Chemie

Chemie-, Pharma- und Food-Unternehmen suchen Mehrfachqualifizierte

18.06.2002
Von Helga Ballauf
Die Prozessindustrie hat Nachholbedarf, was die IT-Nutzung entlang der Wertschöpfungskette betrifft. Gute Aussichten für Hochschulabsolventen, die etwas von Lebensmittel-, chemischer oder pharmazeutischer Produktion sowie von Informatik und E-Business verstehen.

Sie stellen feine Duftstoffe oder Schokoriegel her, Kunstdünger, Lacke oder Geliermittel, produzieren Halbleiter oder Kopfschmerztabletten: Unternehmen der Prozessindustrie haben auf den ersten Blick nicht viel miteinander zu tun. Doch ein Branchenkenner weiß: "Das Mischen von Speiseeis ist kaum etwas anderes als die Verarbeitung von Rohöl." Denn charakteristisch für die Prozessindustrie sind spezielle Herstellungsverfahren. Die Produkte werden nicht aus fertigen Komponenten zusammengesetzt wie Autos, Kühlschränke oder Computer, sondern sind das Ergebnis stofflicher Umwandlungsprozesse am Ende chemischer und physikalischer Reaktionsketten.

Die Prozessindustrie stellt hohe Anforderungen an Computeranwendungen und gilt als aussichtsreiche Wirtschaftssparte für Berufseinsteiger, die über einen Qualifikationsmix verfügen. Harte Fakten und Zahlen über die volkswirtschaftliche Bedeutung der Prozessindustrie in der Bundesrepublik sind Mangelware. Es gibt keinen Industrieverband und auch keine Statistik, die dieses Marktsegment als eigene Kategorie führt. Der Sektor besteht aus chemischer Industrie, Pharmaindustrie, Mineralölverarbeitung, Ernährungsgewerbe einschließlich Getränkeherstellern, Glas-, Keramik- und Baustoffproduzenten. Allein in den drei Kernbranchen Chemie, Pharma und Food erwirtschafteten im Jahr 2000 die rund 1,2 Millionen Beschäftigten in mehr als 8000 Betrieben einen Umsatz von 280 Milliarden Euro. Anspruchsvolle Technik In der Leitwarte eines Chemieunternehmens: Ein buntes Fließbild auf dem Monitor repräsentiert alle wichtigen Bauteile der Produktionsanlage. Unsichtbar arbeitet die Automatik zwei Prozessketten ab: Je nach Rezeptur wird die Anlage schrittweise mit Inhaltsstoffen befüllt, parallel dazu laufen die Bearbeitungsvorgänge: ein Vakuum herstellen, destillieren, aufheizen, abkühlen. Die richtige Dosierung der Zutaten, ihre Durchlaufgeschwindigkeit und der entsprechende Dampfdruck müssen ständig reguliert werden, weil das Wetter draußen die Druckverhältnisse drinnen beeinflusst oder weil Katalysatoren allmählich auslaugen und plötzlich nur noch schwach reagieren.

Diese Abläufe stellen besondere technische Anforderungen an die elektronische Produktionsprogrammsteuerung (PPS). Parameter wie Temperatur, Druck und chemische Reaktionsweisen der Stoffe sind bei Transport, Verarbeitung und Lagerung zu berücksichtigen. Wenn die Stoffumwandlungsprozesse einmal in Gang gesetzt sind, lassen sie sich nicht per Knopfdruck beenden - auch im Störungsfall nicht. Das erfordert effektive Frühwarn- und Sicherungssysteme.

Spezielle Aufgaben müssen in der Prozessindustrie auch die betriebswirtschaftlichen Planungs- und Steuerungssysteme bewältigen. Das gilt für die Verzahnung interner Geschäftsabläufe ebenso wie für das Supply-Chain-Management (SCM), das Kunden und Partner in die Prozesskette integriert. In der Arzneiherstellung beispielsweise verlangen die Auftraggeber, Produktionschargen lückenlos zurückverfolgen zu können. Großer Nachholbedarf Ein Eldorado für Informatiker, möchte man meinen. Doch bislang hinkt die Prozessindustrie bei der Nutzung von IT-Anwendungen hinter anderen Wirtschaftssparten her. Das betrifft Verfahrenstechnik und Automatisierung ebenso wie die Geschäftsprozessintegration. Mittlerweile haben die Softwareanbieter jedoch diesen Industriezweig entdeckt und begonnen, Standardlösungen zu entwickeln. Branchenkenner Matthias Uhrig beobachtet "eine starke Aufholbewegung" der Prozessindustrie, was die IT-Vernetzung firmeninterner Abläufe angeht.

Anders, so der Teilhaber der Beratungsgesellschaft für Informations- und Prozess-Management Dr. Böhmer, Uhrig und Partner (BUP), die sich inzwischen Intargia nennt, sieht es noch beim Blick über den betrieblichen Tellerrand aus. Das Geheimhaltungsbedürfnis - etwa von Rezepturen - ist in dieser Branche größer als in anderen. Das hat die Haltung geprägt, sich von niemandem in die Karten schauen zu lassen. "Diese Philosophie steht der Integration der gesamten Wertschöpfungskette im Weg", urteilt Uhrig. Der Zwang, elektronische Informations- und Transaktionsketten im eigenen Unternehmen sowie zu Auftraggebern und Lieferanten aufzubauen, ist nicht in allen Branchen der Prozessindustrie gleich stark. I