Branchenkenner sehen keine Impulse durch weltgrößte IT-Messe

CeBIT 2003 - halb leer oder halb voll?

07.03.2003
MÜNCHEN (ba) - Das Stimmungsbarometer der IT-Branche vor der diesjährigen CeBIT schwankt zwischen Hoffen und Bangen. Während die CeBIT-Verantwortlichen sich trotz kleinerer Fläche und sinkender Ausstellerzahlen optimistisch geben, bezweifeln Szenekenner, dass das Treffen Impulse zu setzen vermag. In einem sind sich jedoch alle einig: Die CeBIT bleibt weltweit die bedeutendste IT-Messe.

"Wir verkaufen keine Quadratmeter, sondern Kommunikationschancen." Mit diesem Motto will der für die CeBIT verantwortliche Messevorstand Ernst Raue von der ständigen Diskussion um Ausstellerzahlen und vermietete Standflächen ablenken. Er sei kurz vor CeBIT-Beginn im Großen und Ganzen zufrieden, da sich die Lage stabilisiert habe: "Ich bin froh, dass es endlich losgeht."

Ganz beiseite schieben können die Messeverantwortlichen das sich jährlich wiederholende Spiel um Zahlen und Flächen jedoch nicht. Abgerechnet wird wie in all den Jahren zuvor nach vermietetem Standplatz. Und damit sieht es wie bereits im Vorjahr nicht besonders gut aus. Mit anvisierten 360000 Quadratmetern wird die 2003 vermietete Standfläche um fast zehn Prozent unter dem Vorjahreswert liegen, als noch knapp 400000 Quadratmeter verteilt wurden. Auch in Sachen Aussteller- und Besucherzahlen ist mit einem deutlichen Einbruch zu rechnen. Mit rund 6500 Ausstellern und zirka 600000 Gästen erwarten die Veranstalter in beiden Kategorien ein Minus von zehn Prozent im Vergleich zum Vorjahr.

Wer nicht zahlt, fällt raus

Inwieweit man den Statistikjongleuren trauen darf, bleibt jedoch abzuwarten. Verkündeten die CeBIT-Verantwortlichen nach der letztjährigen Messe noch eine Ausstellerzahl von 7962, mussten sie diese Angabe in der offiziellen Meldung an die Gesellschaft zur freiwilligen Kontrolle von Messe- und Ausstellerzahlen (FKM) auf 7264 reduzieren. Die Differenz erklärt Raue damit, dass rund 700 Mitaussteller auf Gemeinschaftsständen die dafür fällige Gebühr von 700 Euro nicht gezahlt hätten und man sie deshalb aus der offiziellen Statistik herausnehmen musste. "Das hat es noch nie gegeben", so sein Fazit. In der laufenden Kalkulation sei die Messegesellschaft deshalb vorsichtig geworden. Mit 6500 Ausstellern liegt die Vorgabe deutlich unter den Anfang Dezember letzten Jahres verkündeten 7074 registrierten Unternehmen für die CeBIT 2003.

Die schrumpfenden Zahlen seien ein Spiegel des Marktes, erläutert Raue. Verloren habe die Messe vor allem deutsche Aussteller. Dagegen sei aus Asien und Osteuropa ein stärkerer Zustrom zu spüren. Das gleiche Verluste aus dem anglo-amerikanischen Raum aus. Viele Unternehmen warteten momentan darauf, dass sich etwas bewegt, interpretiert Raue die Signale aus der IT-Branche. "Sie haben die Nase voll davon, dass es immer nur negativ läuft." Ein Marktplatz wie die CeBIT, auf dem die Menschen zusammenkommen, biete alle Chancen: "Wenn nicht hier, wo dann?"

Rückendeckung bekommt Raue vom Bitkom-Geschäftsführer Bernhard Rohleder. Die Branche gehe mit deutlich mehr Zuversicht in das Jahr 2003, als es noch vor Jahresfrist für 2002 der Fall war. Demnach hätten die meisten Unternehmen im vergangenen Jahr ihre Kosten dem veränderten Marktumfeld angepasst. Außerdem habe eine Konsolidierung stattgefunden. Rund 2000 Firmen seien vom Markt verschwunden. Dies bedeute, dass der Kuchen unter weniger Playern aufgeteilt werden könne. Zuletzt verspürten die Anbieter wieder eine stärkere Investitionsbereitschaft, nachdem in den beiden zurückliegenden Jahren IT-Ausgaben oft hinausgezögert wurden.

Vor diesem Hintergrund habe Rohleder zufolge die Bedeutung der CeBIT eher noch zugenommen. Die Verluste an Ausstellern und Besuchern seien längst nicht so dramatisch wie bei anderen Messen, die zum Teil Einbußen von bis zu 50 Prozent hinnehmen mussten.

Auch Raue betont, dass sich die CeBIT von den Konkurrenten weiter abgesetzt habe. "Im Vergleich zu den anderen sehen wir richtig gut aus", so das Fazit des Messevorstands. Er gehe von weiteren Konsolidierungen im Messesektor aus. So brauche die Branche sicher nicht so viele IT-Messen, wie es heute gebe. Sollte der Markt eines Tages wieder stetig mit vier oder fünf Prozent jährlich wachsen, dann genüge eine vernünftige IT-Messe.

Bessere Stimmung nach der CeBIT?

Die CeBIT 2003 könnte dazu beitragen, die Geschäfte wieder anzukurbeln, glaubt Raue. Obwohl er keinen schnellen Aufschwung erwarte, gehe er davon aus, dass die Stimmung nach der Messe besser sein werde.

Diese Zuversicht vermag Rüdiger Spieß, Analyst bei der Meta Group, nicht ganz zu teilen. Zwar seien aus verschiedenen Unternehmen durchaus positive Signale zu erkennen. Dies lasse sich jedoch in erster Linie darauf zurückführen, dass lang aufgeschobene Investitionen jetzt endlich umgesetzt würden. Einen Zusammenhang mit der CeBIT sehe er nicht: "Von einem Aufbruchsgefühl spürt man wenig. Die Stimmung ist noch sehr verhalten." Spieß zufolge hängt die aktuelle Zurückhaltung eng mit der Irak-Krise zusammen. Solange dieses Problem nicht gelöst sei, werde sich auch in der IT-Branche wenig tun.

Keine Überraschungen zu erwarten

Überhaupt könne man nicht erwarten, dass eine einzelne Messe der IT-Branche den entscheidenden Impuls zu geben vermag: "Diese Zeiten sind lange vorbei." Große Ankündigungen seien kaum mehr auf IT-Messen zu hören. Kein Hersteller warte auf die CeBIT, um ein neues Produkt vorzustellen. Der Trend gehe vielmehr zu "Realtime- Announcements": Wenn die Anbieter ein Produkt fertig entwickelt haben, bringen sie es auch auf den Markt.

Doch trotz aller Ernüchterung habe die CeBIT ihre Berechtigung und werde diese noch lange Zeit behalten, stellt der Meta-Group-Analyst abschließend fest. Es bleibe wichtig für die Anbieter, auf der weltweit größten IT-Messe Präsenz zu zeigen und zu demonstrieren, dass man sich als Unternehmen den Messeauftritt leisten könne. Selbst langjährige CeBIT-Abstinenzler wie Oracle suchten behutsam wieder den Messeanschluss, beispielsweise durch Promoting-Aktionen bei Partnern oder ihrer User Group. Kunden wiederum sähen in dem Messeauftritt ihres IT-Versorgers eine Bestätigung ihrer Kaufentscheidungen. Aus diesen Gründen dürften die Unternehmen den Symbolcharakter einer CeBIT-Präsenz keinesfalls unterschätzen.

Diese Bewertung trifft für Sun Microsystems nur bedingt zu. Laut Martin Häring, Director Marketing bei Sun Microsystems in Deutschland, steht die CeBIT-Teilnahme unter einer neuen Flagge. Während man in den vergangenen Jahren nach Hannover gefahren ist, um seine Bestandskunden bei netten Plauderstündchen und Kaffee zu pflegen, will der Server-Spezialist in diesem Jahr aggressiv auf Neukundenfang gehen. Dazu werde man auf dem um etwa zwei Drittel vergrößerten Stand verstärkt auf Eye-Catcher und Show-Effekte setzen - als Antwort auf die typische Frage: "Na, was gibt''s Neues bei Sun?"

Häring zufolge wird sich das Bild der Image-Messe CeBIT wandeln. "Hingehen nur um des Hingehens willen funktioniert nicht mehr." Die Zeiten seien vorbei, in denen die Aussteller pauschal 2000 Quadratmeter mieteten und dachten, dass damit automatisch die Kunden kämen. Die Stände der Aussteller, die in dieser Arroganz verharrten, blieben leer. Außerdem dürfe man die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen nicht vernachlässigen. Für jeden Euro, den Sun in den Messeauftritt investiere, müsse hinterher ein Gewinn von zehn Euro stehen, bei Ausgaben von rund drei Millionen also 30 Millionen Euro.

CeBIT-Rechnung geht nicht auf

Diese Rechnung geht nach Meinung der Verantwortlichen von Adobe, dem prominentesten CeBIT-Verweigerer dieses Jahres, nicht mehr auf. Das Unternehmen sagte Anfang Februar dieses Jahres seine Teilnahme kurzfristig ab. Man wolle sich auf groß angelegte Marketing-Aktionen und Events konzentrieren, die zeitlich optimal auf die eigene Unternehmens- und Produktstrategie abgestimmt seien, heißt es in einer offiziellen Erklärung des Publishing-Spezialisten zur für viele überraschenden Messeabsage.

Auch für Erwin Haller, Vorstandsmitglied von GFT und vor drei Jahren zuletzt auf der Messe in Hannover, hat sich der Wert der CeBIT relativiert. Das Kosten-Nutzen-Verhältnis sei nicht optimal, bemängelt der Manager: "Der Aufwand ist immens, man muss gute Leute abstellen, und letztendlich hat man oft nicht die gewünschte Qualität auf Seiten der Besucher - von Ausnahmen abgesehen." Deshalb hätten sich die Verantwortlichen bei der GFT schon seit längerem dazu entschlossen, die Marketing-Mittel stattdessen in themenspezifische Roadshows zu investieren.

Hausmesse keine Alternative

Für Messevorstand Raue dagegen sind Roadshows und Hausmessen auf der einen und die CeBIT auf der anderen Seite etwas grundsätzlich anderes: "Da vergleicht man Äpfel mit Birnen." Hausmessen und Roadshows seien ein gutes Instrument, um bestehende Kunden zu pflegen. Dagegen helfe die Hausmesse nicht weiter, wenn ein Unternehmen nicht geplante Besucher und Neukundengeschäfte sucht.

Verträge werden allerdings schon seit langer Zeit kaum mehr auf der CeBIT abgeschlossen, berichtet Häring. Das geschieht in aller Regel nach der Messe, wenn die Beteiligten mehr Zeit und Ruhe mitbringen. Der Großteil der Besucher komme, um sich zu informieren. Diese Einschätzung teilt Peter Barysch, Business Intelligence Manager bei DHL Worldwide Express. Die CeBIT biete eine gute Gelegenheit, sich in kurzer Zeit einen Überblick über bestimmte Themen zu verschaffen. Außerdem könne es immer wieder passieren, dass man auf der Messe über etwas stolpere, mit dem man eigentlich nicht gerechnet hat, das einem aber bei irgendeinem Problem weiterhilft. Auch Wilfried Schroers, Projekt-Manager E-Channels bei der Citicorp Dienstleistungs GmbH, schätzt das Informationsangebot. Für detailliertere Auskünfte sei es nach seiner Erfahrung jedoch sinnvoller, nach der Messe den direkten Kontakt zu den Herstellern zu suchen.

Beide IT-Manager werden in diesem Jahr nicht zur CeBIT fahren. Dringende Aufgaben im Rahmen von firmeninternen Projekten stehen einer Reise nach Hannover im Weg. Gut für die Branche - schlecht für die Messe. Überhaupt könnte das Besucherinteresse zum kritischen Faktor der diesjährigen CeBIT werden. Raue zufolge gebe es erste Indikatoren, dass die Besucherzahlen aus den USA infolge der angespannten politischen Situation leiden könnten. Auch in Deutschland scheint das Interesse mancherorts zu lahmen. GFT-Manager Haller aus dem schwäbischen St. Georgen, der das Ein-Tages-Angebot einer Reiseagentur aus Stuttgart für einen CeBIT-Besuch nutzen wollte, berichtet, der Veranstalter habe die Offerte kurzfristig stornieren müssen. Grund: mangelndes Interesse.

Abb: CeBIT-Zahlen

Von den Rekordzahlen 2001 sind die aktuellen CeBIT-Erwartungen weit entfernt. Im Vergleich zum Vorjahr werden sich die Veranstalter 2003 in allen drei Kategorien mit rund zehn Prozent weniger begnügen müssen. Quelle: FKM/Messe