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Cargolifter - Experimentierfeld für Kommunikationstechnik

16.02.2000
IBM, Cisco und E-Plus gehen in die Luft

Von CW-Redakteurin Karin Quack

MÜNCHEN (COMPUTERWOCHE) - Eine Schnapsidee nennen ihn die einen, ein Abschreibungsobjekt die anderen, eine besonders energiesparende Transporttechnik die dritten. Eines ist der "Cargolifter" auf jeden Fall: ein Experimentierfeld für innovative Kommunikationstechnik - insbesondere von den Anbietern IBM, Cisco und E-Plus.

"Es gibt Dinge, auf die zu warten sich lohnt", schmunzelt Johann-Georg Hahn, Senior Project Manager der Cargolifter Communications GmbH, wenn er auf die lange Entwicklungszeit des "fliegenden Krans" angesprochen wird: Erst 2004, also acht Jahre nach dem offiziellen Gründungsdatum der Cargolifter AG (1. September 1996), soll das gleichnamige Luftschiff in Serie gehen.

Hinter Cargolifter steht die Idee, Güter, die für den Transport mit konventionellen Mitteln zu groß, zu schwer oder zu sperrig sind, mit Hilfe eines Luftfahrzeugs zu befördern, das im Wesentlichen aus einem heliumgefüllten Ballon besteht. Im Vergleich zu herkömmlichen Lufttransportern verbraucht der Cargolifter weit weniger Treibstoff; auch der für Starts und Landungen notwendige Platz lässt sich auf die Abmessungen eines Fußballfeldes (etwa 100 mal 60 Meter) reduzieren.

Wie Hahn beteuert, ist die in Berlin beheimatete Cargolifter AG aber nicht in erster Linie ein Hersteller von "Schiffen für den Luft-Ozean", sondern ein Logistikunternehmen, das sein bevorzugtes Transportmittel selbst baut. Die für Entwicklung und Produktion des Geräts nötige Durststrecke überbrückt das Unternehmen mit Hilfe eines rührigen Merchandisings, einer finanziellen Beteiligung voraussichtlicher Kunden wie Siemens und ABB, durch den vorbörslichen Verkauf von Anteilsscheinen sowie mit öffentlicher Förderung.

So übernehmen der Bund, das Land Brandenburg und der Kreis Dahme-Spreewald die Hälfte der 155 Millionen Mark schweren Investition in den Bau eines Airship Development Center (ADC) sowie einer 360 Meter langen und 107 Meter hohen Werfthalle. Standort für das Entwicklungszentrum sowie die Produktions- und Wartungsanlage ist ein ehemaliger russischer Militärflughafen in Briesen-Brand, 60 Kilometer südlich von Berlin.

Ab Mitte dieses Jahres soll auch die Informationszentrale des Unternehmens "auf dem Brand" residieren. Einer der knapp 100 über das Gelände verteilten Flugzeugbunker wird das Rechenzentrum beherbergen - insgesamt etwa zwei Dutzend Server aus der "Netfinitiy"- und der "RS/6000"-Familie von IBM.

Das Luftschiff-Entwicklungszentrum ist bereits in Betrieb. Die Werfthalle wird voraussichtlich im Herbst dieses Jahres fertiggestellt. Mit Hilfe einer Webcam lässt sich der Baufortschritt auf der Homepage der Cargolifter AG verfolgen.

Kommunikations- und Informationstechnik spielten schon beim Aufbau des Unternehmens eine große Rolle. Da Cargolifter 1996 quasi als eine über ganz Deutschland verteilte virtuelle Firma startete, waren ein stabiles Computer- und Mobilfunknetz unabdingbar, erläutert Andreas Moder, Geschäftsführer der rechtlich selbständigen Cargolifter Communications GmbH. Dort sorgen derzeit 25 Mitarbeiter dafür, dass die Startup-Company über eine funktionierende informationstechnische Infrastruktur verfügt.

Als IT-Partner der ersten Stunde bot sich die IBM an. Sie liefert nicht nur die Server, sondern auch das CAD-System "Catia" und den "Virtual Product Manager". Schon beim Entwurf des um den Faktor acht verkleinerten Experimental-Luftschiffes "Joey" durften die beiden Softwareprodukte ihre Funktionalität beweisen. Und beim Design des für 2001 in Aussicht gestellten Prototypen nutzen die derzeit 125 Luftschiff-Entwickler dieselben Systeme.

Darüber hinaus hat IBM auch die Einführung der betrieblichen Standardsoftware übernommen. Hier geht Cargolifter den konventionellen Weg, entschied sich also für die Software des Marktführers SAP.

Neben IBM pflegt Cargolifter auch langjährige Beziehungen zum Netzservice-Anbieter E-Plus. Er liefert nicht nur die Mobiltelefone, sondern kümmert sich auch um die drahtlose Vernetzung der 200 Mitarbeiter, die immer noch auf vier Standorte verteilt sind. Der Kommunikationsspezialist Cisco Systems ergänzt das Anbieterduo neuerdings zum Trio.

Mit allen drei Partnern hat der Cargolifter-Communications-Geschäftsführer und Chief Information Officer (CIO) Moder kürzlich - durchaus publikumswirksam - ein "Letter of Intent" unterzeichnet. Im Falle der IBM beziehen sich die Abmachungen unter anderem auf gemeinsame Marketing-Aktivitäten. Daneben verpflichtete sich der Branchengigant aber auch, Cargolifter beim Aufbau einer E-Commerce-Umgebung unter die Arme zu greifen. Erstes Ergebnis dieser Kooperation ist ein Informationssystem für die Cargolifter-Kunden. Welche Kunden? - "Die Produkte, die wir derzeit vermarkten, sind vor allem unsere Aktien", erläutert IT-Manager Armin Heun.

Einen konkreten Kostenvorteil zieht Cargolifter aus dem Abkommen mit E-Plus. Der Netzbetreiber wird auf dem Dach der gigantischen Werfthalle eine Funkzelle errichten. Als Gegenleistung braucht Cargolifter für die interne Funktelefon-Kommunikation keinen Pfennig zu zahlen.

Daneben spielt Cargolifter den Pilotkunden für eine neue E-Plus-Technik. Sie manifestiert sich in einer PC-Karte für den Hochgeschwindigkeits-Datentransfer: Unter der Bezeichnung "Highspeed Mobile Data" will E-Plus spätestens im Sommer dieses Jahres Transferraten von 56 Kilobit pro Sekunde anbieten.

Aufgrund der großen Entfernungen auf dem ehemaligen Militärflughafen ist mobile Kommunikation in vielen Fällen die einzig praktikable Lösung. Die Büros sollen jedoch verkabelt werden - allerdings nur einmal: Zur Daten- und Sprachübertragung wird ein gemeinsames TCP/IP-Netz dienen. "Voice over IP" heißt die Technik, mit der sich über das Internet-Protokoll telefonieren lässt. Der Kommunikationsbaustein-Anbieter Cisco Systems wird Cargolifter dabei helfen, sie zu nutzen.

Cisco will für den künftigen Logistikanbieter eine "Architecture for Voice, Video and Integrated Data", kurz Avvid, aufbauen, mit der sich neben Telefongesprächen und E-Mails auch komplexe Dateien, beispielsweise Audiostreams oder bewegte Bilder, übertragen lassen. Das Einsparungspotenzial gegenüber einer üblichen Infrastruktur beläuft sich laut Cargolifter auf 20 Prozent.

Last, but not least hat das Unternehmen mit seinen drei Partnern ein Projekt gestartet, das heute noch wie Science-Fiction anmutet. Es nennt sich "Pervasive Computers" und zielt darauf, die Kommunikation bei der Montage und Wartung des "CL 160" genannten Luftschiffs zu erleichtern.

Die Konstrukteure bewegen sich oft in großer Höhe und weiter Entfernung vom Server-Zentrum. Zudem müssen sie für ihre Arbeit beide Hände frei haben. Deshalb schwebt den Projektpartnern ein Frontend-System vor, das sich quasi anziehen lässt: Den über Funk mit dem Cargolifter-Netz verbundenen Computer schnallt sich der Anwender auf den Rücken; das Display trägt er am Handgelenk; für die Eingabe nutzt er seine Stimme. So kann er auch unter extremen Umständen die nötigen Daten abrufen. "Noch ist das zwar Zukunftsmusik", räumt Chefinformatiker Moder ein, "aber morgen wird es bereits Realität sein - wie der Cargolifter."