Agiles Führen

Chefs müssen umdenken

02.02.2014
Von  und
ist Geschäftsführer von HR Pioneers.
ist Human Resource Consultant bei HR Pioneers.
Im agilen Umfeld definieren Arbeitgeber Führungsaufgaben neu. Organisationen und Mitarbeiter müssen bereit für Veränderungen sein.

Die Auswirkungen von agilen Methoden gehen weit über die Softwareentwicklung hinaus. Viele Unternehmen machen den Fehler und versuchen, Probleme mit Prozessoptimierung zu lösen. Diese Vorgehensweise greift jedoch zu kurz: Agile Veränderungen finden auf drei Ebenen statt, die sich gegenseitig beeinflussen:

  1. Der Prozess ist schlank und transparent - mit einem iterativen Vorgehen sowie regelmäßigen Feedbackschleifen.

  2. Die Struktur: Die klassische Aufbauorganisation rückt in der agilen Welt zunehmend in den Hintergrund. Die alte Organisation löst viele Komplikationen bei der Einführung agiler Methoden aus: Probleme liegen etwa im Verhältnis zwischen Aufbauorganisation und den produktorientierten Scrum-Teams, die sich insbesondere durch interdisziplinäre sowie selbstorganisierte Arbeit auszeichnen. Verantwortlichkeiten werden in die Teams verlagert, die das Know-how haben, so dass die Produkt- und Prozessperspektive in den Vordergrund rückt.

  3. Die Kultur: Wenn infolge der Einführung agiler Methoden die Verantwortung bei den Mitarbeitern beziehungsweise Teams wächst, wirkt sich dies auf die Unternehmenskultur aus. Führungskräfte und Mitarbeiter müssen andere Rollen einnehmen, neue Kompetenzen erlernen sowie ihre Arbeitsweisen und Denkart ändern. Werte wie Verbindlichkeit, Offenheit, Mut, Vertrauen und Respekt stehen im agilen Kontext im Vordergrund.

Firma braucht agile "Mentalität"

Diese Veränderungen lassen sich nur dann umsetzen, wenn Arbeitgeber die Rahmenbedingungen schaffen, in denen Agilität auch gelebt wird. Führungskräften kommt hierbei eine wichtige Rolle zu: Sie sind von Beginn an einzubinden, um die agile "Mentalität" im Unternehmen zu etablieren.

In klassischen Unternehmen gibt es eine disziplinarische Führungskraft, die für ein Team verantwortlich ist. Mit der Einführung von Scrum verteilen sich die klassischen Führungsaufgaben jedoch auf mehrere Rollen: Vor diesem Hintergrund ändert sich sowohl der Verantwortungsbereich des Chefs als auch sein Führungsverständnis. Operative Ziele werden über die User Stories des Product Owners abgebildet. Feedback findet innerhalb der Teams statt, indem die Retrospektive entsprechend genutzt wird. Teamentwicklung entsteht durch den Scrum Master.

Das Führungsverständnis des agilen Chefs liegt insbesondere darin,

  • Verantwortung zu übergeben;

  • Rahmenbedingungen zu schaffen, in denen agiles Arbeiten möglich ist;

  • eine Unternehmenskultur zu unterstützen, die Fehler erlaubt;

  • sich an den Ergebnissen zu orientieren, wobei die Prozesse lediglich das Mittel zum Zweck darstellen - im Vordergrund steht immer das Ergebnis;

  • sich auf die Stärken der Mitarbeiter zu konzentrieren und

  • Vertrauen aufzubauen.

Der Einsatz klassischer Führungsinstrumente stößt im agilen Kontext an seine Grenzen, so dass der Einsatz von Personal- und Führungsinstrumenten anzupassen ist. Das bezieht sich auf:

Mitarbeitergespräche

Im agilen Kontext coacht die Führungskraft den Mitarbeiter. Vor diesem Hintergrund ist es notwendig, regelmäßige Gespräche mit den einzelnen Mitarbeitern zu führen und mit ihnen ihre Entwicklungsperspektiven und -fortschritte zu erörtern. Ein bis zwei Mitarbeitergespräche im Jahr sind im agilen Kontext zu wenig, da es innerhalb eines so großen Abstandes nicht möglich ist, ein angemessenes Feedback zu geben. Gerade in agilen Kulturen sind deutlich kürzere Abstände zu wählen, um sich mit den Angestellten aktiv auszutauschen. Geeignet dafür sind viele kurze Gespräche etwa von einer halben Stunde, die alle zwei Wochen stattfinden und als Ergänzung ausführlicherer Meilenstein-Gespräche dienen sollen.

Lassen sich Firmen auf agile Methoden ein, hat das nicht nur Auswirkungen auf die reine Softwareentwicklung, sondern bringt oft auch noch ganz andere Veränderungen mit sich.
Lassen sich Firmen auf agile Methoden ein, hat das nicht nur Auswirkungen auf die reine Softwareentwicklung, sondern bringt oft auch noch ganz andere Veränderungen mit sich.
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Das Mitarbeitergespräch sollte ...

  • sowohl von der Führungskraft als auch vom Mitarbeiter als Chance und nicht als Last oder Farce angesehen werden;

  • dem Beschäftigten nutzen, seine Weiterentwicklung voranzutreiben, und

  • den Mitarbeiter systematisch befähigen, seinen Job besser zu erledigen.

Zielvereinbarungen

Operative Ziele lassen sich durch User Stories und Sprint-Ziele abbilden. Um die ganze Mannschaft beziehungsweise den einzelnen Mitarbeiter darüber hinaus zu fördern, vereinbart der Scrum Master Ziele.

Entwicklungsinstrumente (Karrieremodell)

Da sich agile Organisationen durch eine Netzwerkstruktur mit flachen Hierarchien oder auch ohne Hierarchiestufen auszeichnen, stellt sich die Frage, wie Arbeitgeber dem Wunsch der Mitarbeiter nach steter Weiterentwicklung nachkommen. Berufliches Weiterkommen im agilen Kontext bedeutet nicht, die Karriereleiter innerhalb einer Pyramide Schritt für Schritt zu erklimmen. Im Vordergrund steht die fachliche Weiterentwicklung. Das bedeutet, dass jeder Beschäftigte seine Kompetenzen stetig vermehrt, um den eigenen Verantwortungsbereich auszuweiten - ohne Übernahme disziplinarischer Führungsverantwortung.

Leistungsbeurteilungen

Auf Basis der transparenten Vorgehensweise bei Scrum sowie der regelmäßigen Retrospektive wird die Leistung des Teams schnell sichtbar, und es erörtert gemeinsam Verbesserungen für den nächsten Sprint. Bestenfalls findet auch die Leistungsbeurteilung der einzelnen Kollegen in der Mannschaft statt. Dadurch, dass die Teammitglieder während der Sprints intensiv miteinander arbeiten, liegt es auf der Hand, dass sie selbst am besten einschätzen können, wie die Leistung der anderen zu beurteilen ist.

Inwiefern aber kann der Manager umfassend die Leistungen der jeweiligen Teammitglieder beurteilen? Da der Manager häufig ziemlich weit weg vom einzelnen Teammitglied ist und dessen Arbeit nur selten unmittelbar mitbekommt, ist es für ihn nicht unbedingt möglich, sich ein umfassendes Bild von seiner Leistung zu machen. Vor diesem Hintergrund bietet sich das 360-Grad-Feedback an.

Das 360-Grad-Feedback eignet sich dazu, Kompetenzen, Leistungen und das Verhalten der Mitarbeiter aus verschiedenen Perspektiven zu erfassen. Mit anderen Worten, ausgewählte Personen wie Kollegen, Kunden, Mitarbeiter aus anderen Abteilungen, mit denen der Mitarbeiter zusammenarbeitet, erhalten einen Fragebogen, um die Leistung des Mitarbeiters zu bewerten.

Bonus und Vergütungsinstrumente

Viele Unternehmen vereinbaren Ziele, an die auch individuelle Boni geknüpft sind. Allerdings zeigt sich immer wieder, dass variable Vergütungssysteme die Erwartungen nicht erfüllen. Halten Arbeitgeber an solchen variablen Vergütungsmodellen dennoch fest, sollten diese ausschließlich auf den Teamerfolg abzielen. Am besten wäre es, wenn Firmen variable Vergütungssysteme im agilen Umfeld komplett abschafften.

Grundsätzlich spielen materielle Anreize im Kontext von Agilität eine geringere Rolle. Vielmehr ist wichtig, herauszufinden, was die Mitarbeiter wirklich motiviert: Welche immateriellen Anreize wie gemeinsame Veranstaltungen oder Vorträge lassen sich organisieren, durch die das Management den Mitarbeitern eine angemessene Anerkennung zum Ausdruck bringt? (hk)