CeBIT - zwischen Business und Spielen

08.02.2005
Auf der weltgrößten Computermesse macht sich immer mehr Unterhaltungselektronik breit. Nicht immer zur Freude von Ausstellern und Besuchern.

Dumpf dröhnt das Röhren virtueller Formel-1-Boliden aus hoch aufragenden Boxentürmen. Wenige Meter daneben umklammern zehn Profi-Gamer ihre Joysticks und fiebern, den Blick starr auf die Monitore gerichtet, dem Start des Rennens entgegen. Um den Messestand drängen sich dichte Menschentrauben, alle Augen sind auf die riesigen Plasma-Bildschirme gerichtet.

Diese oder ähnliche Szenen werden sich auf der diesjährigen CeBIT abspielen. Samsung veranstaltet beispielsweise in Halle 27 vom 10. bis 13. März die "WCG 2005 - Samsung Euro Championship". Zu diesem nach Angaben der Südkoreaner weltgrößten E-Sport-Event sind über 300 Profispieler aus 30 Nationen geladen. Es geht um ein Preisgeld von 150000 Euro.

Ein solches Treffen hätte vor wenigen Jahren bei der konservativen Messen-Klientel noch einen Sturm der Entrüstung hervorgerufen. Als Sony im Jahr 2002 seine "Playstation 2" in Hannover präsentierte, forderten die Messeverantwortlichen den Elektronikriesen prompt auf, die Geräte zu entfernen. Beschwert hatte sich Konkurrent Microsoft, der seine Xbox den CeBIT-Statuten entsprechend nur hinter Glas zeigte.

Mittlerweile gehören Joysticks, Gamepads und Lenkräder zum Messealltag wie Unix-Server und Enterprise-Resource-Planning- (ERP-)Software. Die CeBIT-Regeln, wonach Spielkonsolen auf der Messe nichts zu suchen haben, wurden über die vergangenen Jahre hinweg mehr und mehr aufgeweicht.

Die Veranstalter stecken in einem Dilemma. Einerseits dürfen sie den Fokus auf den Business-Besucher nicht ganz verlieren. Andererseits zwingen wirtschaftliche Gründe zur Öffnung der weltweit führenden Leitmesse der ITK-Branche. Sinkende Besucher- und Ausstellerzahlen sollen durch ein breiteres Angebot und entsprechende neue Gäste wieder ausgeglichen werden. Wie weit das gehen soll, ist nicht abzusehen. Versicherte Messevorstand Ernst Raue im Vorfeld der letztjährigen CeBIT noch, er wolle keine "Massen von Kids, die in den Hallen daddeln", wird er sich jetzt mit diesem Bild wohl anfreunden müssen.

Nicht dazu bereit sind offenbar immer mehr Aussteller. Bereits im vergangenen Jahr hatte Hewlett-Packard die Konsequenzen gezogen und seinen CeBIT-Auftritt abgesagt. Auch 2005 wird der Computerpionier nur mit wenigen Partnerständen beispielsweise bei SAP und Microsoft in Hannover vertreten sein. Das Publikum habe sich geändert, erläutert Firmensprecher Klaus Höing. Consumer-Themen rückten in den Vordergrund. "Das hat in weiten Teilen mit IT nichts mehr zu tun."

"Die Qualität der Besucher hat dramatisch nachgelassen", bestätigt Wilfried Gschneidinger, Geschäftsführer der IFS Deutschland GmbH. Der schwedische Business-Software-Anbieter wird 2005 nicht auf der CeBIT vertreten sein. Der Aufwand sei nicht mehr zu rechtfertigen. Immer weniger Entscheider fänden den Weg nach Hannover.

Spekulationen, wirtschaftliche Gründe hätten IFS zur Abkehr von der CeBIT bewogen, weist Gschneidinger als an den Haaren herbeigezogen zurück. Zwar prüfe das Unternehmen Investitionen genauer als noch vor zehn Jahren. Jedoch seien die Aufwendungen für die Messe bereits seit längerem in den Budgets eingeplant. Diese würden jetzt nicht gekürzt, sondern umverteilt: "Aus einem großen CeBIT-Topf können fünf bis zehn kleinere Aktivitäten finanziert werden."

Um die mittelständischen Entscheidungsträger wieder auf die CeBIT zu locken, haben die Messeverantwortlichen eine neue Initiative gestartet. Veranstalter wie Aussteller würden sich mehr als je zuvor auf die Bedürfnisse dieser Klientel einstellen, versprach Messevorstand Raue im Vorfeld der diesjährigen Veranstaltung: "Wir nehmen die Mittelständler an der Hand und helfen ihnen, einfache und passende Lösungen zu finden - in einer Sprache, die sie auch verstehen." Dazu kooperiert die Messegesellschaft mit Verbänden wie dem Bundesverband Informationswirtschaft, Telekommunikation und neue Medien (Bitkom).

"Noch nie war der Mittelstandsfokus so deutlich", wirbt Bitkom-Vizepräsident Heinz Paul Bonn. Es sei gelungen, mit Foren, geführten Touren und verschiedenen Informationsangeboten ein Programm auf die Beine zu stellen, mit dem Mittelständler ihren CeBIT-Besuch planen und vorbereiten können. Die Zeiten, in denen die Mittelständler wie eine Billardkugel zwischen den Hallen hin- und herschleuderten und gerade einmal ihre Visitenkarte bei den Ausstellern abgeben konnten, sind vorbei, verspricht Bonn.

Daran will Helmut Blank, Vorsitzender der neuen Softwareinitiative Deutschland e.V., nicht so recht glauben: "Der Mittelstand wird immer dann entdeckt, wenn es der IT-Industrie schlecht geht." Laufe es wieder besser, rückten wieder die Key Accounts in den Vordergrund, und der schwierige Kunde aus dem Mittelstand werde schnell vergessen.

Für Helmut Burger, IT-Experte der IHK in München, bleibt das CeBIT-Angebot undurchsichtig. Auf kleineren, regionaler organisierten Veranstaltungen könne man sich in aller Regel effizienter über IT-Fragen informieren. Der Verbands-Manager hält nicht viel davon, "den Mittelständler nach Hannover zu karren, um ihm dort die schöne Welt der Technik zu zeigen, die er aber nicht in seinem Prozess unterbringen kann".

Die Messe als Gruppenerlebnis

Dagegen prognostiziert Martin Puscher, Vorstand des Deutschen Mittelstands-Instituts (DMI), dass viele Mittelständler erstaunt sein würden, wie stark sich die Messe ihnen zuwende. Allerdings empfiehlt er Besuchern aus kleineren Unternehmen, sich größeren Gruppen anzuschließen. Er verweist auf die geführten Touren von Verbänden und Handwerkskammern. Zusammen mit einer Branchengruppe könnten auch Interessenten mit einem schmalen IT-Budget Gehör finden. Kämen die Kleinen dagegen alleine, nähmen "viele Aussteller sie nach wie vor nicht ernst".

Die Anwender scheint dies nicht abzuschrecken. Nach Einschätzung von Severin Canisius, IT-Manager der Jack Wolfskin GmbH, ist die CeBIT für viele Anwender 2005 aufgrund wachsenden Investitionsbedarfs ein wichtigeres Thema als noch im vergangenen Jahr. Für Volker Hüsken, IT-Direktor des Universitätsklinikums in Köln, stellt die CeBIT nach wie vor einen Pflichttermin dar. Er fährt mit konkreten Projektplänen nach Hannover. Auch Erich Ehbauer, IT-Leiter von Apollo Optik, sucht nach Lösungen. Allerdings müsse man den Messebesuch gut vorbereiten.

Vorbereitung wird wichtiger

Die Besucher informierten sich im Vorfeld sehr genau, bestätigt Christopher Catterfeld, Marketing-Leiter bei Bäurer. "Den CeBIT-Gast vergangener Jahre, der über das Gelände schlendert, um sich allgemein über den ERP-Markt zu informieren, gibt es nicht mehr." Die Mehrheit der CeBIT-Kontakte hat Bäurer mit Bestandskunden. Daher sei die Vorbereitung fast wichtiger als die Messe selbst. Seinen diesjährigen Auftritt will der Softwareanbieter als Mittelstands-Lounge gestalten. Die Kommunikation tritt in den Vordergrund: "Infoterminals am Gang haben ihre Schuldigkeit getan."

Auch Sun Microsystems will auf der CeBIT vor allem die Beziehungen zu seinen Bestandskunden pflegen. Das Unternehmen lebe in Deutschland von rund 500 Kunden, berichtet Marketing-Leiter Martin Häring. Es sei wichtig, mit dieser Klientel gute Gespräche zu führen. Dazu will Sun eine Key-Account-Lounge einrichten. Die Jagd nach Kontakten mit Neukunden rücke in den Hintergrund.

Der Trend, die Messe für Consumer-Elektronik zu öffnen, stellt für Häring kein Problem dar. Er selbst sei schließlich auch ein Consumer, der sich gerne die neuesten Handys ansehe. "Allerdings darf es nicht so weit gehen, dass an allen Ecken und Enden die Playstations herumquaken."

Jedem sein Revier

Wie Sun sieht das Gros der CeBIT-Aussteller dem wachsenden Aufkommen der Unterhaltungselektronik gelassen entgegen. Die Messeleitung habe in der Aufteilung der Hallen feinfühlig auf die unterschiedlichen Interessen der Business- wie Consumer-Fraktion Rücksicht genommen, berichtet IBM-Sprecher Hans-Jürgen Rehm. Damit ließen sich potenzielle Konflikte bereits im Vorfeld lösen. Auch Harald Engelhard, Sprecher von Sage in Deutschland, sieht vorerst keinen Anlass zur Sorge. Bislang habe sich das Thema Consumer-Elektronik noch nicht negativ bemerkbar gemacht. Allerdings, so schränkt er ein, "ist das eine Entwicklung, die uns als Anbieter von ERP-Systemen nicht entgegenkommt".

Doch vielleicht löst sich dieses Problem von selbst. Auch die Anbieter von Unterhaltungselektronik beobachten den Spagat der CeBIT zwischen Business und Unterhaltung mit zwiespältigen Gefühlen. Die ersten haben angesichts des unklaren Fokus bereits Konsequenzen gezogen. So verzichtet 2005 Philips auf eine Teilnahme in Hannover. "Angesichts der Internationalen Funkausstellung (Ifa) in Berlin, der mit Abstand wichtigsten Messe für Unterhaltungselektronik, gab es keinen Anlass, auf die CeBIT zu gehen", berichtet Sprecherin Veronika Hucke.

Sollten Anbieter wie Sony oder Samsung diesem Beispiel folgen, könnte bald schon wieder Ruhe in den weitläufigen Messehallen einkehren. Dann verschwinden die Ego-Shooter von den Bildschirmen, und es dominieren wieder die sauber programmierten Eingabemasken der ERP- und CRM-Systeme. Statt den bis zur Kniekehle herabgelassenen Baggy Pants der Game-Kids prägen die grauen Anzüge der Business-Klientel das Bild der CeBIT-Szenerie.