Thema der Woche

CeBIT ´93: Bedenken gegen das Disneyland der Branche

19.03.1993

Wenn wir eine normale Branche waeren, koennten wir uns eine solche Messe wie die CeBIT gar nicht mehr leisten. Es gibt keine andere DV-Messe, wo ganzjaehrig installierte Staende (In Halle eins, Anm. d. Red.) nur einmal pro Jahr, acht Tage lang, genutzt werden," moniert Lutz Leinert, Pressesprecher von NCR Deutschland. Seiner Meinung nach sollte die Ausstellung maximal von Montag bis Freitag dauern und ausserdem "uebersichtlicher und kleiner werden". Gleichwohl werde NCR sich weiterhin auf der CeBIT engagieren, wenn auch das Interesse der einzelnen Unternehmensbereiche sehr unterschiedlich sei.

Wolfgang Roemer, NCR-Direktor Vertrieb Kreditinstitute und Versicherung, haelt jedenfalls wenig von dem alljaehrlichen Spektakel an der Leine. Ihn wuerde es nicht ueberraschen, wenn schon im naechsten Jahr die ersten grossen Aussteller "die Tuttifrutti- Messen" meiden wuerden. Roemer sieht naemlich in den Vorstandsetagen wichtiger Unternehmen eine starke Tendenz, der CeBIT fernzubleiben. Er wuerde seinen Unternehmensbereich lieber auf Veranstaltungen praesentiert sehen, die "ganz gezielt ein spezifisches Publikum ansprechen". Alle Jahre wieder den immensen Aufwand fuer die CeBIT zu betreiben, das haelt der NCR-Direktor fuer wenig sinnvoll: "Ein zweijaehriger Turnus, wie ihn die Automobilmesse vorexerziert, waere besser." Eine solche Veranstaltung muesse allerdings gezielt Entscheider und Entscheidungsvorbereiter ansprechen.

"Fuer uns und unsere Partner ergibt sich auf der CeBIT die Moeglichkeit, neue Geschaeftskontakte zu knuepfen und bestehende auszubauen", meint dagegen Hans-Heinrich Schmidt, Leiter Messen und Ausstellungen bei der IBM-Deutschland. Allerdings steht auch der Stuttgarter Hersteller offenbar nicht mehr vorbehaltlos hinter dem jaehrlichen DV-Spektakel: "Da die Vertraege fuer die zentrale Halle eins in diesem Jahr auslaufen, ist das Konzept der

CeBIT zwangslaeufig in der Diskussion. Mittelfristig sehen wir einen Zwei-Jahres-Rhythmus als wuenschenswert."

"Wir haben noch nicht entschieden, wie unser zukuenftiges CeBIT- Engagement aussehen wird. Wir wollen die diesjaehrigen Erfahrungen mit in die Entscheidungsfindung einfliessen lassen", haelt sich Siegfried Kleinselbeck aus der Oeffentlichkeitsabteilung der Bull AG bedeckt. Prinzipiell wird die Beteiligung an der Messe zwar nicht in Frage gestellt, aber Kleinselbeck kann sich durchaus vorstellen, dass "wir in Zukunft staerker auf den Return on Investment" achten. "Eine Messe ist immer nur so gut wie ihre Vorbereitung", sagt er.

Damit die richtigen Leute zu Bull kommen, verschickte das Unternehmen - wie viele andere Aussteller auch - bereits Tausende von Einladungen im Vorfeld der Messe.

Im Gegensatz zu Borland-Chef Wolfgang Schroeder, der die CeBIT zu einer reinen "Imageveranstaltung verkommen sieht" und ihr deshalb in diesem Jahr eine Absage erteilte, legt der Bull-Mann neben Aufbau und Pflege von Kundenkontakten grossen Wert auf den "Imagefaktor" der CeBIT. Auch er kann sich allerdings vorstellen, die eigentliche Fachmesse und die Schau-Veranstaltungen voneinander zu trennen - beispielsweise durch gesonderte Eintrittskarten fuer den Profibereich der Messe.

Winfried Schulte, Marketing-Leiter der Sequent Computer Systems GmbH, hegt eine aehnliche Idealvorstellung. "Unter dem Dach der CeBIT sollen mehrere Einzelveranstaltungen stattfinden, die nur fuer das Fach- und nicht mehr fuer das Laufpublikum zugaenglich sind."

Jochen Roessner von Unisys Deutschland haelt die CeBIT fuer die einzige ueberregionale DV-Messe, fuer die sich das Engagement in der heutigen Groessenordnung noch lohnt. "Die Ausstellung ist sowohl Podium fuer unsere Partner als auch fuer uns selbst. Natuerlich", so der Pressereferent, "ueberlegen wir, wie unsere Arbeit auch bezueglich der CeBIT profitabler gestaltet werden kann." Allerdings sei nur schwer zu berechnen, ob sich der finanzielle Einsatz bezahlt mache: "Das weiss man, wenn ueberhaupt, erst ein halbes Jahr spaeter."

Ernsthafte Zweifel, ob sich das Ausstellen auf der Hannoveraner DV-Messe noch bezahlt macht, plagen Comparex-Chef Rolf Brillinger. Sollten sich die Besucherstruktur - die Zahl der Fachbesucher und Entscheider sei von Jahr zu Jahr gesunken - nicht zum Besseren wenden und eindeutige Signale aus Hannover ausbleiben, dann werde sich der PCMer "sehr gruendlich mit der Frage befassen muessen, ob der Aufwand, auf der CeBIT auszustellen, ueberhaupt noch gerechtfertigt ist", betont der Comparex- Chef. Er sieht die Veranstaltung von einer Innovationsmesse zu einer reinen "Imageveranstaltung denaturiert". Brillinger lakonisch: "Wir erwarten 1993 keine zusaetzlichen Geschaeftskontakte oder gar Auftraege durch die Messe." Ein Konzept der Veranstalter vermisst Brillinger vollstaendig: "Messe AG und Ausstellerbeirat haben es bis heute nicht geschafft, wirklich durchgaengige Angebotsstrukturen - dies gilt unveraendert auch fuer die Halle eins - zu etablieren." Er schlaegt vor, ueber alle Probleme und Unstimmigkeiten zu reden, "beginnend mit der Frage, ob die CeBIT wirklich jaehrlich stattfinden muss".

Das Messespektakel an der Leine entspreche nicht mehr den "strategischen Zielen" der Intermec GmbH, einer Tochter des gleichnamigen US-Herstellers von Barcode- und automatischen Datenerfassungs-Systemen. "Deshalb verzichten wir auf eine Teilnahme", berichtet der European Marketing Support Manager des Unternehmens, Alois Fabek. Obwohl Intermec in den Vorjahren mit knapp 100 Quadratmetern nur einen kleinen Stand gemietet hatte, wollte die Messegesellschaft nicht ohne weiteres auf den Kunden verzichten: "Nach der Absage rief mich ein Mitarbeiter der Messe AG an und fragte, ob wir durch einen guenstigeren Quadratmeterpreis umzustimmen seien. Das hat mich am meisten geaergert", erzaehlt Fabek. Das Unternehmen setzt kuenftig auf Hausmessen und -seminare, die der Support Manager fuer effektiver haelt als ein "Disneyland fuer die Computerindustrie".

Richard Roy, Vertriebsdirektor Computersysteme bei der Hewlett- Packard GmbH, haelt das Konzept der Messe dagegen auch langfristig fuer tragfaehig, will aber trotzdem seine Kunden nach der CeBIT befragen, "was sie von unserer Art der Praesentation halten und welche Verbesserungsvorschlaege sie haben". Gleiches gelte fuer das Engagement seines Unternehmens in der Halle eins. Roy will erst die Messe abwarten, bevor er mit Veraenderungswuenschen und Verbesserungsvorschlaegen an die Messegesellschaft herantreten will.

"Leider hat sich die Messe in den letzten Jahren zu einer Mammut- Show entwickelt, die interessierte Besucher durch ihre immense Vielfalt eher verwirrt", meint Juergen Sinz, Geschaeftsfuehrer der BiS Multisoft aus Bochum. Deshalb stelle sich zunehmend die Frage nach der Kosten-Nutzen-Relation einer CeBIT-Teilnahme. "Wir wuerden es begruessen, wenn die CeBIT verstaerkt fachlich ausgerichtet wuerde und der Publikumsverkehr auf das Wochenende beschraenkt waere."

Fuer B + S reichen die Kritikpunkte offenbar nicht aus, um der Messe den Ruecken zu kehren, wie es die Olivetti-Tochter Decision Systems International getan hat. "Die Veranstaltung ist zu gross, die Kosten sind zu hoch, und wir koennen mit anderen Praesentationsformen effektiver agieren", begruendet Marketing- Leiter Bruno Becker die Absage. Aehnliches motivierte auch die deutsche Niederlassung des Netzwerkspezialisten Novell, nicht mehr an der CeBIT teilzunehmen. "Die Messe deckt sich nicht mehr mit den von uns gesteckten Zielen," erklaerte Juergen Mueller, Marketing und Communications Manager bei Novell, als der Netware-Lieferant im November vergangenen Jahres seinen Messerueckzug bekanntgab. Hubert Lange, Vorstandsmitglied der Deutschen Messe AG, hielt die Kritik an Besucher- und Messestruktur damals noch fuer neu; sie decke sich nicht mit den Aussagen der anderen Aussteller aus diesem Bereich.

"Zum Jahrmarkt der Eitelkeiten" habe sich die CeBIT entwickelt, bedauert Uta Glaubitz von Tommy Software, die ebenfalls nicht an die Leine kommen will. Es rentiere sich deshalb fuer viele Unternehmen nicht mehr, "die ersten Monate des Jahres wie paralysiert die Arbeit ruhen zu lassen, um statt dessen alle Energien auf die Vorbereitung des Hannover-Spektakels zu konzentrieren". Die PR-Frau stellt sich eine marktgerechte Messe kleiner, uebersichtlicher und kuerzer vor als die CeBIT. "Sicher ist die Messegesellschaft nicht allein schuld an der Unattraktivitaet der CeBIT. Aber leider hat sie es versaeumt, auf die Interessen der Aussteller einzugehen. Selbst jetzt, wo einige Unternehmen in die Offensive gegangen sind, gibt es keine Versuche, zur Kritik der Aussteller konstruktiv Stellung zu beziehen", aergert sich Glaubitz.

Dass sich die CeBIT "zur Publikumsmesse" entwickelt, meint auch Klaus-Michael Erben von der Ploenzke AG. Um diesem Trend entgegenzusteuern, wuenscht er sich eine dreitaegige Klausur fuer Fachbesucher; in dieser Zeit solle kein Messetourist zugelassen sein. Von der Messe AG verlangt Erben, dass sie die Hardware- Orientierung der Hallen aufgibt und dass jeder Themenkomplex der Ausstellung mit einem eigenen Kongressteil verbunden wird.

Gegen den Trend stellt sich die Sun Microsystems GmbH. Sie wird mit einem "deutlich vergroesserten Stand" 1993 erstmalig in der Halle eins vertreten sein. "Als fuehrender Lieferant von Rightsizing-Loesungen und Client-Server-Computing wollen wir dort vertreten sein, wo uns die DV- und Organisationsleiter erwarten - naemlich in Halle eins", postuliert Marketingleiter Gert Haas. Er haelt es jedoch ebenfalls fuer unerlaesslich, "Ausstellungsbereiche neu zu strukturieren, so dass Organisationsmittel, Bueroeinrichtungen oder Kopierer jeweils in einem Bereich zu finden sind und nicht quer durch oder ueber Hallen hinweg verstreut sind".

Aus seiner nach wie vor positiven Grundhaltung zum "Branchentreffpunkt" CeBIT stellt SNI-Sprecher Jochen Doering die Frage, "ob die sich veraendernden Rahmenbedingungen des DV- Geschaefts nicht auch Auswirkungen auf die Messe haben werden".

Fuer Tulip Computers Deutschland hat die veraenderte DV-Landschaft bereits Auswirkungen auf das CeBIT-Engagement gezeigt: Tulip geht in diesem Jahr erstmals nicht nach Hannover. "Die CeBIT ist nur noch fuer Hersteller interessant, die sogenannte Trendsetter sind, oder fuer solche, die nur ueber Image und weniger ueber Leistung verkaufen", kritisiert Tulip-Marketier Thomas Hollex. Die Erfahrungen aus den letzten Jahren haetten gezeigt, "dass der finanzielle und personelle Aufwand, der noetig ist, um sich auf einer solchen Messe zu praesentieren, in keinem Verhaeltnis zu dem Nutzeffekt fuer Kunden, Haendler und Hersteller steht".

Der Fachverband Informationstechnik im BDU, dessen Mitgliedsfirmen auf mehr als 3300 Quadratmetern in Halle drei ausstellen, verspricht sich von der Messe einen intensiven Kontakt mit den massgeblichen Firmen der Branche. Die Probleme, die der BDU mit der CeBIT-Teilnahme hat, liegen eher in der Natur der Taetigkeit seiner Mitgliedsunternehmen als in Versaeumnissen des Veranstalters: "Die Qualitaet einer Beratung kann eben nicht durch ein Objekt veranschaulicht werden, sondern muss im persoenlichen Gespraech erlaeutert werden. Hier gilt es, neue Formen der Praesentation zu finden", betont BDU-Referent Roland Gissler.

Der Bundesverband Buero- und Informations-Systeme e.V. (BVB) hat unter seinen Mitgliedsfirmen eine Messebefragung durchgefuehrt. "Dabei kam klar heraus, dass von der CeBIT, mit der drei Viertel aller befragten Firmen zufrieden sind, weiterhin erwartet wird, dass sie ihre Rolle als wichtigstes Branchenereignis und als geeignetes Marketing-Instrument spielt", so BVB-Sprecher Guenther Zink. Allerdings habe die Verbandsvertretung im Fachbeirat der CeBIT den klaren Auftrag erhalten, auf eine staerkere Strukturierung der Messe hinzuwirken. Die Mehrheit der Befragten plaediere fuer eine Verkuerzung der Messe. "Konkret wuenscht rund die Haelfte von ihnen eine Verschiebung der Messetage von Montag bis Samstag oder von Montag bis Sonntag", berichtet Zink. Der Ueberlegung, die CeBIT nur im zweijaehrigen Turnus stattfinden zu lassen, "wird in der BVB-Umfrage eine klare Absage erteilt. 89 Prozent der Firmen votieren fuer die Beibehaltung des jaehrlichen Turnus."

In Anbetracht der geharnischten Ausstellerkritik wird der Deutschen Messe AG nichts anderes uebrigbleiben, als zu reagieren, wenn sie nicht das Schicksal erleiden will, das ihr Juergen Greiner, Geschaeftsfuehrer der Motorola Computersysteme GmbH, in der Begruendung fuer die Absage seines Unternehmens voraussagt: "Schon heute ist diese Messe im Grunde nur noch fuer Computerhersteller wie Commodore oder Atari von Bedeutung, die Massenprodukte in grossen Stueckzahlen an Endverbraucher verkaufen wollen. Die Erfahrungen der letzten Jahre in den USA und in Europa haben gezeigt, wie rasch selbst grosse Messen in der Bedeutungslosigkeit verschwinden koennen."

Christoph Witte