben nun einen gravierenden Vorzug: Die unerwünschten, rückgestreuten Elektronen kommen bei ihnen praktisch nicht mehr vor, denn einfallende Elektronen bleiben entweder (wie beabsichtigt) im Photolack stecken, den sie, was sie ja sollen, chemisch verändern, oder sie sind so energiereich, daß sie die Photoschicht glatt durchschlagen - doch dann durchschlagen sie auch die mikrometerdünne Waferscheibe und treten an ihrer Rückseite gleich wieder aus, werden also nicht mehr rückgestreut. Das war der entscheidende Trick beim Übergang zu den sensationellen 8-nm-Linienmustern.

Ein Kapitel für sich ist übrigens der Trick, mit dem die IBM-Wissenschaftler ihre 1-Ám-Wafer herstellten: Sie "erzeugten" diese 1-Ám-Schicht zunächst auf der Oberfläche eines herkömmlichen Siliziumwafers, doch während jener aus Rein-Silizium besteht, bestand die Dünn-Schicht aus Siliziumoxid, Siliziumnitrit oder versuchsweise auch aus Kohlenstoff. Das gab dem IBM-Labor die Möglichkeit, die tragende Siliziumscheibe anschließend durch chemische Ätzprozesse zu entfernen: Die 1 Ám-Schicht blieb übrig.

Schritt für Schritt - Chip für Chip

Vorhin war die Rede davon, daß die Elektronenstrahl-Lithographie das Odium des Langsamen, Unwirtschaftlichen trägt: Die Wafer werden ja nicht, wie beim UV-Licht, in einer einzigen Arbeitsphase auf der vollen Fläche belichtet, sondern seriell: Der Elektronenstrahl tastet in zeitraubender Wanderung die ganze Wafer-Oberfläche Schritt für Schritt, Chip für Chip ab. Allerdings scheinen IBM-Experten, ihrem zuversichtlichen Lächeln nach zu schließen, auch hier noch einige Pfeile im Köcher zu haben beziehungsweise neue Tricks zu wissen, wie man dem Elektronenstrahl Beine machen kann.

IBM arbeitet derzeit mit zwei unterschiedlichen Elektronenstrahl-Automaten, dem "VS"- und dem "EL 1"-Typ. Dabei tastet der "EL 1" das Chip-Layout zeilenweise ab, während der Elektronenstrahl beim VS-Gerät computergesteuert hin- und herspringt, unproduktiven Leerlauf also weitgehend vermeidet: Nur das, was er belichten soll, wird im angemessenen "Langsamgang" überstrichen.

Nun ist IBMs "EL 1" mit einer Leistung von an die zwanzig 5-cm-Wafer pro Stunde heute sicher eine der schnellsten (bereits normal produzierenden) Elektronenstrahlmaschienen der Welt, vielleicht sogar Spitzenreiter, doch der "VS"-Automat schlägt ihn gar noch um einiges: Er spuckt pro Stunde 20 Wafer des größeren 7,5 cm-Kalibers aus. Zum Vergleich: Optische Automaten schaffen pro Stunde etwa 60 Wafer.

Das Schaltkreis-Design intelligenter machen

Im Hause IBM denkt man inzwischen intensiv über eine Weiterentwicklung nach, die die Vorzüge des zeilenweise mit denen des sprungweise tastenden Geräts vereinen soll und von der man erwartet, bei 2-Ám-Linienstruktur etwa 60 Wafer pro Stunde auszuspucken. Daß diese die Basis weiterer Entwicklungen werden dürfte, die bald zu 1-Ám-Strukturen führen soll, kann man sich gut vorstellen.

Im Zeichen dieser Perspektiven verspricht die Chip- und mithin auch die Computerzukunft spannend zu werden, zumal noch solche Fragen bedacht sein wollen wie: Wie umgehen wir das Problem sogenannter "soft fails" bei Minimal-Schaltkreisdimensionen (CW-Nr. 3 vom 18. Januar 1980, Seite 12: "Kosmische Strahlung mit Kobold-Effekt). Die "weichen" Fehler werden durch auftreffende Alphateilchen bewirkt und ändern den Inhalt einer Speicherzelle. Und ferner: Welche Strategie ist ökonomisch die sinnvollere (beziehungsweise welche Kombination der einzelnen Entwicklungen): die Chips dichter packen, also feinere Strukturen vorsehen, auf die Beschleunigung des Produktionsprozesses drücken, mit größeren Wafern arbeiten, das Schaltkreis-Design "intelligenter" machen, die "Chip-Ausbeute" vergrößern oder was auch immer - Probleme, die selber ohne Computerhilfe wohl nie gelöst werden könnten.

Egon Schmidt ist freier Wissenschaftsjournalist in München