Carl Christian von Weizsäcker plädiert auf dem IBM-Forum für den technischen Fortschritt:Nicht jede Datenbank ist auch vernünftig

08.10.1982

BONN - Die Tatsache, daß die "Minderheitsmeinung" des Thomas Watson jr. entgegen der allgemein geltenden "Vernunft" und ungestört von staatlichen Eingriffen eine Chance auf Verwirklichung hatte und so das Unternehmen IBM entstehen konnte, ist ein Beweis für die Überlegenheit der Marktwirtschaft. Diese These vertrat Professor Dr. Carl Christian von Weizsäcker in einem Festvortrag vor den Teilnehmern des "Forum '82 für Wissenschaft und Verwaltung" in Bonn.

An dem von der IBM alljährlich veranstalteten Kongreß der Anwender aus dem Bereich der öffentlichen Hand nahmen rund 1300 EDV-Profis und Endbenutzer teil. Wie Hans Kohn, Generalbevollmächtigter der IBM und als solcher zuständig für Großkunden, in seiner Eröffnungsansprache bemerkte, dürfte diese noch nie erreichte Teilnehmerzahl nicht zuletzt auf den Veranstaltungsort als einem Zentrum von behördlichen und öffentlich-rechtlichen Institutionen aller Art zurückzuführen sein.

IBM hatte den Bonner Kongreß in folgenden Zusammenhang gestellt:

- Die Telekommunikation beherrscht bald den Alltag; der kleine Computer wird immer leistungsfähiger; Entscheidungen über Gesamtlösungen versus autonome Lösungen sind auf die Einzelsituation abzustellen.

- Das Geld für Investitionen ist knapp.

In diesem Kontext referierte Professor von Weizsäcker über die Interdependenzen von "Telekommunikation und Wettbewerb - Wirkungsmechanismen in einem Markt von morgen".

Der Behauptung der Marktwirtschaftsgegner, die dem Kapitalismus innewohnende Dynamik und insbesondere die technologische Entwicklung führe in einen Zustand, in dem der Wettbewerb nicht mehr funktioniere, setzte Weizsäcker seine These entgegen, die Intensität des Wettbewerbs sei dort, wo nicht dirigistisch eingegriffen werde, größer als je zuvor und zeige zunehmende Tendenz - auch aufgrund der technischen Entwicklung. Es steige nämlich nicht nur die effiziente Mindestgröße der Unternehmen (auf vielen Märkten) und fördere damit Konzentrationstendenzen; auch die Märkte selbst gegenläufig und parallel dazu würden größer, und zwar aufgrund sinkender Transportkosten sowie größerer Beweglichkeit und verbesserten Informationsstands der Konsumenten.

Der höhere Informationsgrad der Verbraucher, meinte Weizsäcker an die Zuhörer gerichtet, resultiere aus erweiterten Kommunikationsmöglichkeiten beispielsweise "mittels der ganzen Produktgruppe, die IBM hier Ihnen versucht zu verkaufen". Er verwies dazu auf Funktion der Datenbanken, die die Suchkosten des Konsumenten in der Auswahlphase erheblich reduzieren könnten.

"Natürlich ist nicht jede Datenbank, die existiert, auch vernünftig", schränkte Weizsäcker ein und erntete vieldeutige Zustimmung. Den gleichen Effekt erreichte er, als er darauf hinwies, die Markentreue eines Verbrauchers könne durchaus rationale Gründe haben, sei manchmal jedoch auch ein Fall für den Psychologen oder Psychiater.

Fall für den Psychiater

Ein Beispiel dafür, wie leichterer und billigerer Zugang zu Informationen Abhängigkeiten abbauen und dem Individuum größere Freiheitsgrade verschaffen kann, wird nach Weizsäckers Überzeugung das Medium Bildschirmtext auf dem Arbeitsmarkt liefern. Ein starkes Sinken der Such- und Informationskosten wird hier dazu führen, daß individuelle Bedürfnisse der Arbeitnehmer seitens der Arbeitgeber wie auch der Gewerkschaften erheblich besser berücksichtigt werden können.

Der These vom Jobkiller Mikroprozessor erteilte Weizsäcker eine klare Absage. Seine Kausalkette: Technischer Fortschritt löst Preisreduktionen aus, diese erhöhen das verfügbare Einkommen der Verbraucher und führen zu vermehrten Käufen auf anderen Märkten. Dort steigern sie die Nachfrage nach dem Faktor Arbeit. Alternativ anstelle der Preisrückgänge könnte man sich auch Arbeitszeitverkürzungen im Gefolge des technischen Fortschritts vorstellen, ergänzte Weizsäcker.