Chicago vorweggenommen? Warp II verhilft abgespecktem OS/2 zu neuer Geschwindigkeit Von Detlef Borchers*

26.08.1994

Die zweite Betaversion des zum Oktober angekuendigten neuen OS/2 zeigt, dass sich IBM fuer die Auseinandersetzung mit Microsoft und seinem Windows 4 gut vorbereitet hat. Nun gilt es, den Zeitvorsprung gegenueber Chicago, das erst im kommenden Jahr erwartet wird, zu nutzen. Bis dahin hofft Big Blue auf eine Verdoppelung der bislang fuenf Millionen verkauften OS/2-Lizenzen.

Waehrend die DV-Welt mit Spannung auf den Massenstart von Windows 4 wartet, kommt bei IBM, bislang eher lautlos, die sogenannte "Performance Beta II" in die Distribution. Diese Betaversion, in alter Startrek-Tradition auch

"Warp II" genannt, wird im Oktober "OS/2 fuer Windows" abloesen. Mit Warp ist allerdings nicht die fragwuerdige Performance des Raumschiffs Enterprise gemeint, es steht vielmehr fuer eine erhebliche Geschwindigkeitssteigerung des abgespeckten OS/2, das bedeutend effektiver mit dem Arbeitsspeicher umgeht als die Vorgaengerversion. Auf dieser Leistungsbasis soll das Einsteiger- OS/2 ohne Windows (das muss der Anwender selbst lokal einspielen) als ernsthafte Alternative gegen Microsofts Windows 4 antreten.

Das nunmehr vollstaendig auf 32 Bit ausgelegte Betriebssystem bildet den Grundstock eines regelrechten OS/2-Stammbaums, an dem auf Intel-Basis in der Folgezeit ein Client-OS/2, ein Server-OS/2 und eine Variante fuer symmetrisches Multiprocessing

(SMP) erscheinen werden. Jede hoehere Version erbt die wichtigsten Merkmale der Vorgaenger mit Ausnahme des unterschiedlich aufgebauten System-Kernels: Dieser ist bei jedem Release verschieden gewichtet. Bei der Einsteigerversion, fuer die als Namen Personal OS/2, OS/2 Version 3 oder OS/2 Version 4 Blue Thunder im Gespraech sind, ist es ein speichersparender Kernel, der den Gesamtbedarf auf 4 MB RAM begrenzt. Die Client-Version und das Server-Release brauchen wie bisher 8 MB, hier ist der Kernel um SNMP-Management-Funktionen und andere Netzaufgaben erweitert. Schliesslich noch das SMP-Release, das im Kernel die Koordination von maximal 16 Prozessoren zu bewaeltigen hat.

Trotz der Laptop-Eignung enthaelt die Performance Beta II alles, was zur Konkurrenz mit Windows 4 benoetigt wird. Im Standard Pack ist die PCMCIA-Unterstuetzung "Play at Will" (Microsoft: Plug and Play) enthalten, ein neues Frontpanel namens "Launch-Pad" erleichtert die Navigation (Microsoft: Task-Bar).

Das Betriebsmodus-API Win-32s von Windows 4 und Windows NT wird ebenfalls unterstuetzt. Gerade dies darf als auszeichnendes Merkmal von OS/2 angesehen werden, ist doch dieses Subsystem das Mass, auf das Microsoft seine Entwickler einschwoert: Die neuen Microsoft- Logos darf nur der fuehren, der die Kompatibilitaet zu Win32s nachweisen kann. Microsoft-Sprecherin Denise Shapiro schreibt in den Unterlagen zur Logo-Umsetzung explizit von der notwendigen Abgrenzung gegenueber OS/2 und Windows 3.1.

Das kommende OS/2 installiert sich erheblich schneller und einfacher (es lassen sich jetzt mehrere Drucker etc. vom Start weg einbinden). Die Installation, die bereits existierende Windows- Versionen uebernimmt, arbeitet nun auch mit Microsofts Peer-Angebot Windows for Workgroup zusammen und kommt mit einer voellig neuen Hilfe, von der aus der Benutzer jederzeit zum System uebergehen kann. Fuehlt sich der Anwender sicher, so kann er den Hilfe-Mantel abstreifen und direkt mit OS/2 arbeiten.

Die von Designern mit Blick auf Chicago ueberarbeitete Oberflaeche ist wesentlich besser zu bedienen: Eine vereinfachte Uebersicht auf geschlossene und offene Ordner, variable Cursor-Groessen, die automatische Integration von DOS- und Windows-Anwendungen, sobald ein Programm vom Prompt aus aufgerufen wird, all das beseitigt die bislang groessten Arbeitsprobleme mit der Workplace-Shell. Fuer DOS- Umsteiger bringt die neue Version 740 KB grosse DOS-Boxen, einen direkten Multimedia-Support und einen virtuellen DPMI-Adressraum von 512 MB.

OS/2-Anwender wie potentielle Umsteiger erhalten mit der Vollversion des naechsten Pakets allerdings noch mehr: In das Produkt integrierte IBM ein "Bonus Pack" mit all den Anwendungen, die OS/2 gegenueber Windows 4 attraktiver machen koennen. Es ist in der aktuellen Beta II noch nicht komplett enthalten.

Zu den Beigaben gehoert "CIM for OS/2", die Zugriffssoftware auf den kommerziellen Mailbox-Dienst Compuserve, in dem IBM unter anderem den Support fuer seine Betareihe auch ueber eine eigene deutsche Sektion

(GO OS2UGER) abwickelt. In Zukunft soll ueber eine SLIP-Adaption von TCP/IP der Internet-Zugriff samt Mailreader und WWW-Browser namens Knu/2 (Knowledge Utility) das DFUE-Angebot komplettieren. Die deutsche Fassung will IBM analog dazu mit einer BTX-Software ausstatten.

Ausserdem moechte IBM fuer die taegliche Arbeit im Privatbereich das integrierte Bueropaket "Works for OS/2" sowie "Person to Person" seinem Bonus Pack beifuegen. Dieses in England entwickelte Videokonferenzmodul wird jedoch ohne den eingebauten Dateitransfer der Vollversion vertrieben.

Damit enthaelt auch die kommende Ausfuehrung keine eingebaute Software zum Dateiaustausch zwischen Desktop und Laptop, obwohl der Transfer insgesamt wesentlich einfacher geworden ist: Performance Beta II kann im laufenden Betrieb zwischen einem Datentransfer am Druckerport und einem Druckjob umschalten, da sie den Kabelwechsel erkennt.

Wie ernst es IBM damit ist, bis zum Erscheinen von Chicago weitere Anwender ins eigene Lager zu locken, zeigt die breite Streuung der Beta, die fuer Deutschland gerade ueber Kopenhagen anlaeuft. Unter der Nummer 0130-812177 kann die Performance Beta II fuer 40 Mark bestellt werden. Kaeufer frueherer OS/2-Versionen erhalten die Beta II ohnehin. IBM selbst schreckt damit ohne Bedenken die Interessenten des eigentlichen Vorgaengers OS/2 fuer Windows und der Software "IBM Works" ab, die sich beide noch auf dem Markt befinden. In den USA, wo der Vertrieb der Beta II bereits angelaufen ist, sackten bei den Discountern die Verkaufspreise der CD-ROM-Variante von OS/2 fuer Windows sehr schnell unter 15 Dollar.

Vorwuerfe von Microsoft, dass IBM seine OS/2-Produktlinie nunmehr verramsche, liessen nicht lange auf sich warten. Wer jedoch die Verkaufszahlen der alten OS/2-Versionen analysiert, wird schnell den eigentlichen Grund fuer diese Betapolitik finden: Bis zum naechsten Jahr, wenn Chicago erscheint, will IBM zehn Millionen OS/2-Lizenzen im Markt plaziert haben (derzeit werden offiziell fuenf Millionen gemeldet). Bildunterschrift: Eine gewisse Aehnlichkeit zwischen den Newcomern Chicago (unten) und OS/2 (oben) ist unverkennbar. Beide verfuegen ueber ein Frontpanel im unteren Bildschirmrand, das in OS/2 "Launch-Pad" und bei Microsoft "Task- Bar" getauft wurde. Charakteristisch sind auch die Folder, hinter denen sich die Anwendungen verbergen.

Win32s - der Stein der Weisen?

Waehrend die Arbeit an den Windows-Updates noch andauert, offerierte Microsoft fuer die Entwickler bereits verschiedene API- Subsets wie Win32c, Win32g und Win32s. Obwohl alle drei Schnittstellen dafuer gedacht sind, die Tuer zur neuen 32-Bit-Welt aufzustossen und gleichzeitig auch die alte 16-Bit-Welt mit zu uebernehmen (im MS-Sprachgebrauch: Windows on Windows), kristallisierte sich schnell ein Favorit heraus: Nur Win32s, wie es etwa im neuen Windows NT 3.5 (Daytona) vorhanden ist, bietet das Verbindungs-API, um sowohl fuer NT als auch fuer Chicago zu entwickeln. Die Konsequenz der Programmierer, fuer beide Plattformen zu schreiben, machte sich Microsoft zunutze: Die Vergabe der naechsten Generation der verkaufsfoerdernden Windows- Logos ist nun von der Win32s-Konformitaet abhaengig. Dem Vernehmen nach soll sich IBM in einem Anfall von Humor ebenfalls um das neue Microsoft-Logo bemuehen: Mit seinem naechsten OS/2 unterstuetzt Big Blue das Win32s-API und erweitert so das Angebot an moderner Software fuer OS/2 erheblich.

*Detlef Borchers ist freier Autor in Westerkappeln.