Hannoveraner Computerspektakel wird zum Treffpunkt für Spezialisten:

CeBIT '88: Die DV-Entscheider bleiben zu Hause

11.03.1988

MÜNCHEN - Immer mehr etablierte Aussteller bleiben dem CeBIT-Spektakel in Hannover fern (siehe CW Nr. 7 vom 12. Februar 1988, Seite 3). Vor allem Software-Firmen wie Cincom, SCS, die Software AG, Cap Gemini und Micropro entschieden sich heuer erstmals gegen die Teilnahme. Ein Grund der "Abstinenzler '88": Immer häufiger bleiben die DV-Entscheider zu Hause. "CeBIT - nein danke" ist denn auch der Tenor der von der COMPUTERWOCHE befragten DV-Verantwortlichen.

Die Entscheidung, nicht zur CeBIT zu fahren, fällt vielen DV-Managern nicht schwer - zum einen, weil ihnen das Publikum der jugendlichen Freaks und Informatikabsolventen nicht paßt, zum anderen, weil in dem übermächtigen Generalangebot das untergeht, was sie sehen wollen: Organisationslösungen der gehobeneren Kategorie. "Die konzeptmäßige DV-Darstellung der Fertigungssteuerung zum Beispiel", konstatiert Peter Brentle, DV-Leiter bei der Panavia Aircraft GmbH, München, "sucht man auf der CeBIT zwischen vielen anderen - mehr oder weniger überflüssigen - Dingen."

Brentle, den es seit der Teilung nicht mehr reizt, nach Hannover zu fahren, hält es für absolut unsinnig, die "DV von der Industrie zu trennen". "Schließlich", so der Münchener weiter, "ist die DV ein strategisches Instrument für den ganzen Betrieb- und reicht nur auf die Administration beschränkt." Auch auf der Industriemesse fühlt sich Brentle fehl am Platz. "Dort sieht man zum größten Teil Industrieerzeugnisse. Doch was beispielsweise den Verbund von DV und Fertigung angeht, so ist das dort bis heute wenig ausgeprägt." Beiden Messen, so Brentles Fazit, fehle nach wie vor die integrierende Kraft.

Darüber hinaus findet er es "nicht unbedingt lustig, sich auf der CeBIT überwiegend mit Fachexperten, Schülern und Studenten durch die Hallen zu quetschend", wie es seit der Teilung der Fall ist. Zwar träfe man auch ab und zu noch Besucher aus dem mittleren Management auf der CeBIT an, aber die kämen zum Teil doch nur aus Spaß an der Freud`. Wie viele andere seiner Kollegen hakt er das Thema Hannover ab, indem er für bestimmte Themen eben die Spezialisten aus dem Unternehmen hinschickt. In diesem Jahr wird es vermutlich, ein PC-Experte sein.

Nicht anders denkt Kurt Geiser, Abteilungsleiter für prozeßgesteuerte Systeme bei der Bremer Lagerhausgesellschaft und Geschäftsführer von ISETEC, einer Kooperationsgemeinschaft deutscher Nordseehäfen zur Einführung innovativer Technologien in die Häfen. Er kämpft noch mit sich, ob er der diesjährigen CeBIT einen Besuch abstattet. "Im vergangenen Jahr habe ich feststellen müssen, daß mein Aufenthalt umsonst war. Mir fehlt einfach die Verbindung zum Industrieteil. Denn der Computer läßt sich nun einmal nicht mehr isoliert betrachten, sondern muß im Umfeld der Industrie und insbesondere ihrer Steuerung gesehen werden." Außerdem fände man die Dinge, die über eine Lohn- und Gehaltsabrechnung hinausgehen, nämlich zum, Beispiel eine Produktionssteuerung, auf der CeBIT nicht. Da müsse man schon die Industriemesse besuchen; aber dort fehle dann wieder die Verbindung zum Großrechner, die nun einmal äußerst wichtig sei.

Dennoch plant Geiser einen Besuch bei der Industriemesse im April, weil diese für ihn in produktionstechnischer Hinsicht interessanter" sei. Einkalkulieren müsse er allerdings, daß er den Computerhersteller der für ihn geeigneten Lösung dort nicht anträfe. Auch der Bremer DV-Profi ist nicht sehr zufrieden mit dem CeBIT-Publikum. Geiser: "Bei meinem CeBIT-Besuch 1987 kam ich mir manchmal vor wie auf einem Schulausflug." Deshalb hält er den Entschluß vieler Software-Unternehmen, nicht auf der CeBIT auszustellen, auch für richtig. Geiser lakonisch: "Wie kann man auch einem 15jährigen Schüler die Zusammenhänge einer diffizilen Software auf einer Messe erklären."

Auch Klaus-Jürgen Kupka, DV-Leiter bei der Hamburger Elida Gibbs GmbH, läßt kein gutes Haar an dem CeBIT-Publikum. Ohnehin kein großer Messegänger, hatte ihn früher vor allem das vielfältige Angebot auf einem Platz nach Hannover gelockt und damit die Möglichkeit, "zwei Fliegen mit einer Klappe zu schlagen". Eine reine DV-Show in Hannover macht für ihn keinen Sinn. Moniert Kupka: "Das Niveau der CeBIT-Besucher ist einfach schlechter geworden. Rund 85 Prozent der Messegänger kommen doch nicht wegen der Information, sondern weil sie an dem Spektakel teilnehmen wollen, weil sie einen PC gewinnen oder einen freien Arbeitstag genießen möchten." Der Hamburger kann die Entscheidung derjenigen Firmen verstehen, die nicht mehr auf der CeBIT ausstellen: "Wer von diesen CeBIT-Besuchern kann denn schon etwas mit der Software AG oder mit Cincom anfangen?" Für den DV-Manager wird die CeBIT zukünftig nur noch den Zweck haben, "den einen oder anderen Mitarbeiter mit einer klaren Aufgabenstellung in die Leinestadt zu entsenden".

Nicht einmal das bewilligt Gerhard Karck, Rechenzentrumsleiter der Ortskrankenkassen Schleswig-Holstein in Raisdorf/Kiel, seinen Mitarbeitern: "Wer aus unserem Haus nach Hannover zur CeBIT möchte, muß schon gute Gründe dafür haben. Ich sehe nämlich keinen Sinn in dieser Veranstaltung und werde deshalb von mir aus keinen Mitarbeiter für einen Messebesuch abstellen." Immerhin noch einen Tag wird indes DV-Leiter Josef Fromme von der Hesse GmbH in Hamm zur CeBIT gehen. Auf der Suche nach einem für seine DV-Welt geeigneten Laserdrucker will er alle in Frage kommenden Aussteller aufsuchen, um sich umfassend zu informieren. "Nach wie vor", so Fromme, "ist die CeBIT geeignet, sich einen Überblick darüber zu verschaffen, was am Markt und was technisch möglich ist. Allerdings trifft man natürlich keine Entscheidung an Ort und Stelle. Ernst wird es erst nach der Messe, wenn man in Ruhe überprüft, welchem Produkt wir tatsächlich den Zuschlag erteilen können."

Ansonsten aber geht der Westfale mit dem Messekonzept hart ins Gericht. Daß die Trennung von DV und Industrie jeglicher Logik entbehrt, da alles von Integration spricht, hatte er bereits vor zwei Jahren bekundet. Auch daß sich immer mehr etablierte Anbieterunternehmen von der CeBIT fernhalten würden, hatte sich Fromme bereits 1986 gedacht. Warnt der DV-Leiter jedoch: "Sicher ist das Verhalten der Austeller, die gegen das Hannoveraner DV-Spektakel entscheiden, verständlich. Aber man darf dabei nicht übersehen, daß es auch Gefahren in sich birgt." Anstelle der ausbleibenden Firmen rückten nämlich verstärkt kleine Ein-Mann-Aussteller nach, die mit Messerabatten von zum Teil 25 Prozent auf Produkte, die sie sich im "stillen Kämmerlein" gebastelt hätten, die Besucher zu ködern versuchten. "Der Fachmann geht achtlos daran vorüber, doch die vielen sachunkundigen Besucher sind die Opfer. Mit Sicherheit ist so mancher CeBIT-Gänger im vergangenen Jahr mit einer Software nach Hause gefahren, die sich bereits kurze Zeit später als Pleite erwiesen hat." Es sei schon seltsam mitzuerleben, "wie gebannt und gefesselt viele Leute den Ausführungen der Vertriebsbeauftragten auf den Ständen lauschten, ohne zu merken, daß man ihnen den größten Schwachsinn erzählt". Eine Beobachtung, die Fromme im vergangenen Jahr des öfteren auf der CeBIT machen konnte.

Keine Frage, viele bundesdeutsche DV-Manager werden heuer den Gang zur CeBIT nicht mehr antreten. Und bei denen, die sich doch noch für einen Tag Hannover-CeBIT entscheiden, spielt sicherlich die langjährige Tradition des Messebesuches eine Rolle. So bekräftigt ein Wiener Informatikmanager: "Nach so vielen Messeaufenthalten bleibe ich auch weiterhin ein Hannover-Fan - selbst wenn ich jede CeBIT mit einem bitteren Beigeschmack besuche." Ihm gehen die ausgelagerten Bereiche der Technologie und Forschung und die CAD/CAM-Aussteller ab, auch wenn "diese Gebiete langsam, wieder auf der CeBIT zu sehen sind". Unverständlich ist für ihn nach wie vor, daß "die Hannoveraner Messegesellschaft gerade die Bereiche auseinanderdividiert hat, die doch schon Mitte der achtziger Jahre verstärkt zusammenwuchsen". Wundert sich der Österreicher: "Trennung nach DV und Industrie - wer denkt heute noch so?"