"Chess 4.8" war Kortschnojs Präzision nicht gewachsen:"Brute Force"-Methode in der Sackgasse?

12.04.1979

Um mindestens zwei Leistungsklassen besser ist der zweitbeste Schachgroßmeister der Welt, Viktor Kortschnoj, aus der Begegnung mit dem elektronischen Weltchampion "Chess 4.8" siegreich hervorgegangen. Die Partie fand in den Hamburger Redaktionsräumen des "Spiegel" statt.

Wie der 47jährige Exilrusse (Elowertung 2695 Punkte) mit dem amerikanischen Schachprogramm "Chess 4.8" auf einer CDC Cyber 176 (Elozahl zirka 2030) in 40 Zügen fertig wurde, machte etwaige Hoffnungen der anwesenden EDV-Experten und Journalisten, der Schachcomputer könnte Welt-Elitespielern ebenbürtig oder gar überlegen sein, vorläufig zunichte.

Im Gegenteil, ausgerechnet auf dem Gebiet der taktischen Fertigkeiten, das bisher als Domäne von "Chess 4.8" galt, deckte der mit dem Schach-Oscar '78 prämierte Kortschnoj einige Lücken bei "Chess 4.8" auf.

Bereits Ungenauigkeiten bei der Eröffnung (besonders der erste und fünfte Zug sind zu beanstanden), aber auch die Kurzsichtigkeit des von "Chess 4.8" geplanten Läuferrnanövers im 14. Zug (siehe Partie), sollte den Schöpfern des Programms, Larry Atkin und David Slate, Anlaß genug sein, etliche Korrekturen an ihrem Sprößling vorzunehmen.

Es klingt zwar beeindruckend, daß "Chess 4.8" vor dem besagten 14. Zug rund 900 000 Positionen untersuchte, aber letzten Endes wählte der Zug-Genertator doch die nachteilige Fortsetzung Lh5. Man muß sich aber doch wohl fragen, wie solche und ähnliche Fehlgriffe bei dem durchschnittlich sieben Halbzüge im voraus rechnenden Schachprogramm überhaupt zustande kommen können.

Von welchem Nutzen war hier das Einschalten von "pondery" (zusätzlich angestellte Untersuchungen der Maschine während der Bedenkzeit ihres menschlichen Opponenten), wenn die erwartete Fortsetzung, wie vor Kortschnojs 15. Zug Lg7, ausbleibt?

Allem Anschein nach wollen die "Chess 4.8"-Väter die "Brute Force" - Methode nach Shannons Typ A-Strategie (alle möglichen Variantenäste werden bis zur vorgeschriebenen Tiefe und Breite berücksichtigt) bei "Chess 5.0" auf acht oder mehr Halbzüge erweitern. Dazu wird wiederum ein etwa zehnmal stärkerer Rechner als die Cyber 176 benötigt. Um wieviel schneller muß sich das Karussell der "rohen Gewalt' noch drehen, um die ersten Schachpunkte den Superstars abjagen zu können? Denn vor allem in der strategisch wichtigen Beurteilung der Position sind die Großmeister den nach dem Shannonschen "A-Prinzip" rechnenden Programmen, und das sind zur Zeit die meisten, nach wie vor weit überlegen.

Ein Trostpflaster könnte vielleicht sein, daß der elektronische Weltmeister bereits zu den besten 3000 Schachspielern der Welt zählt. Noch am gleichen Sonntag besiegte die Maschine simultan gleich sieben von neun prominenten Schachlaien. Die Hamburger Damenmelsterin Regina Berglitz trotzte dem Superding ein Unentschieden ab. Lediglich vor Bundesligaspieler Robert von Weizäcker streckte die Maschine ihre

Waffen. ik