Chaotische Maerkte - chaotische Manager?

09.12.1994

Professor Dr. Ing. Hartmut Binner, Gesellschafter der CIM-house Dr. Binner & Partner GmbH, Hannover

Auf den Maerkten regiert das Chaos - jedenfalls wenn man Management-Beratern und Zukunftsforschern glauben darf. Dabei wird Chaos als ordnungsloser Zustand verstanden. Die Maerkte, so scheint es, sind strukturlos, gekennzeichnet durch schnellebige Produkte und kurzzeitige Modetrends.

Doch sind unberechenbare Maerkte tatsaechlich chaotisch, oder handelt es sich nur um ein Modewort, das Kreativitaet und Originalitaet seines Benutzers unterstreichen soll? Aus der Chaosforschung erfahren wir, dass sich das deterministische Weltbild in der Wissenschaft gewandelt hat. Nicht eindeutig beschreibbare Systemzustaende machen eine Vorhersage unmoeglich, so dass man sich auf zufaellige Ereignisse einstellen muss.

Allerdings besitzt jedes komplexe System auch Ordnungsparameter, aus deren Kenntnis heraus sich immer neue Teilstabilitaeten prognostizieren lassen. Dies gilt auch fuer komplexe Unternehmen und globale Maerkte.

Um auf diesen Maerkten das Interesse des Kunden zu finden und schliesslich den Zustimmungsbonus zu erhalten, ist sehr viel Disziplin noetig. Dahinter stehen strukturierte Qualitaets-, Kosten- , Funktions-, Service- und noch viele andere Aspekte, die dem Unternehmen Wettbewerbsfaehigkeit erst ermoeglichen.

Auch wenn die Vorhersage des Markt- beziehungsweise Kundenverhaltens immer schwieriger wird, kann man doch nicht von chaotischen Maerkten reden. Die Randbedingungen sind klar ersichtlich: Eine globale Konkurrenz schafft Ueberkapazitaeten, die zur Saettigung fuehren, der ein Unternehmen nur durch besondere Innovationsanstrengungen begegnen kann. Dabei darf keinesfalls das Chaos herrschen. Alle Beteiligten muessen vielmehr mit effizienten, wenn auch nicht bis in die letzte Einzelheit festgelegten Ablaeufen die Herausforderungen des unberechenbaren Marktes annehmen und erfolgreich agieren.

Dies beginnt mit der Ermittlung der Kundenbeduerfnisse und - erwartungen. Aber auch mit Informationen ueber die Konkurrenz, wie sie die Kundenwuensche erfuellen will und dem Kunden gegenuebertritt. Abheben vom Wettbewerb durch Glaubwuerdigkeit, Qualitaet, Innovationsfaehigkeit und Flexibilitaet hat mit zielgerichtetem Handeln und harter Arbeit zu tun.

Disziplin, Bereitschaft und die Lernfaehigkeit aller Beteiligten, insbesondere der Fuehrung, sind dabei wesentlich. Der Erfolg eines scheinbar intuitiv handelnden Unternehmers beruht haeufig auf assoziativen Mustern, die er aus frueheren Erfahrungen abgespeichert hat. Verruecktheiten haben hier keinen Platz - hoechstens als Muster ohne Wert bei vorher exakt geplanten Ueberraschungseffekten.

Durchgaengige betriebliche Strukturen anstelle der bisher zentralistischen, streng arbeitsteiligen Ablaeufe sind genau zu planende Vorgaben, ohne die heute kein Erfolg am Markt mehr moeglich ist. Dezentrale, autonome Organisationseinheiten muessen geschaffen werden, in denen die Mitarbeiter im Mittelpunkt stehen und fuer ganzheitliche Prozessablaeufe die Ergebnisverantwortung tragen.

Unterstuetzt werden sie durch ein dezentrales DV-Management, das die Kommunikation zwischen den Arbeitsbereichen organisiert und optimiert. Auch wird ein dezentrales Fabrik-Management benoetigt, das ueberschaubare und beherrschbare Prozesse nach kostenwirtschaftlichen Gesichtspunkten ermoeglicht. Darauf bauen dezentrale Logistik und Produktions-Management auf, um eine flexible Auftragsabwicklung zu erreichen: Bei niedrigen Bestaenden und kurzen Durchlaufzeiten muessen exakt die vom Kunden gewuenschten Produkte termintreu geliefert werden koennen.

Ein dezentrales Qualitaets-Management ist in diese Ablaeufe integriert. Es gibt keine zusaetzlichen Qualitaetskontrolleure mehr, sondern der Mitarbeiter ist selbst fuer die von ihm erzeugte Qualitaet verantwortlich. Dessen Selbst-Management steht im Vordergrund und bedeutet Selbstorganisation, -steuerung, - Controlling, aber auch eigenverantwortliche Qualifizierung und die bereits angesprochene Selbstdisziplin.

Trotz zufaelliger Ereignisse und lang- oder mittelfristig nicht mehr vorhersehbarer Systementwicklungen ist es moeglich, sich ueber ein grosses Mass an Selbstorganisation dynamisch in der komplizierten Umwelt zu behaupten beziehungsweise sich an sie anzupassen.

Kreativitaet innerhalb dafuer vorgesehener Handlungsspielraeume ist noetig. Sie sollte sich immer an den Zielvorgaben orientieren, deren Erreichen durch einfache und verstaendliche Kennzahlen fuer jeden einzelnen ueberpruefbar bleiben. Chaotik ist dabei sicher nicht gefragt!