Change-Management verlangt kühlen Kopf

30.04.2002
Von 
Alexandra Mesmer war bis Juli 2021 Redakteurin der Computerwoche, danach wechselte sie zu dem IT-Dienstleister MaibornWolff, wo sie derzeit als Head of Communications arbeitet.
Fusionen, Expansionspläne oder wirtschaftliche Schwierigkeiten - Gründe für Change-Management-Prozesse gibt es viele. Beim Personal führen radikale Veränderungen leicht zu Unruhe - insbesondere, wenn es schlecht informiert und nicht einbezogen wird.

„Unzufriedene Kunden, sinkende Umsatzzahlen, zu lange Durchlaufzeiten oder Führungskräfte, die nicht marktgerecht agieren und Herrschaftswissen horten, können Gründe darstellen, weshalb Unternehmen sich für eine Restrukturierung entscheiden“, erklärt Ulrich Schnabel, Mitarbeiter am Fraunhofer-Institut Arbeitswissenschaft und Organisation (IAO) in Stuttgart.

Steht der Firmenleitung das Wasser bis zum Hals, reagiert sie in den meisten Unternehmen mit einschneidenden Maßnahmen. Wenn dann am Ende nur noch zwei Listen übrig bleiben - eine, mit den verbleibenden Mitarbeitern und die andere mit den zu Entlassenden - schieben Firmen gerne Unternehmensberatern den schwarzen Peter zu. Allerdings erkennen die wenigsten die Notwendigkeit, nicht nur Fusionsprozesse, sondern auch einen größeren Personalabbau mit einem Change-Management-Prozess zu begleiten.

Berater wie Stefanie Ahrens, Senior Consultant bei Cap Gemini Ernst & Young, müssen oft harte Überzeugungsarbeit leisten: "Change-Management wird vielfach als weiches Thema gesehen, das nur der Mitarbeitermotivation dient. In Wirklichkeit geht es aber darum, schnell Kosten zu senken und damit eine nachhaltige Wirkung im Unternehmen zu erzielen."

Den Dreh- und Angelpunkt einer erfolgreichen Restrukturierung sieht Ahrens in deren Geschwindigkeit. Sie empfielt die Einbindung ausgewählter und engagierter Mitarbeiter und Führungskräfte der mittleren Ebene, die in kleinen Teams für jeden Geschäftsbereich die neue Zielorganisation gestalten. Diese Führungskräfte sollten sowohl die „Basis“, also ihr Team, als auch das Geschäft verstehen. Außerdem sollten nur die Mitarbeiter einbezogen werden, die das Unternehmen auch weiterhin beschäftigen möchte. "Man fragt nicht die Frösche, deren Teiche man austrocknet", so die Beraterin über die Auswahl."

In der ersten Phase der Umstrukturierung sollte sich das Management entscheiden, von welchen Mitarbeitern es sich trennen will. Zudem sollte die spätere Zielorganisation bekannt sein. Erst dann sollte die Unternehmensführung mit dem Betriebsrat verhandeln und ihn mit stichhaltigen Argumenten überzeugen, warum Entlassungen nötig sind und warum er kooperativ mitarbeiten soll“, erklärt Ahrens die Argumentationsstrategie.

Diese erste Phase sollte ihrer Ansicht nach geheim ablaufen: Wird die Absicht, Personal zu entlassen, schon zu früh bekannt, bestehe die Gefahr, dass die besten Mitarbeiter das Unternehmen verlassen. Nach der offiziellen Bekanntgabe sollten die Kündigungen aber schnell in die Tat umgesetzt werden. Viele begingen den Fehler, für die Bestimmung der zukünftigen Unternehmensausrichtung und den Personalabbau zu lange zu brauchen.

Die Beraterin hat bei ihrem Appell für eine schnelle Abwicklung vor allem die Motivation der verbliebenen Mitarbeiter im Visier. Damit diese nicht noch weiter sinkt, sollen die Unternehmen die Gekündigten noch am gleichen Tag freistellen. „Manchmal werden auch ihre Telefone und PCs abgeklemmt, da lange Abschiedszeremonien eine negative Atmosphäre erzeugen. Zudem sollten die Führungskräfte sofort mit den restlichen Mitarbeitern sprechen und ihnen klarmachen, dass sie die Zukunft sind. Das heißt aber auch, dass nicht einige Monate später die nächste Kündigungswelle kommen darf. Sonst ist das Vertrauen zerstört," erläutert Ahrens.

So weit die Theorie. Die Praxis gestaltet sich oft schmerzhafter, wie das Beispiel der Nürnberger Suse AG zeigt. Der Linux-Distributor sah sich aufgrund wirtschaftlicher Schwierigkeiten zu betriebsbedingten Kündigungen gezwungen. "Das Schwierigste ist immer, Mitarbeitern die Kündigung zu übergeben und ihnen zu erklären, dass sie nicht aufgrund von mangelnder Leistung herausfallen, sondern aufgrund von gesetzlichen Vorgaben. Bei uns im Support hat es Leute getroffen, die wir erst in den letzten Monaten punktgenau auf freie Positionen rekrutiert hatten und die das nötige Spezialwissen mitgebracht hatten. Diese Leute, die als Letzte gekommen und zum Teil noch sehr jung waren, als Erste entlassen zu müssen, hat weh getan."

Dirk Spilker, Personalchef des Nürnberger Linux-Distributors Suse, hat eine Tour de force hinter sich. Von Juni bis November 2001 mussten er und seine Kollegen drei Kündigungswellen inklusive Sozialplänen und Interessenausgleich umsetzen. Mittlerweile hat sich die Mitarbeiterzahl gemäß den Vorgaben der Investoren von weltweit 610 auf 420 reduziert. Parallel zu den Kündigungswellen hat sich Suse komplett umorganisiert. Die klassische funktionale Struktur sollte einer Aufteilung nach Kundensegmenten weichen, wobei jeder Geschäftsbereich eigene funktionale Einheiten wie Marketing oder Sales erhält und für Gewinn und Verlust verantwortlich ist.

Eingebunden in die Definition der einzelnen Organisationseinheiten in den Business Units waren etwa 40 Mitarbeiter als Change Agents. Dazu Spilker: "Wir wollten keine Organisation von oben aufsetzen. Die Mitarbeiter müssen diese letztlich leben. Ohne ihre Akzeptanz kann man so einen kompletten und radikalen Umbau von vornherein vergessen." Wer als Change Agent an den Veränderungen bei Suse mitwirken wollte, musste hohe Voraussetzungen erfüllen: Er sollte über das Fachliche hinaus Akzeptanz bei den Mitarbeitern genießen, fachliche Zusammenhänge beurteilen, mit Konflikten umgehen können, zielorientiert kommunizieren und Initiative zeigen.

Das Engagement als Change Agent, das die Auserwählten jede Woche 15 bis 20 Überstunden kostete und nicht finanziell honoriert wurde, barg allerdings noch keine Garantie, den eigenen Job zu sichern: „Am wichtigsten war es, dass die Change Agents sich selbst und ihren Arbeitsplatz in Frage stellen konnten. Es gab auch Mitarbeiter, die ihren Arbeitsplatz radikal mit umgebaut haben“, erklärt Spilker. Ziel war, 75 Prozent aller Stellen im Unternehmen im Laufe des Change-Prozesses neu zu definieren und anderen Führungskräften wie Einheiten zuzuordnen.