Web

CeBIT: Siemens-Manager Jung knöpft sich die New Economy vor

23.03.2001

HANNOVER (COMPUTERWOCHE) - Die Siemens AG hat sich in ihrem Geschäftsbereich Information and Communication (IuC) ganz dem Mobile Business verschrieben. Vorstandsmitglied Volker Jung trommelte auf der CeBIT kräftig für die schöne neue Handy-Welt. Bei der Gelegenheit rechnete der Manager mit der sogenannten New Economy ab.

"Das Wachstum in den letzten Jahren wurde nicht erwirtschaftet, sondern erkauft", erklärte Jung das Scheitern vieler Internet-Startups. Nach dem Motto "Volumen über alles" hätten Unternehmen Produkte und Systeme an Kunden ausgeliefert, ohne deren Solidität und Kreditwürdigkeit zu prüfen. Konnten die Kunden nicht bezahlen, war das kein Problem: Die Anbieter hätten ihnen oftmals den Kaufbetrag und mehr zur Verfügung gestellt. "Diese Auftragsfinanzierung ging bis zu 275 Prozent des Auftragswerts. Das bedeutet konkret, dass man einem Kunden bei einem Auftragswert von 100 Millionen Dollar zusätzliche Finanzmittel in Höhe von 175 Millionen Dollar zur Verfügung stellt, die mit dem eigenen Liefergeschäft nichts zu tun haben."

Dieses Verfahren funktioniere aber weder in den USA, wo bereits viele Projekte geplatzt seien, noch in Europa, "wo wir im Rahmen der UMTS-Auftragsvergaben einige wahnwitzige Finanzierungsmodelle erleben". Weil der Bewertungsmaßstab für Unternehmen ausschließlich das Wachstum gewesen sei, hätten außerdem "wilde Akquisitionen zu völlig überteuerten Preisen" die Marktrealitäten verzerrt. Insbesondere in den USA seien Firmen durch "Pooling of Interest" in der Lage gewesen, große Übernahmen ohne Kapital und ausschließlich durch Aktientausch zu stemmen. Resultat seien völlig überbewertete Unternehmen und überhöhte Kurse gewesen.

Jung betonte, es sei ein glücklicher Umstand gewesen, dass Siemens zu diesem Zeitpunkt noch nicht in den USA gelistet gewesen sei. "Ich gebe gerne zu: Auch wir hätten möglicherweise unsere Aktie mit weniger Vorsicht als Akquisitionswährung eingesetzt." Hätte Siemens schon vor zwei Jahren Efficient Networks übernommen, wäre für die Münchner laut Jung der achtfache Preis fällig gewesen. Für den Konzern und die Aktionäre hätte das eine gigantische Wertvernichtung bedeutet, so der Siemens-Manager.

Notiz am Rande: Siemens kündigte Ende Februar an, den DSL-Spezialisten Efficient für 1,5 Milliarden Dollar zu kaufen. Das entspricht einem Aufschlag von 90 Prozent auf die Aktie, die zu diesem Zeitpunkt bei 12,38 Dollar notierte, deren Wert in der Spitze aber schon bei 186 Dollar gelegen hatte. Im vergangenen Jahr erzielte Efficient einen Umsatz von 394 Millionen Dollar. Die Münchner hoffen jedoch, im Markt für Breitbandkommunikation exorbitante Umsatzzuwächse zu erzielen, die den noch immer hohen Kaufpreis rechtfertigen.

Ansonsten nutzte das Siemens-Management das Forum CeBIT, um kräftig in das Marketing-Horn zu blasen und große Zahlen zu verkünden. Eine Dreiviertelmilliarde Internet-Nutzer werde es 2003 geben, noch im selben Jahr werde der Anteil der mobilen User den der stationären übersteigen. Im Jahr 2004 soll dann der Business-to-Business-Markt ein Volumen von 7,3 Billionen Dollar aufweisen. Daraus ergäben sich wunderbare Geschäftsmöglichkeiten, die Siemens trefflich zu nutzen gedenke.

Als Ausrüster von UMTS-Netzbetreibern sieht sich der Siemens-Bereich IC Mobile unter Führung von Bereichsvorstand Rudi Lamprecht gut positioniert. Die Bayern hätten, zum Teil mit anderen Ausrüstern gemeinsam, 16 von insgesamt 35 in Europa vergebenen Aufträgen ergattert - die zweitbeste Zahl nach Ericsson. Volumina in der Größenordnung von 300 bis 800 Millionen Mark seien die Regel.

Nachdem Jung zuvor die zum Teil unseriösen Geschäfts- und Finanzierungsmodelle der New Economy kritisiert hatte, musste Lamprecht einräumen, dass auch Siemens die branchenübliche "Vendor-Finanzierung" mitmache, in deren Rahmen TK-Ausrüster den Netzbetreibern Beträge vorstrecken und UMTS-Projekte sponsern. "Wir haben uns in verschiedenen Fällen engagiert", so Lamprecht, allerdings seien die Zuwendungen auf ein "vernünftiges Maß" begrenzt geblieben. Im übrigen Spiele die Finanzierung "in diesen Tagen nicht die Hauptrolle", vielmehr gehe es um zeitgerechte Installationen und Applikationen.

Siemens wolle bei den Anwendungen nicht mit den Content-Providern und Netzbetreibern konkurrieren. Das Unternehmen beabsichtige, Basisapplikationen zu offerieren, mit deren Hilfe Anwendungen entwickelt werden könnten. Insbesondere setze Siemens hier auf ortsabhängige Dienste und biete Software für den elektronischen Zahlungsverkehr. In der Unternehmenssparte Siemens Business Services (SBS) kalkuliert der Konzern außerdem mit starker Nachfrage in den Segmenten Mobile Office, Reiseverkehr, Brokerage und Entertainment.

Die unvermeidliche Journalistenfrage nach der Killerapplikation für UMTS parierte Roland Koch, Bereichsvorstand der IC-Networking-Sparte. Was die Menschen am Ende mit der UMTS-Infrastruktur anstellen werden, ist seiner Meinung nach noch nicht abzusehen. Deshalb am Sinn der Investitionen in eine breitbandige Mobilfunk-Infrastruktur zu zweifeln, sei aber zu kurz gegriffen. Dass sich Peer-to-Peer-Dienste wie die Musiktauschbörse Napster in einem solch rasanten Tempo weltweit durchsetzen konnten, habe schließlich auch kein Internet-Visionär vorhergesagt. Dasselbe gelte für die Instant-Messaging-Dienste von Microsoft und AOL, die aus dem Nichts kamen und nun Selbstläufer sind.