Meinung: The next big thing fehlt in Las Vegas

CES 2017: Die Messe der Langweile?

05.01.2017
Von 
Jürgen Hill ist Chefreporter Future Technologies bei der COMPUTERWOCHE. Thematisch befasst sich der studierte Diplom-Journalist und Informatiker derzeit mit aktuellen IT-Trendthemen wie KI, Quantencomputing, Digital Twins, IoT, Digitalisierung etc. Zudem verfügt er über einen langjährigen Background im Bereich Communications mit all seinen Facetten (TK, Mobile, LAN, WAN). 
Es ist Anfang Januar und die Tech-Branche schaut wie jedes Jahr nach Las Vegas. Welche Trends für das neue Jahr setzt die CES als erste große Messe des Jahres? 2017 ist man fast bemüht, zu sagen: Keine.
CES-Neuheit: Smarte Haarbürste. Über den Sinn lässt sich streiten.
CES-Neuheit: Smarte Haarbürste. Über den Sinn lässt sich streiten.
Foto: Withings

Egal, ob CD, Amiga, DVD, IPTV, C64 oder Videorekorder, zahlreiche Technologien und Produkte, die später unser Leben bestimmten, wurden auf der CES in Las Vegas vorgestellt. Damit war die Messe in Las Vegas, die heuer ihr 50. Jubiläum feiert, immer ein Impulsgeber für das gerade begonnene Jahr. Die Messe im Spielerparadies zeigte neue Technik, die verwunderte, erstaunte, für Kopfschütteln sorgte, zur Diskussion anregte oder auch mal ganze Branchen in Aufregung versetzte, weil ihre traditionellen Business-Modelle angesichts der neu vorgestellten Technik davon zu schwimmen drohten.

Und 2017? Nichts. Das "next big thing", wie es die Amerikaner so schön formulieren, sucht man diesmal in Las Vegas vergebens. Um nicht falsch verstanden zu werden, Neuigkeiten gibt es in Las Vegas zur Genüge, doch es sind heuer keine Neuvorstellungen, die eine Impulswirkung haben.

Oder reißt Sie im Jahr 2017 die Vorstellung einer App, in der Sie ihre Sitzeinstellung etc. fürs Autofahren speichern können, vom Hocker? Um ehrlich zu sein, es ist eher peinlich, was VW auf der Hightech-Messe des Jahres mit VW ID als News präsentiert. Und auch der Rest der Autobranche, der sonst in den letzten Jahren in Las Vegas immer für Furore sorgte, lässt eher gähnen: Das x-te neue Auto mit neuem Fahr-Azubi (das Wort Assistent verdienen viele der heutigen Helferlein noch nicht) , der uns angeblich dem autonomen Fahren wieder ein Stückchen näher bringt - um dann für die Feuertaufe, das automatische Fahren in einer lebhaften europäischen Großstadt, doch nicht geeignet zu sein.

Und sonst? Hurra, alles wird miteinander vernetzt. Und die Story dahinter? Gerade an vernetzten Kühlschränken etc. herrschte in den letzten Jahren auf der CES kein Mangel. Ok, die smarte Haarbürste Hair Coach der Nokia-Tochter Withing ist neu. Aber braucht der Mensch wirklich Mikrofon, 3-Achsen-Sensor, Beschleunigungssensor, Gyroskop und Leitfähigkeitssensor in einer Bürste, um den Zustand seiner Haare zu erkennen? Und morgens kurz das Outfit im Spiegel checken? Das ist ja so etwas von yesterday, wenn es nach den CES-Ausstellern geht. Der moderne Mensch nutzt den intelligenten Spiegel HiMirror. Die hochauflösende Kamera des HiMirror erkennt sofort, wo die Pickel sitzen und die Haut unrein ist. Die passenden Schminktipps und Pflegehinweise gibt der vernetzte HiMirror gleich dazu - natürlich unter Berücksichtigung der vorhandenen Kosmetika, die der Barcode-Leser des Spiegels erkannt hat. Für Perfektionisten gibt es zudem noch ein Plus-Modell mit LED-Ambilight. So werden unterschiedliche Lichtszenarien wie Party, Bürolicht, Sonne simuliert, um das eigene Styling optimal anpassen zu können.

Angst, die Pickel und unreine Haut könnte jemand anderes sehen, weil HiMirror bis zu 2000 Bilder speichert? Keine Sorge, die Branche feierte in Las Vegas die Vorstellung von Security-Lösungen für das Smart Home als große Innovation. Was an sich schon wieder ein Armutszeugnis ist. Wer hatte denn die Cyber-Ganoven erst ins Smart Home eingeladen, weil er bei der Produktentwicklung schlampte und jeden Cent an Entwicklungskosten zur Gewinnmaximierung einsparte und den unbedarften Verbraucher in Sachen Sicherheit einlullte?

Ob ein Fernseher jetzt Nano-Pixel hat oder doch besser ein OLED-Panel der Generation xy, den durchschnittlichen Verbraucher wird das kaum interessieren - er will schlicht ein gutes Bild, egal ob mit HDR, 4k Premium etc. Fast das gleiche gilt für Notebooks, Tablets oder Smartphones. Ja es ist schön, dass sie etwas schneller sind, die Akkus unterwegs länger durchhalten, die Auflösung besser ist - aber ist das umwerfend?

Aber vielleicht ist das auch die eigentliche News der diesjährigen CES: Die Messeneuheiten langweilen uns, weil die technische Revolution in unserem Alltag (Vernetzung etc.) längst stattgefunden hat und es jetzt nur noch um eine Evolution, sprich schrittweise Verbesserung geht?