Organisatorische Probleme zumeist noch nicht gelöst:

CASE - oft nur der Bluff mit einem Modewort

10.02.1989

HAMBURG (qua) - Gegen den Dämon "Softwarekrise" konnte die Zauberformel "CASE" bislang wenig ausrichten - das wurde beim Online-Kongreß "Software-Engineering und Software-Werkzeuge" deutlich. Die Gründe, so der Tenor der Referate, sind weniger technischer oder methodischer als vielmehr organisatorischer Art.

"Die CASE-Ergebnisse sind oft nicht anforderungsgerecht, sehr komplex, kaum beherrschbar, inflexibel und unsicher, urteilte Hartmut Skubch, Geschäftsführer der Wiesbadener Plenum Management Consulting GmbH. Sechs "Kardinalfehler" machte der Unternehmensberater dafür verantwortlich, daß die hochgeschraubten Erwartungen in das Computer-unterstützte Software-Engineering zumeist enttäuscht würden: Das Management ist nicht überzeugt. Die Benutzer werden nicht einbezogen. Kompetenzgerangel ersetzt fachliche Zusammenarbeit. Die Komplexität wird unterschätzt.

Der Orientierungsrahmen fehlt. Betreuung und Ausbildung sind nicht sichergestellt.

Das mangelnde "Zusammenspiel zwischen Entwicklern und Fachabteilungen" wurde auch von anderen Referenten kritisiert. Resümierte Harald Oestreich, Abteilungsleiter Marketing beim EDV-Studio Ploenzke in Wiesbaden: "Die Probleme der Software-Entwicklung liegen nicht mehr im technischen oder methodischen, sondern im organisatorischen Bereich. Der End-User muß vom Konsumenten zum aktiven Teilnehmer werden."

Vor einer ganz anders gearteten " Zeitbombe" warnte indes Frank Dörfel, Unternehmensberater bei der Gesellschaft für Projektmanagement (GfP), Hamburg: "Alle CASE-Systeme gehen davon aus, daß es keine Probleme mit den vorhandenen Datenbeständen gibt; aber ich kenne kein Unternehmen, in dem die Daten sauber durchstrukturiert sind." Ergänzte Helmut Gomolzig, Geschäftsführer bei der Gesellschaft für Technologien der Informationsverarbeitung mbH (GTI) in Kürten bei Köln: "Wir werden noch eine ganze Weile mit den alten Systemen leben müssen, und hier liegt der Bluff der Softwarehäuser."

Horst Petersen, zuständig für die Softwareproduktion beim Posttechnischen Zentralamt in Köln, konstatierte ebenfalls Etikettenschwindel auf seiten der Hersteller: "Oft versuchen die Softwarehäuser, alten Wein in neuen Schläuchen zu verkaufen." Doch wollte der Anwender die Kunden nicht von der Verantwortung befreien: "Wer so etwas kauft, ist zum Teil selbst schuld."

Überhöhte Erwartungen bei den Benutzern registrierte auch Hartmut Engel, Abteilungsleiter Basis-Beratung bei der SAP AG in Walldorf: "CASE nimmt einem nicht alle Probleme ab. Das A steht lediglich für aided, also unterstützt." Oestreich argumentierte ähnlich - jedoch aus Sicht der Kunden: "CASE ist Bluff, wenn es als Problemlöser verkauft wird oder wenn astronomische Produktionssteigerungen versprochen werden."

Hält Monika Müllerburg von der Gesellschaft für Mathematik und Datenverarbeitung (GMD) in Sankt Augustin den Einsatz einer Software-Produktionsumgebung gerade bei großen und komplexen Systemen für lohnend, sieht Skubch hier die Grenzen der automatischen Software-Erstellung: Komplexe Systeme sind offene Systeme, also nicht mehr spezifizierbar." Unterstützt wurde diese These von SAP-Mitarbeiter Hartmut Engel: "Übergreifendes Know-how kann nicht durch CASE abgedeckt werden. Komplexe Systeme lassen sich also nicht pre-designen."

Daran, daß auch die technischen Probleme keineswegs restlos gelöst sind, erinnerte der Braunschweiger Unternehmensberater Raymund Vorwerk: "Was die Wiederverwendbarkeit angeht, so befinden wir uns bei der Software-Entwicklung auf dem Stand, den die Radiotechnik 1958 erreicht hatte. Prophezeite Vorwerk: Wenn es uns nicht gelingt, wiederverwendbare Software-Bauteile zu finden, werden wir in fünf Jahren wieder hier sitzen und immer noch dieselben Fragen diskutieren."