"CeBIT ist nicht jedes Jahr ein Pflichttermin"

06.03.1992

An der CeBIT führt kein Weg vorbei. Das dränge in Hannover scheint diese Ansicht der COMPUTERWOCHE befragten DV-Anwender in leitenden Positionen hingegen verzichtet in diesem Jahr darauf, die Koffer zu packen und die Aktentaschen für neue, bunte Prospekte freizuräumen.

Vom Würzburger Unternehmen Fichtel und Sachs fahren mehrere Mitarbeiter der DV-Abteilung nach Hannover - nicht aber ihr Chef, DV-Leiter Manfred Vaupel. Der wäre wie in den letzten Jahren auch heuer - zur CeBIT gefahren, hat allerdings Wichtigeres zu tun. Jetzt sorgt er sich: "Obwohl ja alles in den entsprechenden Zeitschriften steht, hat man die Befürchtung, etwas zu verpassen."

Der DV-Profi wird deshalb seinen Leuten zwei Aufträge mit auf den Weg geben: Zum einen sollen sie sich "einen Überblick verschaffen". Dabei gilt es auch, einen Blick auf die Präsentation der kleinen Anbieter zu werfen. Zum anderen will er, daß sie "gezielt nach speziellen Problemlösungen suchen"- Interessant für das Unternehmen Fichtel und Sachs sind derzeit nicht etwa Modethemen wie Multimedia, sondern optische Speicher- und Transportmedien.

Um sich von Besucherströmen nicht unvermittelt auf ein Nebengleis schieben zu lassen, rät Vaupel grundsätzlich allen CeBIT-Besuchern, sich vorher einen Laufzettel zu erstellen.

"Wenn man kein klares Ziel hat, geht man da unter." Da seien Kaffee und Smalltalk auf diesem und jenem Stand noch eher akzeptabel, derlei "gehört als Akt der Höflichkeit dazu".

Selbstbeschränkung heißt auch das Motto bei James Green, einem von zwei Mitarbeitern, welche die DV-Abteilung von Hoffmann-La Roche aus dem südwestlichen Winkel der Bundesrepublik nach Hannover delegiert. Ich muß ja nicht alles sehen", meint der PC- Spezialist aus Grenzach.

Er hat auf der CeBIT reichlich zu tun, weil für seinen Arbeitsbereich im PC-Benutzerservice das Angebot groß ist. "Ich habe drei Tage Zeit. Da muß ich schon sehr viel laufen." Gleichwohl sind Green die Wege nach und in Hannover nicht zu weit. "Diese Messe ist sehr wichtig."

Als größte unter den drei DV-Messen, die er pro Jahr besucht, diene sie zwar nicht der unmittelbaren Investitionsentscheidung, aber er könne einen Überblick über wichtige Neuentwicklungen erhalten und damit spätere Entscheidungen besser vorbereiten.

Noch aufnahmebereiter ist Anthony Claridge, DV-Leiter vom Münchner Aufzugshersteller Gall & Heckelmann. Er sucht "nicht einen spezifischen, sondern mehr einen allgemeinen Überblick". Der Münchner hatte sich Ende Februar noch nicht endgültig für einen Messebesuch entschieden, war aber in den letzten Jahren immer nach Hannover gefahren.

Für die Reise in die niedersächsische Landeshauptstadt spricht die Möglichkeit, den Horizont zu erweitern: "Normalerweise konzentriert man sich auf die eigene DV-Welt. Auf der CeBIT kann man sich mal einen Überblick über die technischen Fortschritte der Branche verschaffen."

Der Reiz eines unmittelbaren Kontakts mit unerwarteten Neuigkeiten scheint oft Motivation genug für einen Messebesuch zu sein. Auch Volker Kiene, Hauptabteilungsleiter der Zentralstelle Datenverarbeitung bei der Deutschen Bundesbahn in Frankfurt am Main, fährt nicht nur nach Hannover, um aufgrund längst abgesprochener Termine gezielt bestimmte Messestände anzulaufen.

Kiene meint, er sei gegenüber der CeBIT "immer skeptisch gewesen; aber es ist schon nötig hinzufahren, damit man Eindrücke bekommt". Er wolle nicht nur erfahren, was es an neuen Strategien gebe, sondern sei ganz allgemein offen, Produkte kennenzulernen. Dabei setze er sich keine thematischen Präferenzen.

Vielmehr legt der Bundesbahn-DV-Leiter Wert darauf, bei einem Gang über die Messe "Eindrücke und spontane Anregungen zu erhalten. "Wenn ich etwas Interessantes vorgeführt bekomme schau ich mir das an - einfach um ein Gefühl für die Sache zu bekommen. Und das sollen möglichst viele aus der Eisenbahner-Datenverarbeitung, weshalb eintägige Messebesuche großzügig genehmigt werden.

"Man kann sich dort informieren, mit den Herstellern reden und sehen, was los ist etc.", schränkt Ralf Stegmann ein. Für den DV-Leiter beim Automobilzulieferer TRW Thompson GmbH aus dem badischen Blumberg ist die CeBIT "nicht jedes Jahr ein Pflichtermin". In diesem Jahr verzichtet er.

Ebenso hat sich Peter Gustmann, DV-Chef der Goetze AG aus Burscheid, einem auf Dichtungen spezialisierten Zulieferer der Automobilindustrie, entschieden. Ihm ist die CeBIT als Versuch einer umfassenden Selbstdarstellung der DV-Branche "zu mächtig, reich". Das Angebot werde eher unübersichtlich. "Ich kann nicht sehen, was ich sehen will." Deswegen könne er heute seine früheren zweitägigen CeBIT-Besuche nicht mehr rechtfertigen. Auch Hartmut Blechschmid, DV-Leiter beim Sportartikelkonzern Adidas in Herzogenaurach, haben langjährig übliche CeBIT-Besuche "fachlich wenig gebracht". Er übt in diesem Jahr Messeabstinenz; denn es reiche ihm nicht, "nur Kontakte zu pflegen und mehr oder weniger Höflichkeitsbesuche zu absolvieren.

Geradeheraus als "leidgeprüfter CeBIT-Fahrer" bezeichnet sich Werner Carstengerdes, Bereichsleiter Informationssysteme Technik und Betrieb der Volkswagen AG, Wolfsburg. Allerdings schwanke auch er immer, weil zu bedenken sei, "daß man dort einen Überblick über die Entwicklungen der Branche bekommen kann".

Allerdings biete ihm die Veranstaltung aller Erfahrung nach keinen großen Neuigkeitswert: "Gewöhnlich sehe ich nicht viel. Es werden so viele Ausstellungs-Prototypen vorgeführt. Ob die Hersteller das einzelne Produkt wirklich verfügbar haben, ist doch immer fraglich."

Dabei kann Carstengerdes als Herr aber einen der größten DV-Parks in der Bundesrepublik sich noch besonderer Aufmerksamkeit durch die Aussteller sicher sein. Aber das beeinflußt nicht seine Einschätzung über die Hannoveraner Computermesse: "Die Vorzugsbehandlung finde ich nicht so gut." Kleine Anwender seien in der Gefahr, "zurückgesetzt zu werden".

Mißbehagen bereiten ihm dann erst recht "diese leidigen Einladungen hier und da zum Kaffeetrinken - auch wenn das dazugehört". Daß der langjährige Aussteller Ikoss, ein Stuttgarter Softwarehaus, wegen des Überhandnehmens ineffizienter Treffen bei Kaffee und Gebäck in diesem Jahr die Messebeteiligung abgesagt hat, dafür hat der DV-Gewaltige von VW "volles Verständnis".

Carstengerdes favorisiert eine Alternative zur Messe: Für Volkswagen sei es produktiver und deshalb üblich geworden, eher Anbieter zu Präsentationen nach Wolfsburg zu laden, als sich dasselbe Angebot im benachbarten Hannover anzuschauen.

Gleichwohl werden sich viele VW-Leute auf der Messe ein Stelldichein geben. "Wegen der Nachbarschaft gehen bestimmt viele Mitarbeiter hin, vom IS-Mann bis zum einfachen Endanwender", meint Carstengerdes. Allerdings werden die VW-Mitarbeiter dieses Jahr auf eigene Faust unterwegs sein - der Automobilkonzern will dafür nicht mehr als Organisator auftreten. "Freikarten sind, ja leicht zu bekommen."

Von langer Hand vorbereitet ist lediglich ein Messebesuch: just zur CeBIT-Zeit veranstaltet VW eine Tagung seiner Verantwortlichen für Informationssysteme. Die Damen und Herren fahren einen Tag nach Hannover und werden bei einigen Ausstellern seit längerem vereinbarte Präsentationen besuchen. In keinem Fall geht es dabei aber um Produkte, sondern ausschließlich um kurze Referate über Trends in Teilbereichen der DV-Industrie.

Mit der Entwicklung der CeBIT zu einer Veranstaltung, bei der vor allem die Besucherzahlen interessieren, ist Carstengerdes unzufrieden. Über die Messeorganisation und -strategie müßten die Veranstalter "bald kreativ nachdenken. Aber ich will mir nicht die Köpfe der Messeleitung oder der Aussteller zerbrechen."

Selbstverständlich könnte die Messe AG die Position einnehmen, daß Kinder auch einen Markt darstellen. Bedauerlich aber sei, daß die Messeleitung die Konzeption der CeBIT kaum entscheidend ändern

dürfte, solange immer mehr Publikum komme.