Kuerzere Antwortzeiten und erweiterte Dialogmoeglichkeiten steigern den Nutzen

Chance fuer kommerzielle Loesungen in neuer Qualitaet

22.10.1993

Wir stehen mitten in einem tiefgreifenden Umbruch der Datenverarbeitung. Getrieben durch den technischen Fortschritt bei Mikroprozessoren und Primaer- und Sekundaerspeichern koennen erstmals kommerzielle Loesungen realisiert werden, die den Menschen in den Mittelpunkt stellen.

Um ihrer zentralen Aufgabe im Unternehmen gerecht zu werden, muss die betriebliche Informationsverarbeitung grundlegende funktionale, organisatorische und technische Anforderungen erfuellen.

Zu den funktionalen Aufgaben gehoert die zeitgerechte Bereitstellung aller fuer die betrieblichen Geschaeftsvorgaenge relevanten Daten und Informationen, die konsistente Abbildung aller Werte- und Mengenfluesse im Unternehmen sowie die Integration von Geschaeftsprozessen auch ueber Unternehmensgrenzen hinweg. Dabei wird der Verbund von Kunde, Firma und Lieferant immer enger. Einen Loesungsansatz bieten hier Workflow-Konzepte, die als Management- Systeme auch fuer hochgradig vernetzte Geschaeftsobjekte realisiert werden.

Kostenreduktion und Vorteile im Wettbewerb

Die ganzheitliche Organisation und Automatisierung von Geschaeftsprozessketten fuehrt zur Verkuerzung von Prozessdurchlaufzeiten. Dadurch koennen drastische Kosteneinsparungen in Produktentwicklung, Auftragsbearbeitung und Verwaltung sowie entsprechende Wettbewerbsvorteile erzielt werden.

Die Organisationsstrukturen innerhalb der Unternehmen muessen sich durch moderne Anwendungssoftware problemlos nachbilden lassen. Ein weiterer Aspekt ist die rasche Adaptionsfaehigkeit der Anwendungs- software an sich veraendernde Geschaeftsablaeufe. Generell werden mit der Automatisierung von Vorgangsketten neue Organisationsformen notwendig, die wegfuehren vom Taylorismus vergangener Jahrzehnte.

Betriebliche DV-Loesungen koennen aber nur dann langfristig Wettbewerbsvorteile bringen, wenn die Anwendungssoftware so flexibel ist, dass eine Nutzung auch bei veraenderter Hardware-, Software- und Kommunikationstechnologie moeglich ist. Sie muss sich leicht auf neue Umgebungen portieren lassen. Zusaetzlich sind Schnittstellen vonnoeten, die die Realisierung eines heterogenen Anwendungsverbunds ermoeglichen. Das Zusammenwachsen von Desktop- Anwendungen und Mission-critical-Applications ist hierfuer ein gutes Beispiel.

Generell muessen betriebliche DV-Loesungen kurze Antwortzeiten, 24- Stunden-Zugriff auf zeitkritische Anwendungen und Daten sowie eine leichte Mensch-Maschine-Interaktion durch intuitiv zu bedienende Benutzeroberflaechen garantieren.

Die abteilungsbezogenen, nicht integrierten Mainframe-Loesungen der Vergangenheit konnten die genannten Anforderungen nur zum Teil erfuellen. Neue Rechnerarchitekturen und DV-Loesungen, die dem Client-Server-Ansatz folgen, schaffen heute jedoch die Voraussetzungen fuer eine hoehere Qualitaet der betrieblichen Datenverarbeitung. Fuer eine Erklaerung des Schlagworts Client- Server-Computing sind mindestens zwei Sichtweisen zu unterscheiden: die Hardware- und die Software-orientierte Perspektive.

Die PC-Netz-Betriebssysteme der 80er Jahre praegten die Hardware- orientierte Interpretation des Client-Server-Begriffs. Kennzeichen ist hier die Verbindung von Desktop-Rechnern und dedizierten Hintergrundsystemen ueber ein Kommunikationsnetz. Die Desktops werden hier als Clients und die Hintergrundsysteme als Server bezeichnet.

Die Software-orientierte Sicht des Client-Server-Computings gewinnt zunehmend an Bedeutung, speziell zur Abgrenzung moderner Anwendungssoftware von monolithischen Mainframe-Loesungen. Client- Server-Anwendungen sind durch eine hochgradige Modularisierung mit einer Auftraggeber-Auftragnehmer-Beziehung zwischen den einzelnen Softwaremodulen gepraegt. Auftraggeber und Auftragnehmer koennen dabei sowohl auf demselben als auch auf unterschiedlichen Rechnern installiert sein. Die Interaktion zwischen den Modulen erfolgt ueber definierte Kommunikations-Schnittstellen. Damit sind Client- Server-Anwendungen sehr flexibel in der Ausnutzung unterschiedlicher Hardware-Umgebungen. Zentrale Systeme mit dedizierten Praesentations-Servern koennen ebenso Plattform fuer Client-Server-Loesungen sein wie hochgradig vernetzte Installationen oder massiv-parallele Rechnerarchitekturen.

Hohe Daten- und Anwendungsintegritaet oder einfaches System- Management lassen sich in monolithischen Mainframe-Umgebungen in der Regel gewaehrleisten. Schwachstellen sind dagegen die Benutzerfuehrung und generell die Moeglichkeiten des Endbenutzers zur Interaktion mit dem System. Die heutigen Mainframes sind durch knappe und teure Betriebsmittel gepraegt. Weil sich alle Anwendungen und Benutzer in Konkurrenz um die knappen Rechnerressourcen befinden, muessen Mainframe-Anwendungen zwangslaeufig so entworfen werden, dass sie die vorhandenen Betriebsmittel wie CPU-Leistung, Speicherkapazitaeten und Uebertragungsleitungen moeglichst gering belasten. Damit stehen nicht die Endbenutzer, sondern die knappen Ressourcen im Mittelpunkt des Systementwurfs. Die Folge sind die heute auf Mainframes verbreiteten Anwendungssysteme mit stark eingeschraenkten Benutzerdialogen ohne Grafikunterstuetzung, begrenzter Funktionalitaet gerade bei rechenintensiven Aufgaben und variablen, haeufig nicht akzeptablen Systemantwortzeiten.

Getrieben durch das rasante Innovationstempo auf dem Gebiet der Mikroprozessoren und der Speicher-Chips stehen wir heute mitten in einer grundlegenden Veraenderung der technischen Randbedingungen fuer betriebliche Anwendungssysteme. Neue PC-, Workstation- und Mehrbenutzersysteme, entworfen auf der Basis offener Schnittstellen und Standards, bieten ein im Vergleich zu den verbreiteten Grossrechnern revolutionaeres Preis-Leistungs- Verhaeltnis und ermoeglichen erstmals die Realisierung von Systemarchitekturen, die den Endanwender in den Mittelpunkt der kommerziellen Datenverarbeitung stellt.

Gegenwaertig werden betriebliche Anwendungen zunehmend als Client- Server-Loesungen realisiert, bei denen die Anwendungslast auf dedizierte Server fuer Praesentation, Applikationslogik und Datenhaltung verteilt ist. Dadurch kann der System-Overhead zum Beispiel fuer Prozess-Management und Pufferverwaltung minimiert und das Antwortzeitverhalten des Gesamtsystems optimiert werden.

Insgesamt ergeben sich aus einer Client-Server-basierten DV folgende Vorteile:

- die Moeglichkeit zur Lastverteilung,

- ein verbessertes Antwortzeitverhalten durch dedizierte Server,

- eine erhoehte Verfuegbarkeit von Subsystemen durch Dezentralisierung,

- Grafikanwendungen und intuitive Benutzerfuehrung,

- Multimedia-Integration sowie

- Flexibilitaet beim Aufbau der Hard- und Software-Infrastruktur.

Naturgemaess wird das Management des Gesamtsystems und die Sicherstellung der Integration von Daten, Anwendungen und Geschaeftsprozessketten bei einer dezentralen DV-Infrastruktur schwieriger. Ausserdem beeinflusst die Dezentralisierung der DV natuerlich auch die internen Ablaeufe in den Unternehmen. Die werksuebergreifende Warenumlagerung innerhalb eines Konzerns laesst sich zum Beispiel bei einer zentralen Datenverarbeitung mit einer betriebswirtschaftlichen Transaktion abbilden. Ist die Datenverarbeitung dezentral mit eigener Bestandfuehrung organisiert, muessen Zu- und Abgaenge im jeweiligen Werk separat verbucht und entsprechende Kommunikationsverbindungen zwischen den einzelnen Standorten aufgebaut werden.

Als Hilfsmittel fuer den werksuebergreifenden Austausch von betriebswirtschaftlich relevanten Informationen setzt sich zunehmend Electronic Data Interchange (EDI) durch, und zwar nicht nur fuer die Uebertragung von Handelsnachrichten zwischen verschiedenen Unternehmen, sondern auch innerhalb von Konzernen mit verschiedenen Standorten und dezentraler Datenverarbeitung. Der naechste Schritt in diese Richtung ist der Austausch komplexer betriebswirtschaftlicher Objekte ueber standardisierte betriebswirtschaftliche Anwendungs-Schnittstellen (Business APIs).

Voellig neue Anwendungen sind jetzt realisierbar

Downsizing kann allerdings nicht darin bestehen, vorhandene Host- Applikationen ohne grundlegende Anpassung an die veraenderten Rahmenbedingungen auf Workstations- oder Mehrbenutzersysteme der neuesten Generation zu portieren. Vielmehr bieten die heute verfuegbaren Plattformen die Voraussetzungen fuer den Entwurf voellig neuartiger Anwendungsarchi-tekturen. So koennen mittlerweile auch komplexe Online-Transaktionsanwendungen auf offene Client-Server- Architekturen verlagert werden. Dabei wird etwa die Haelfte der im Unternehmen zu installierenden Prozessorleistung fuer grafische Praesentation benoetigt, wofuer man in der Regel preiswerte PCs und PC-artige Systeme bereitstellt. Die restliche Leistung verbrauchen Appli-kations- und Datenbanklogik.

Client-Server-Transaction-Processing-Systeme lassen sich zwei- und dreistufig realisieren. Dabei sollte die mittlere Antwortzeit bei betriebswirtschaftlichen Transaktionen unter ein bis zwei Sekunden liegt. In einer zweistufigen Client-Server-Architektur werden die Praesentationsrechner direkt mit dem Zentralsystem verbunden, das sowohl Datenhaltungs- als auch Verarbeitungsaufgaben uebernimmt. Es sollte so ausgelegt werden, dass die mittlere Prozessorauslastung durch Dialog-Transaktionen nicht ueber 40 Prozent und die Gesamtauslastung nicht ueber 70 Prozent ausmacht.

Groessere Installationen mit Tausenden von Benutzern koennen heute aber noch nicht als zweistufige Client-Server-Loesungen realisiert werden, weil die Leistungsfaehigkeit der zur Verfuegung stehenden Systeme nicht ausreicht. Erst hochgradig parallele Rechnerarchitekturen werden diesem Manko abhelfen koennen. Deshalb ist derzeit eine Verteilung der Anwendungslast auf einen Datenbank-Server und mehrere Applikationsrechner in vielen Faellen zwingend.

Die Gestaltung der Schnittstelle zwischen Mensch und Maschine stellt ein entscheidendes Differenzierungsmerkmal zwischen bestehenden Mainframe-Loesungen und Client-Server-Systemen dar. Grossrechner sind wie bereits erwaehnt dahingehend optimiert, mit relativ geringer Prozessorleistung viele hundert Dialogbenutzer und zusaetzliche Batch-Auftraege parallel zu bedienen. Die Benutzerdialoge muessen in einer solchen Umgebung so ablaufen, dass sie das Gesamtsystem nur minimal belasten. Dies ist die Ursache dafuer, dass in Mainframe- Umgebungen standardmaessig zeichenorientierte Benutzeroberflaechen und Block-Mode-Terminals als Front-end-Geraete anzutreffen sind.

Anwendungen fuer neue Rechnergenerationen werden dagegen nicht so stark durch knappe Systemressourcen gepraegt. Im Bereich offener Systeme konnten sich deshalb schon lange grafikorientierte Benutzeroberflaechen, Windows und Mausbedienung durchsetzen. Der Vorteil dieser Oberflaechen liegt in der intuitiven Bedienbarkeit, der leichten Erlernbarkeit und der erhoehten Produktivitaet des Benutzers durch die Moeglichkeit zur Bearbeitung paralleler Vorgaenge in unabhaengigen Fenstern.

Heute brauchen Online-Transaktionsumgebungen allein fuer die Praesentation fuenf bis zehn Dhrystone-MIPS pro Endanwender, mit steigender Tendenz. Aufgrund der menschlichen Arbeitsweise wird diese Prozessorleistung allerdings nicht staendig benoetigt, sondern nur zeitweise, dann aber sofort und vollstaendig (Burst Mode). In einer Client-Server-Architektur laesst sich diese Prozessorleistung fuer den Front-end-Bereich individuell und preiswert bereitstellen, indem PCs oder PC-artige Systeme als Praesentations-Server eingesetzt werden.

Fuer Mainframe-Anwender stellt sich nun die Frage, ob die Segnungen offener Systeme nur demjenigen offenstehen, der erst heute mit dem Aufbau seiner DV-Infrastruktur beginnt. Denn Grossrechnerinvestitionen in Millionenhoehe lassen sich nicht von heute auf morgen abschreiben. Diese Klientel benoetigt deshalb Konzepte, die einen gleitenden Uebergang in die Welt der offenen Systeme ermoeglichen.

Als erster Schritt in diese Richtung bietet sich die Installation grafischer Endgeraete wie PCs und Workstations als Front-end fuer Grossrechneranwendungen an, aber nicht nur fuer eine Full-Screen- Terminalemulation, sondern auch, um Fenstertechniken und grafische Bedienelemente zu nutzen. Eine zweite Stufe der Integration von Workstation und Grossrechner wird durch Programm-zu-Programm- Kommunikation und darauf aufsetzende Applikationen erreicht: Anwendungsteile mit hoher Interaktionsrate, etwa die grafische Manipulation von Daten, werden auf die Workstation verlagert, datenbank- und verarbeitungsintensive Komponenten koennen dagegen auf dem Grossrechner ablaufen. Die Kommunikation zwischen den Applikationsteilen erfolgt ueber Standard-Schnittstellen wie CPI-C (Common Programming Interface - Communication).

Eine haeufig anzutreffende Form der Workstation-Host-Integration ist auch die Installation von Satellitenloesungen auf offenen, dezentralen Systemen, die ueber Auftrags-Schnittstellen mit dem Grossrechner verbunden sind. Satellitensysteme koennen dabei temporaer unabhaengig vom Mainframe arbeiten, sind aber ueber die Programm-Programm-Kommunikation mit der zugehoerigen Host-Anwendung integriert. Zu solchen Satellitensystemen zaehlen beispielsweise Leitstandsloesungen, dezentrale Lagerverwaltungs- und Instandhaltungssysteme, CAD- und CAQ-Subsysteme, dedizierte EIS (Executive Information System) und Treasury-Workstations. Die wirklich spannende Frage, die sich im Zusammenhang mit der Client- Server-Diskussion stellt, laesst sich heute noch nicht beantworten: Werden betriebswirtschaftliche Anwendungen langfristig nur auf der Basis hochgradig dezentralisierter Systemplattformen realisiert oder doch eher in zentralistisch orientierten Umgebungen mit massiv-parallelen Datenbank- und Verarbeitungsrechnern als Back- end sowie individuellen Praesentationsrechnern im Front-end- Bereich?

Groessere Installationen mit ueber tausend Benutzern basieren heute auf Grund der Leistungsmerkmale der zur Verfuegung stehenden Plattformen zwangslaeufig auf Client-Server-Konzepten mit einer Verteilung der Anwendungslast auf Praesentations-, Anwendungs- und Datenbank-Server.

Mit parallelen und massiv-parallelen Rechnerarchitekturen, die eine Vielzahl parallel geschalteter CPUs gemeinsam nutzen, ist eine Renaissance zentralistischer Konzepte allerdings nicht auszuschliessen.

*Dr. Ruediger Buck-Emden ist Technology-Marketing-Manager bei der SAP AG, Walldorf, und dort zustaendig fuer das R/3-Basissystem.