Berufsbild Programmierer:

Chancen nur für spezialisierte Spezialisten

07.10.1979

Aus Platzgründen konnte in der CW-Ausgabe Nummer 35/79 das Thema der Woche nicht komplett abgehandelt werden. Die drei fehlenden Kommentare von Dr. Wolfgang Wiechert, stellvertretender Geschäftsführer des EDV-Studio Plönzke in Wiesbaden, Marc de Trentinian, Geschäftsführer der Syclos GmbH, München, und Herbert Roelofsen, Leiter EDV und Organisation der Vaanlaak GmbH, Mönchengladbach, wollten wir Ihnen nicht vorenthalten.

Herbert Roelofsen

Leiter EDV und Organisation, Vanlaack GmbH, Mönchengladbach

Wirft man heute einen Blick zurück, so stellt man fest, daß die Entwicklung in den einzelnen Firmen sehr uneinheitlich verlaufen ist. Es gibt nicht nur EDV-Abteilungen, die fortschrittlich geführt werden und zeitgemäße EDV-Entwicklung betreiben, sondern auch Firmen, in denen sich in den letzten Jahren nichts getan hat. Die in diesen Firmen beschäftigten Programmierer dürfen sich bei allem Wohlbehagen nicht darüber hinwegtäuschen lassen, daß sie fünf Jahre im Rückstand sind.

Innerhalb der nächsten zehn Jahre werden die Programmierer vieles von dem, was sie heute wissen, womit sie derzeit täglich arbeiten, vergessen können. Den größten Einfluß auf das Berufsbild des Programmierers haben:

1. der zunehmende Einsatz von Datenbanken, wodurch eine zeitgemäße EDV-Entwicklung oft erst ermöglicht wird,

2. stark vereinfachte Programmiersprachen oder Programmgeneratoren, bei denen man oft den Eindruck hat - es gibt bald keine Programmierer mehr,

3. vergrößertes Angebot von wirksamer Standard-Software, die für den Programmierer nur noch eine Implementierung übrig läßt,

4. Entwicklung zu immer mehr Datenverarbeitung am Arbeitsplatz,

5. stark steigende Zahl der EDV-Anwender mit kleinen Systemen.

Der Programmierer der 80er Jahre ist:

1. Datenbankspezialist (Systemprogrammierer), der die Hierarchie, Struktur und Zugriffswege aller gespeicherten Daten entwirft und verwaltet

2. EDV-Organisator, der maßgeblich an individuell erstellter Anwendungssoftware mitwirkt und mittels Parametersprachen die Programme erstellt oder Standard-Software implementiert und direkten Kontakt mit den Fachbereichen hat

3. EDV-Leiter an einem kleinen EDV-System, an dem er als Alleinverantwortlicher die EDV vertritt und die EDV-Entwicklung und Programmerstellung selbst betreibt.

Für jeden Programmierer gilt, daß er sich auf seine Aufgabenstellung mit viel Eigeninitiative neben der Schulungsmaßnahme der Firma vorbereiten muß. Hierbei wird vor allem die Verbesserung von Arbeitstechniken eine große Rolle spielen.

Programmierer, die wie heute nach Programmvorgaben codieren oder für die "normierte Programmierung" ein Fremdwort bleibt, werden es 1990 schwer haben, einen Arbeitgeber zu finden.

Marc de Trentinian

Geschäftsführer der Siclos GmbH, München

Um ein in die Zukunft projiziertes Bild der Programmierer zu erahnen, ist zunächst die Programmierung so zu definieren, daß diese Definition über Jahrzehnte hinaus Gültigkeit hat. Die Programmierung ist seit der Pionierzeit und heute immer noch dadurch gekennzeichnet, daß eine Reihenfolge von Daten erzeugt werden, die aufgrund interpretierender oder kompilierender Systeme in eine lückenlose, logische Struktur von automatisch durchführbaren Einzelinstruktionen umgesetzt werden können. Der wesentliche Unterschied zwischen der heutigen und der anfänglichen Programmierung liegt darin, daß die von dem Programmierer angegebenen Anweisungen immer mehr Einzelinstruktionen pro Programmieranweisung generieren. Bei der Maschinensprache war die Relation in etwa 1:1, bei Read/Write-Befehlen sind es heute 1: einigen Zehntausenden.

Im Laufe der Jahre wurde diese Entwicklung ziemlich kontinuierlich, so daß man davon ausgehen sollte, daß die Programmierer der neunziger Jahre für unsere heutigen Verhältnisse über immens mächtigere Relationen zwischen einem einzigen Eingabebefehl und der Anzahl der generierten Instruktionen verfügen werden. Es wird wahrscheinlich heißen, daß in der Zukunft beliebige Standardprogramme, die in dem IBM-Library oder in dem ISIS-Katalog vorhanden sind, auf Anhieb überall ablauffähig gemacht werden. Selbstverständlich werden derart aufrufbare Programme so kompatibel und so dokumentiert sein, daß ihre gleichzeitige Anwendung in einem Unternehmen von vornherein problemlos erfolgen kann. Baukastenprinzip und dezentrale Intelligenz werden ganz groß geschrieben, weil es vor den steil steigenden Softwareentwicklungs- und -wartungskosten die einzige Rettung ist.

Auch wird der Unsinn, wonach man erst Englisch lernen muß, um programmieren zu können, endlich einmal aufhören. Die Anwendung von Übersetzungsautomaten wird die Erstellung der Beschreibung der Software in jeder Umgangssprache ermöglichen. Ein vernünftiger Aufbau der Interpretors und Compilers mit Tabellen von Synonymen und vollständigen Analysatoren wird die Formulierung der Programme in jegliche Umgangssprache ebenfalls zulassen. Die Umgangssprache wird aber dadurch immer genauer, penibler festgelegt.

Die akustischen Ein-/Ausgaben und werbewirksamen grafischen Output werden sehr viele Programmierer in enger Zusammenarbeit mit Künstlern und Werbeagenturen intensiv beschäftigen: Die computergesteuerten Postsendungen und die Verbreitung von Telefonanrufbeantwortern - möglicherweise inzwischen mit Videorecordern gekoppelt - werden diese Verschönerung der Schnelldruckauszüge und der Bildschirmdarstellungen immer mehr in den Vordergrund bringen.

Der Programmierer der neunziger Jahre wird wie andere Berufsschichten der Bevölkerung immer mehr zu Hause arbeiten und die Ergebnisse seiner Arbeit per Telefonleitung durchgeben.

Man wird beginnen, den Programmierern die zunächst für medizinische Zwecke vorgesehenen "implanted Microcomputer" einbauen zu wollen, das heißt Microsysteme, die direkt am Gehirn angeschlossen werden, um gewisse geistige Defizienzen zu überbrücken. (Dies wird einen energischen Protest der Idealisten verschiedenster Horizonte auf den Plan rufen, an erster Stelle den Vatikan wie seinerzeit in den sechziger Jahren bei der Einführung der Spirale oder der Pille.) Im Falle der Programmierer wird man sich von einem derartigen Anschluß eine Menge beruflicher Vorteile versprechen, wonach das sonst nicht genügende Erinnerungsvermögen und die lückenhafte Logik der Spezialisten seitens der Arbeitgeber stets betont wird.

Im großen und ganzen wird - trotz der Heerschar von Programmierern, die dann das Alter von 60 Jahren und mehr erreicht haben und sich ausreden, die jetzige Programmierart habe das Handwerk verdorben - durch die steigende Anzahl jüngerer Programmierfans des Baukastenprinzips das Durchschnittsalter der Programmierer sinken.

Es ist durchaus möglich, daß die Marktbeherrschung der IBM dazu führen wird, daß sich diese Darstellung erst nach dem Jahre 2000 realisieren wird: Warum sollte das Huhn, das goldene Eier legt, noch vor Ende des Jahrtausends geschlachtet werden! Bis dahin werden sich die Profis, die Systemprogrammierer, immer weiter mit dem beschäftigen, was nicht funktioniert, anstatt mit dem, was funktioniert. Anwendungsprogrammierer wird jeder Bürger sein - an erster Stelle die Abgeordneten für die Gestaltung der Gesetzgebung -, auch wenn manche wie Affen auf einer Schreibmaschine nur programmierten Unsinn und Binsenweisheiten aus den Datenbanken holen und sich mit einer künstlichen Intelligenz schmücken werden.

Dr. Wolfgang Wiechert

Stellvertretender Geschäftsführer und Leiter DV-Projekte, EDV-Studio Plönzke, Wiesbaden

Die letzten Jahre haben in der Programmierung keine einschneidende Änderung, wohl aber richtungweisende Entwicklungen gebracht. Es ist heute neben den Betriebssystem-Kenntnissen wünschenswert, daß ein Programmierer ein DB/DC-System

praktisch beherrscht, daß er ein interaktives Programmiersystem kennt, daß er Dateiauswertungs-Systeme und Quellen-Bibliotheks-Verwaltungssysteme anwenden kann und daß er firmeninterne Standards bei seiner Arbeit befolgt. Die genannten Systeme stimmen darin überein, daß sie den Programmierer von technischen Dingen entlasten und seine

Arbeit effizienter, gleichzeitig aber auch durchsichtiger und für andere verständlicher machen.

Die am tiefsten gehende Änderung in diese Richtung sehen wir bei uns in den Fortschritten der sogenannten Software-Technologie, insbesondere in der Entwicklung der strukturierten Programmierung nach Jackson. Auch hierdurch soll doch die Arbeit des Programmierers effizienter und durchsichtiger gestaltet werden. Andererseits verlangt diese Methode aber ein hohes Maß an Abstraktionsvermögen und Disziplin.

Wenn man den Blick in die Zukunft richtet, kann man wohl, ohne als Futurologe verschrien zu werden, behaupten, daß die genannte Entwicklung anhält und daß sowohl Hersteller als auch Software-Häuser Hilfsmittel und Verfahren bereitstellen werden, die die Programmierung wirtschaftlicher machen. Für den Programmierer bedeutet dies, daß er neben der Programmiersprache und einigen Betriebssystem-Kenntnissen ein ganzes Spektrum von weiteren Systemen als Handwerkszeug beherrschen muß.

Neben dieser rein EDV-technischen Entwicklung läßt sich schon seit einigen Jahren eine Verschiebung im Bereich der Anwendung erkennen. Nachdem in den meisten Unternehmen die herkömmlichen Anwendungen erfolgreich abgeschlossen sind oder aber Unzufriedenheit mit isolierten Insellösungen aufgekommen ist, entstehen zunehmend Projekte von ganz erheblicher Größenordnung mit einer für alle Beteiligten schwer zu beherrschenden Anwendungs-Komplexität. Dies stellt nicht nur neue Anforderungen an Projekt-Management und Organisation, sondern wirkt sich auch in der Programmierung aus. Vom Programmierer wird mehr Verständnis für komplexe Zusammenhänge und mehr Kenntnis vom Sachgebiet gefordert.

Als Ergebnis läßt sich festhalten, daß sowohl durch die EDV-Technik als auch durch die Anwendungs-Entwicklung die Forderungen an Programmierer höher werden. Wir haben daraus die Konsequenz gezogen und seit einiger Zeit in verstärktem Maße Hochschulabsolventen eingestellt, die nach angemessener Ausbildungszeit und ausreichender Anfangs-Programmiertätigkeit in der Lage sind, den verstärkten Anforderungen der Zukunft gerecht zu werden. Natürlich ist diese Vorgehensweise auf Dauer nur möglich, wenn innerhalb des Programmierer-Berufsbildes Durchlässigkeit bis zum Systemplaner besteht und wenn der unsinnige Konflikt zwischen Organisation und Programmierung aufgehoben wird. Wir werden die Software-Krise nicht überwinden, solange wir dem Berufsbild Programmierer nicht das nötige Ansehen wiedergeben.