China: Lesen zwischen den Zeichen

07.08.2006
Von Gina Hardebeck
Nur wer gründlich vorbereitet ist und sich auf Land und Leute einlässt, hat eine Chance auf Erfolg.

Kaum ein Markt für Informationstechnologie soll in den kommenden Jahren so stark wachsen wie der chinesische. Bereits jetzt ist das Reich der Mitte für ein Drittel der gesamten Ausgaben für Informations- und Kommunikationstechnik in ganz Asien verantwortlich. "Alles in China ist ständig im Fluss. Was heute gilt, kann morgen völlig anders sein." Gerald Reiser, Senior Vice President Business Development China bei der IDS Scheer AG betreut seit vier Jahren IT-Projekte mit den Schwerpunkten Geschäftsprozess-Management und ERP-Implementierung in China. "Eine detaillierte Planung im europäischen Sinn ist in vielen Projekten in China nicht sinnvoll", so Reiser. Denn bei deutsch-chinesischen IT-Projekten trifft oftmals chinesische Aufbruchstimmung auf deutsche Planungsliebe. Dies kann auch Annegret Sonnenberg, Leiterin Global Diversity Project bei der SAP AG, bestätigen: "Projekte werden in China viel kürzer terminiert als in Deutschland. Planungszyklen von fünf Jahren, wie sie in Deutschland vorkommen können, sind undenkbar. Dafür ist China zu sehr in Bewegung und das Alltagsgeschäft zu wenig planbar."

Business-Phrasen für Einsteiger

• Darf ich mich vorstellen? Wo ziwo jieshao yixia

• Ich heiße .... Wo xing ...

• Es freut mich, Sie kennen zu lernen! Nin hao.

• Darf ich Ihnen meine Karte überreichen? Zhe shi wo de mingpian?

• Wie läuft das Geschäft?

Shengyi hao ma?

• Wie lautet Ihre E-Mail- Adresse? Ni de yimei er dizhi shi shenme?

• Bis dann. Yihuir jian.

• Bitte stellen Sie mir eine Quittung aus! Qing kai yi zhang fapiao.

Quelle: Pons Business Sprachführer, Chinesisch. (Aussprache wie geschrieben)

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"Nein" ist nicht gleich "nein"

Viele internationale IT-Unternehmen sehen sich in China mit Unterschieden in der Kultur konfrontiert, die sich in Management-Stilen, Haltung gegenüber Vorgesetzten, der Teilnahme an Entscheidungen oder durch eine unterschiedliche Auffassung von Teamwork ausdrücken können. Aber auch die vielfältigen Arten, Zustimmung oder Ablehnung zu signalisieren, können für Verwirrung sorgen.

So birgt ein klares "Nein" im chinesischen Verständnis die Gefahr, dass es auch als Zeichen persönlicher Abneigung aufgefasst werden kann. Chinesen versuchen daher häufig auf nonverbalem oder indirektem Weg abzulehnen. Sie wechseln beispielsweise das Thema, machen Gegenvorschläge oder, was seltener vorkommt, verlassen den Raum, um einer Konfrontation aus dem Weg zu gehen. Diese indirekte Art und Weise "Nein" zu sagen, kann die Kommunikation für "geradlinige" deutsche Kollegen oder Partner erheblich erschweren.

Ein Beispiel, das die Feinheiten der chinesischen Sprache verdeutlicht, nennt Wolfgang Maag, Gründer der auf Prozess-Management spezialisierten Abbex Group aus Ulm und seit fünf Jahren beruflich in Asien tätig: "Da der chinesische Übersetzer bei Vertragsverhandlungen eine chinesische Formulierung, trotz richtiger formaler Übersetzung, in einem anderen Zusammenhang gesehen hatte, waren die Gespräche ins Stocken geraten. Ein einziges chinesisches Zeichen war entscheidend für eine halbtägige Unterbrechung und hätte fast zum Scheitern von Vertragsverhandlungen geführt."

Starkes Hierarchiedenken

Nicht immer wirken sich sprachliche Feinheiten so gravierend aus. Tatsache ist jedoch, dass für global agierende Unternehmen Kommunikationsunterschiede schnell zu kommunikativen Barrieren werden können. IDS-Mann Reiser: "Chinesische Mitarbeiter sind in der Regel lernwillig und durchdringen neue Inhalte sehr schnell. Viele tun sich jedoch schwer, Schwierigkeiten mitzuteilen, da sie dies als Schwäche und eigenes Versagen empfinden." Hierarchisches Denken ist in China sehr stark ausgeprägt, deshalb müssen gerade jüngere Mitarbeiter ständig ermutigt werden, ihre Ideen zu erzählen und von ihnen zu erledigende Arbeiten konstruktiv zu hinterfragen. Permanentes Nachhaken, zum Beispiel nach dem Fertigungsgrad von Arbeiten am besten parallel bei mehreren Quellen, sowie persönliches In-Augenschein-Nehmen seien daher sinnvoll, rät Reiser.

Offene Kritik vermeiden

Eine ähnliche Erfahrung hat auch Matthias Röbel, Internal Communications Manager bei der IBM Systems and Technology Group Asia Pacific, gemacht. "Einem sehr engagierten Mitarbeiter wollte ich die Chance geben, eigene Ideen zur Prozessoptimierung einzubringen. Es hat zwei Tage gedauert, bis ich verstanden habe, dass ihn diese Selbstständigkeit überfordert hat." Laut Röbel ist es ratsam, die Tätigkeiten der chinesischen Mitarbeiter zu begleiten und regelmäßig Kontrollpunkte anzusetzen. Doch Vorsicht: Offene Kritik ist ein rotes Tuch. Zu groß ist die Gefahr des viel zitierten Gesichtsverlusts. Keinesfalls darf das Gegenüber das Gefühl haben, unterlegen zu sein oder gar bloßgestellt zu werden.

In die Trickkiste greifen ist erlaubt

Wer sich in China auf europäisches Kommunikations- und Konfliktverhalten verlässt, wird so manche Überraschung erleben. "Im Geschäftsleben und bei Verhandlungen sind Europäer häufig sehr blauäugig", erklärt Reiser. "Chinesische Geschäftspartner machen selten etwas, ohne ein Ziel zu verfolgen. Dabei verhalten sie sich durchaus trickreich und listig und gehen davon aus, dass das Gegenüber das auch tut - für Europäer eine ungewohnte Konstellation." Ein Beispiel: Oftmals gehen Geschäftsgespräche in den Abendstunden in geselliger Atmosphäre mit reichlich Alkohohlgenuss weiter. Dabei wird erwartet, dass man mittrinkt. Während am darauf folgenden Tag manch ein Deutscher mit brummendem Schädel an den Verhandlungstisch zurückkehrt, haben die Chinesen ihren alten Wortführer gegen einen neuen ausgetauscht. Dieser führt die Verhandlungen ausgeruht und frisch weiter. Dennoch ist es nicht ratsam, auf gemeinsame Abendaktivitäten zu verzichten. Sie sorgen für gute Atmosphäre, was auch den Geschäftsbeziehungen zuträglich ist. "Zwar kann es sein, dass man die ersten Gespräche mit allgemeinen Dingen ,vertut’, aber für Chinesen ist es immens wichtig, ihr Gegenüber persönlich kennen zu lernen, bevor man über das Business redet", so Wolfgang Maag von Abbex. Sein Tipp: "Ein paar Worte oder Sätze in der Landessprache wirken oftmals Wunder." (siehe Kasten "Business-Phrasen").

Auch Annegret Sonnenberg von SAP setzt auf sprachliche Kompetenz: "Wenn wir Mitarbeiter nach China entsenden, ist es wichtig, dass sie über gewisse Kenntnisse der Landessprache verfügen. Chinesisch ist extrem kompliziert, das lernt man nicht einfach nebenbei. Aber es hat auf chinesische Partner große Wirkung, wenn man sich die Mühe gemacht hat, einen gewissen Einstieg in die Sprache zu finden."

IT-Markt entwächst den Kinderschuhen

Die sprachliche Komponente ist nur eine von vielen Herausforderungen für Projektteams in China. Gravierender ist die mangelnde Reife des chinesischen IT-Marktes. Chinesische Unternehmen investieren zehnmal weniger in IT als internationale Konzerne. "Noch befindet sich der chinesische Markt für Informationstechnologie daher in einer frühen Entwicklungsphase", so David Wirt, Vice President Global Service Delivery bei EDS. "Die Unternehmen verlassen sich auf ihre IT-Abteilung und holen wenig Rat bei Dritten ein", erklärt Wirt die geringe Bereitschaft, für IT-Dienstleistungen zu zahlen. "Dabei entspricht unser Know-how, das wir in die chinesischen Unternehmen einbringen, im Westen erprobten Best-Practice-Lösungen." "Umso wichtiger ist es daher", betont Anne Sonnenberg von SAP, "dass man den Wert, den die Beratung für den Kunden hat, klar dokumentiert."

Vortragsreihen für CIOs

Für die kommenden Jahre prognostiziert die China Industry Software Association (Cisa) jedoch zweistellige Wachstumsraten für Software und IT-Services. Der Grund hierfür liegt in Chinas Beitritt zur Welthandelsorganisation im Jahr 2002 und der damit verbundenen schrittweisen Öffnung des chinesischen Binnenmarktes für internationale Anbieter. Um konkurrenzfähig zu bleiben, müssen chinesische Unternehmen zunehmend in eine solide IT-Infrastruktur investieren. Die Global Player sind bemüht, diese Entwicklung aktiv mitzugestalten: "Wir versuchen, den Markt für Geschäftsprozess-Management voranzutreiben, indem wir beispielsweise Vortragsreihen für CIOs und Chief Process Officers sowie Seminare und Schulungen organisieren", so der Projektleiter von IDS Scheer in China.

Noch viel Kontrollarbeit nötig

"Für chinesische Anwenderunternehmen ist eine Systemimplementierung häufig nicht nur mit einem technischen, sondern auch einem organisatorischen Quantensprung verbunden: Von wenig zu State-of-the-Art-ensprechend groß sind die Anforderungen an die Veränderungsbereitschaft bei chinesischen Unternehmen", meint Reiser. Beispiel Geschäftsprozess-Management: Um eine vollständige und korrekte Datenerfassung zu gewährleisten, muss insbesondere in produktionsnahen Abteilungen oftmals viel Kontrollarbeit geleistet werden. "In einem Beratungprojekt für den chinesischen Stahlkonzern Handan Iron & Steel wurden zu diesem Zweck extra ,Monitoring-Teams’ gebildet, deren Mitarbeiter in den ersten beiden Wochen des Systembetriebs rund um die Uhr an den relevanten Produktionsstellen waren und vor Ort ihre Feldbetten aufgeschlagen hatten."

Beim internationalen Projekt-Management sind es vor allem die "weichen Faktoren", die zu Stolpersteinen führen können. "Für Ausländer gibt es unglaublich viele Fettnäpfchen. Wir können daher nur jedem Unternehmen raten, Mitarbeiter für ihre Aufgabe in China gründlich zu schulen. Man erspart sich dadurch viele Fehler und Rückschlägge", erklärt Maag. Es sind die vielen kleinen Dinge, bei denen man schnell daneben liegt: So kann sich das Gastgeschenk, eine in weißes Geschenkpapier verpackte Uhr, schnell als doppelter Fauxpas entpuppen. Die Farbe weiß steht in China für den Tod, eine Uhr symbolisiert: "Deine Zeit ist abgelaufen".

Dennoch: Übervorsichtiges Verhalten ist fehl am Platz. Kein chinesischer Kunde oder Partner wird von einer Zusammenarbeit absehen, nur weil man beispielsweise die Visitenkarte nicht mit beiden Händen überreicht. Vielmehr ist es ratsam, ein Gespür für seinen chinesischen Gesprächspartner zu entwickeln. Denn "den Chinesen" gibt es ebenso wenig, wie "den Deutschen" oder "den Europäer".

Netzwerker mit emotionaler Stärke

SAP weist seine Mitarbeiter daraufhin, sich bewusst zu machen, aus welcher Generation das Gegenüber kommt - "aus der so genannten ,Lost Generation’ der Mao-Ära, der eine schulische Ausbildung weitgehend verwehrt blieb, aus der Nach-Mao-Ära oder der jungen Generation", beschreibt Sonnenberg. Zu Letzterer zählen in der Regel gut ausgebildete, jüngere Universitätsabgänger, von denen viele im Ausland studiert haben und nach ähnlichen Wertvorstellungen wie ihre westlichen Kollegen handeln. Anders bei der älteren Generation: Hier gilt das Prinzip der Seniorität.

Zu einem Termin mit dem chinesischen Partner sollte ein Mitarbeiter reisen, der sowohl im Alter als auch in der hierarchischen Stellung etwa dem des Gesprächpartners gleicht. Nicht minder wichtig ist in China die permanente Pflege des Beziehungsnetzwerkes. "Es zahlt sich aus, Zeit zu investieren, um eine Beziehungsebene aufzubauen. Denn nur über gute persönliche Kontakte, auf Chinesisch ,guanxi’, kann man das Vertrauen der Chinesen gewinnen und dadurch an wichtigen Informationen teilhaben", erklärt SAP-Frau Sonnenberg.

Wichtig sei für eine gute Führungskraft, so die SAP-Diversity-Chefin, die Fähigkeit zu reflektieren und zu hinterfragen, wie man in bestimmten Situationen agiert. "Dies ist Voraussetzung, um andere Kulturen interpretieren und verstehen zu können. Darüber hinaus muss eine Führungskraft viel Erfahrung und interkulturelle Kompetenz mitbringen, mit Risiken und Unvorhersehbarem umgehen können, ein guter Netzwerker sein und über eine große emotionale Stärke verfügen. Maag ergänzt: "Projektleiter in China benötigen Ausdauer, viel innere Ruhe und die Bereitschaft, von den Chinesen zu lernen und immer wieder zu lernen." (hk)