CW-Interview mit dem amerikanischen Management-Berater Clint Callahan

"Chefs müssen Risiken auf sich nehmen"

12.07.2002
Gerade in schwierigen Zeiten sollten Führungskräfte mutig sein und beispielsweise Kunden zu firmeninternen Besprechungen einladen. Dies fordert der amerikanische Management-Berater Clint Callahan im Gespräch mit CW-Redakteur Hans Königes. Callahan ist überzeugt, dass Innovationen nur mit ungewöhnlichen Maßnahmen möglich sind.

CW: Welche Schuld tragen die Führungskräfte an der aktuellen Krise?

Callahan: Die Aufgabe eines Managers ist es, unabhängig von dem, was die Wirtschaft tut, der eigenen Organisation Führung und Entscheidungsstärke zu bieten. Wer allein auf Kostensenkung, Beschäftigungsabbau und Verkauf von Unternehmensteilen setzt, zeigt, dass er sich mit Alternativen nicht aus-kennt. Mit der Wahl des nahe liegenden linearen Kostensenkungsansatzes opfern Manager möglicherweise das Wohlergehen ihrer Mitarbeiter und ihrer Kunden - und das ist ihr Fehler.

CW: Man hat den Eindruck, dass gerade in schwierigen Zeiten Manager versagen. Wieso?

Callahan: Manager werden nur dann versagen, wenn sie auf Verfahren zur Nutzung des vollen kreativen Potenzials ihrer Teams verzichten.

CW: Was sollten Chefs anders machen?

Callahan: Zunächst gibt es immer eine Alternative zu dem, was man bislang getan hat. Dazu muss ein Manager jedoch die volle Verantwortung für die Situation übernehmen, so, als ob es um seine persönlichen Angelegenheiten ginge. Im Falle einer taumelnden oder rezessiven Wirtschaft kann die Führungskraft das jeweilige Problem als die Lösung anderer Probleme erkennen. Das bezeichnet man als "Non-Linearität". Zum Beispiel kann das Fehlen von Investitionskapital ein Anstoß dafür sein, neue Geschäfts- und Finanzierungsformen, neue organisatorische Weichen, neue Beziehungen zu Wettbewerbern, Lieferanten und Kunden zu schaffen - bis dahin, dass sich bislang unbekannte Märkte öffnen.

CW: Wo sehen Sie die größten Schwächen der Manager in dieser Krise?

Callahan: Würde man das Management mit direkter Personalführung interviewen, würde der Großteil die Organisation für die aktuellen Schwächen verantwortlich machen. Nur, warum verfahren nur so wenige entsprechend diesem Wissen? Weil Manager trainiert wurden, hart zu arbeiten und nicht aufzufallen, mit anderen Worten also, Aufruhr in der Organisation zu vermeiden. Doch so geht das nicht weiter. Von oben wird sich sicher nichts über Nacht ändern. Führungskräfte müssen deshalb revolutionär Risiken auf sich nehmen und - basierend auf dem Input ihres Teams - Veränderungen vornehmen.

CW: Häufiger Kritikpunkt, wenn es im Unternehmen schwierig wird, ist die mangelnde Kommunikation des Managements mit den Mitarbeitern. Welches sind Ihre Erfahrungen?

Callahan: Es fehlt immer an Kommunikation - nicht nur in schwierigen Zeiten. Und das Fehlen von Kommunikation ist nicht allein der Fehler des Managements. Das Fehlen von Kommunikation ist Ausdruck der hierarchischen Organisationsstruktur. Kein Manager wird fortlaufend wissen, was und wann er jeder Person seines Teams zu jeder Zeit zu sagen hat. Wenn jeder Einzelne in einer Organisation Teil des Beratungsteams des Managers ist, dann sind die Mitarbeiter nicht nur ermächtigt, sondern auch verpflichtet zu fragen, wenn sie etwas brauchen.

CW: Was würden Sie in dieser Hinsicht dem Management empfehlen?

Callahan: Es steht fest, dass Kommunikation auf Erfolg im Kopf des Zuhörers zielt. Ein Ma-nager kann sein Team zu exzellenten Kommunikatoren verwandeln, in dem er selbst zum exzellenten Zuhörer wird. Er sollte dazu nicht das formulieren, was er von seinen Mitarbeitern hören will. Stattdessen gilt es, um die eigenen Erwartungen zu treffen, in ein Meeting ohne eine vorauseilende Kontrolle des Ergebnisses zu gehen.

CW: Was geschieht mit den Mitarbeitern?

Callahan: Die Mitarbeiter sollten gelehrt werden, wie sie Regeln verletzen können. Wildere Besprechungen dürften zu neuen Produktlinien, neuen Services, einer neuen Preisstruktur oder zu neuen organisatorischen Zusammenhängen führen. Da ein Unternehmen erst durch seine Kunden erfolgreich wird, sollten in vielen Besprechungen Kunden anwesend sein. Manager müssen sich auf den wahren Zweck einer Organisation rückverpflichten, das heißt vor allem ein verlässliches Geschäft für Mitarbeiter und Kunden sicherstellen.

CW: Wie kann das Management am besten auf die Mitarbeiter einwirken? Welche Möglichkeiten der Motivation gibt es?

Callahan: Das ursprüngliche Organisationsmodell eines Teams basiert auf Befehl und Gehorsam. Dieses der Kriegskunst entlehnte Modell scheitert in der Geschäftswelt des 21. Jahrhunderts - einer Welt, die viel komplexer ist als das Ziel, Feindesland zu erobern. Die Vorstellungskraft eines Managers ist weder vollständig noch schnell genug, um heute ein Team zu führen. Stattdessen braucht es eine Gruppe von Menschen, die vom inneren Willen angetrieben sind, also inspiriert von innen statt motiviert von außen. Die Aufgabe des Managers ist es, das innere Feuer seiner Teammitglieder zu erkennen und es zu hüten. Führung wird demzufolge zu einer Sache des Zuhörens.

Das Management der Möglichkeiten

Grundidee des Managements der Möglichkeiten ist, dass sich jeder im Klaren sein muss, dass es ausschließlich an seiner individuellen Einschätzung liegt, ob er einen Sachverhalt als nachteilig oder als vorteilhaft einordnet. Mit dem Possibility-Management konzentriert sich die Führungskraft in jeder Situation darauf, Situationen entstehen zu lassen, in der es keine Verlierer gibt. Die Einstellung, seinen Mitmenschen unbedingt widersprechen oder sie durch Besserwissen überflügeln zu wollen, wird ersetzt durch Zustimmung und Ermunterung, in jedem Augenblick eine Lösung kreieren zu können.

Worin unterscheidet sich nun diese Methode von anderen? Viele andere Werkzeuge haben den Anspruch, stabile Verhältnisse, Strukturen und Abläufe zu schaffen. Das Possibility-Management geht von ständiger Veränderung, also von Evolution aus, und ertüchtigt dazu, in jedem Moment neu sein ganzes Wissen kraftvoll auszuspielen. Um sich von jeweils augenblicklicher Befangenheit frei zu machen, empfiehlt Clint Callahan immer wieder auf die Meta-Ebene des Denkens zu gehen und zu erkennen, wo man steht. Sein Beispiel: "Finde ich in einer bestimmten Situation keinen Ausweg, frage ich mich, welcher Ausweg einer mich beeindruckenden historischen Persönlichkeit eingefallen wäre. So etwas löst die Knoten im Gehirn."

Auf die Frage, was ein Possibility-Manager können muss, meint der Management-Berater, dass man lernt, in komplexen, durch unzureichende Informationen gekennzeichneten Situationen schnelle und akkurate Entscheidungen zu treffen, Feedback aufzunehmen und sich unmittelbar neu zu orientieren. "Im Idealfall wird jede Sekunde des eigenen Lebens als Chance erkannt, neu zu handeln, und zwar gestützt auf den Referenzrahmen der eigenen Prinzipien." Possibility-Manager seien extrem flexibel und dennoch äußerst verlässlich.

"Grundsätzlich belebt ein Possibility-Manager jede Entscheidungssituation", so Callahan. Im Vertriebsgespräch navigiert er virtuos zwischen direkten Kaufinformationen und den Rahmenbedingungen des Kaufs. Er stellt sich in den Dienst seines Gegenübers, indem er sich für persönliche Signale öffnet, die er durch eigene Authentizität lernt, hinter der Fassade des anderen zu erkennen.