ISDNWie kommen Anwendung und ISDN zusammen?

CAPI: Geschichte eines unauffälligen Erfolgs

11.10.1996

Um möglichst schnell zu marktgerechten, akzeptanzfähigen ISDN- Produkten zu kommen, mußte eine Basis geschaffen werden, die auf einfache Weise die Anpassung bereits existierender Anwendungen (Datenübertragung im weitesten Sinne) für die Nutzung des neuen ISDN sowie die Realisierung neuer Anwendungen für eine Vielzahl von Einsatzbereichen erlaubt. Eine standardisierte Schnittstelle erschien als die sinnvollste Lösung, um die Entwicklung des ISDN- Marktes voranzutreiben.

Eine Reihe von ISDN-Anbietern im deutschen Markt tat sich mit der Telekom zusammen, um einen allgemeingültigen Standard für die Kommunikation zwischen ISDN-Hardware und -Software zu erarbeiten. In den Jahren 1989 und 1990, als diese Spezifikation erarbeitet wurde, war das ISDN praktisch nur in Deutschland und in den Niederlanden verfügbar, und es gab nur das 1TR6 als D-Kanal- Protokoll. Ein einheitlicher europäischer Protokollstandard war nicht in Sicht, und in den meisten Nachbarländern war man noch weit entfernt von einer allgemeinen ISDN-Verfügbarkeit.

Der neu formierte CAPI-Arbeitskreis sah sich also dem Dilemma gegenüber, entweder zunächst eine rein deutsche Standardisierung zu vereinbaren oder zu versuchen, eine europäische Standardisierung zu erreichen und damit unabsehbare Verzögerungen bei der Verabschiedung und, als Konsequenz, für die Entwicklung des deutschen ISDN-Marktes in Kauf zu nehmen. Man entschied sich für ersteres, was aus heutiger Sicht - trotz aller anfänglicher Restriktionen des CAPI - ohne Zweifel der richtige Schritt war, um möglichst schnell marktfähige ISDN-Produkte und -Anwendungen zu haben.

Das CAPI 1.1, das im September 1990 verabschiedet wurde, hat sich sehr schnell zu einem akzeptierten Standard entwickelt. Obwohl zunächst nur Brancheninsidern und besonders innovationsfreudigen Anwendern bekannt, wurde die "CAPI-Kompatibilität" schon bald zu einem kaufentscheidenden Produktmerkmal. Erstmals war es möglich, eine herstellerunabhängige offene Systemarchitektur auf Basis des CAPI zu realisieren.

Die Einbettung von CAPI in die sieben Schichten des OSI- Kommunikationsmodells sorgte zudem dafür, daß die Aufgabenverteilung zwischen "oberhalb" und "unterhalb" des CAPI von Anfang an klar war.

Als erster handhabbarer Schnittstellen-Standard für ISDN- Anwendungen und -Hardware war CAPI 1.1 von essentieller Bedeutung für die Entwicklung eines lebendigen ISDN-Marktes. Das Interface definiert klar, wie zum Beispiel ein einzelner Dienst anzuwählen ist oder welche Protokolle mit welchen Parametern auf OSI-Ebene 2 (zum Beispiel X.75 oder HDLC) und auf Ebene 3 (zum Beispiel ISO 8208 oder T70NL) benutzt werden dürfen und wie die Nutzung eines der erlaubten Protokolle zwischen den Kommunikationspartnern vereinbart wird. Syntax und Semantik sind so angelegt, daß Erweiterungen des Standards oder auch herstellerspezifische Ergänzungen kompatibel in die Kommando- und Message-Struktur eingebettet werden können. Damit war eine flexible Basis für unterschiedlichste Anwendungsfunktionen geschaffen.

Fixierung auf das D-Kanal-Protokoll

Einer der wichtigsten Pluspunkte von CAPI 1.1 - ihre frühe Verfügbarkeit - war zugleich Ursache für eine Reihe von Schwächen: Aus der ausschließlichen Fixierung auf das D-Kanal-Protokoll 1TR6 und das damals weitaus am häufigsten genutzte Betriebssystem MS- DOS ergeben sich gravierende Einschränkungen in der Nutzbarkeit von CAPI 1.1. Weiterhin haben die Bemühungen, einen möglichst offenen, zum OSI-Modell konformen Standard zu schaffen, auf der anderen Seite dazu geführt, daß sich die Handhabung der CAPI- Funktionen zum Teil als sehr umständlich erweist.

Zudem krankt CAPI 1.1 an demselben Leiden wie viele Standards im Bereich der Kommunikationsprotokolle: In der Absicht, eine möglichst breite, nach allen Seiten hin offene Plattform zu schaffen, mußte sich der Arbeitskreis zwangsläufig auf eine überschaubare Menge von grundlegenden Funktionen beschränken, so daß eine Reihe von ISDN-Anwendungen, die sich später als hochinteressant für die Benutzer herausstellen sollten (zum Beispiel Fax G3), von vornherein nicht in CAPI-kompatibler Weise zu implementieren waren.

Zusätzliche Leistungsmerkmale

Daraus ergab sich, daß in erster Linie die klassischen ISDN- Telematik-Anwendungen wie zum Beispiel Euro-File-Transfer, Fax G4 oder auch Bildschirmtext als reine CAPI-Anwendungen implementiert wurden, während für weitergehende Funktionen häufig herstellerspezifische Erweiterungen definiert und realisiert wurden.

Der Prozeß der Erweiterungen entwickelte sich in der Branche mit rasch zunehmender Dynamik und sorgte für vielfältige Anwendungslösungen. Allen herstellerspezifischen Ergänzungen ist gemeinsam, daß normale CAPI-1.1-Applikationen nutzbar sind, mit speziell angepaßter Software jedoch zusätzliche Leistungsmerkmale erschlossen werden können. Damit war keine 100prozentige Kompatibilität mehr zwischen Lösungen unterschiedlicher Hersteller gegeben. Es wurde jedoch überwiegend akzeptiert, daß die offene Kommunikation eben nur bei Beschränkung auf die CAPI- Basisfunktionalität möglich ist.

CAPI 2.0, das im Februar 1994 als Standard veröffentlicht wurde, reflektiert die fünfjährige Erfahrung des deutschen und der europäischen ISDN-Märkte. Viele Schwächen und Restriktionen des CAPI 1.1 wurden behoben, so daß CAPI 2.0 heute eine vielseitig einsetzbare, fundierte Schnittstelle ist, die ihre Kinderkrankheiten hinter sich hat.

Daß CAPI 2.0 heute eine gewisse Reife hat und die Erfahrungen einer ganzen Branche mit fünf Jahren CAPI-Anwendung reflektiert, ist wohl der entscheidende Vorteil dieses Konzeptes gegenüber anderen ISDN-Schnittstellen, die in den letzten beiden Jahren publiziert worden sind. So ist zum Beispiel der konkurrierende Standard PCI, der auf dem "European ISDN Users Forum" im Oktober 1994 in London vorgestellt wurde, trotz starker politisch begründeter Protektion seitens France Télécom heute praktisch bedeutungslos in Europa und den USA, selbst in Frankreich ist die Zahl der PCI-Anwender sehr überschaubar. Besonderes Augenmerk verdienen eher neuere Ansätze mächtiger Anbieter wie zum Beispiel Microsofts "NDIS-WAN-Miniport Interface", das eine einfache Integration von ISDN-Karten unter Windows 95 und Windows NT ermöglicht.

Aber auch eine von Microsoft propagierte Schnittstelle wird erst dann signifikante Bedeutung im Markt erlangen, wenn eine Vielzahl von Applikationen zur Verfügung steht. Diesbezüglich hat CAPI in seinen Ausprägungen 1.1 und 2.0 einen klaren Vorsprung: Zusätzlich zu den Hunderten von CAPI-1.1-Anwendungen, die sich bester Akzeptanz erfreuen, sind in den letzten Monaten auch viele CAPI- 2.0-Applikationen entstanden.

Heute ist die Schnittstelle so akzeptiert, daß auch wichtige US- Hersteller CAPI in eigene Produkte integrieren.

Die Erweiterungen im Release 2.0 lassen sich im wesentlichen zwei Kategorien zuordnen: funktionale Ergänzungen und die Unterstützung weiterer Betriebssysteme. Im funktionalen Bereich sind lange geforderte Features eingeführt worden. Die wichtigsten sind Unterstützung von Fax G3 und Bildtelefonie, Kanalbündelung, mehrere logische Verbindungen auf einem physikalischen Kanal sowie die Möglichkeit, sowohl mehrere Applikationen als auch mehrere ISDN-Karten zu nutzen. Was den zweiten Bereich betrifft, definiert CAPI 2.0 jetzt Betriebssystem-unabhängige Meldungen sowie einen Betriebssystem-abhängigen Austauschmechanismus für die Meldungen, um die optimale Einbettung in die konzeptionell völlig unterschiedlichen Betriebssysteme MS-DOS, Windows, OS/2, Unix und Netware zu gewährleisten.

Leider hat CAPI 2.0 auch einen Schwachpunkt, der gerade während der Übergangszeit zwischen CAPI-1.1- und CAPI-2.0-Applikationen besonders gravierend ist: Die neue Variante ist zur älteren nicht abwärtskompatibel. Daher ist es besonders aufwendig, beide CAPIs auf demselben System zu unterstützen: Beim Einsatz von passiven ISDN-Karten ist der Speicherbedarf auf dem PC zur Bearbeitung beider Schnittstellen sehr hoch, bei aktiven Karten wird entsprechend mehr Speicher auf den Karten selbst benötigt. Darüber hinaus werden koexistierende CAPIs auch nicht von allen Herstellern angeboten.

CAPI unter Windows 95

Um eine optimale Einbettung von CAPI in das Betriebssystem Windows 95 zu erreichen, wurde mit Unterstützung von Microsoft das CAPI- Subsystem realisiert, das auf dem Konzept der Virtual Device Driver (VxD) basiert. Ein Windows-95-VxD sorgt dafür, daß eine Windows-Systemressource - auch wenn sie nur einmal im System vorhanden ist - für mehrere Anwendungen gleichzeitig nutzbar ist, indem jeder Anwendung diese Ressource virtuell exklusiv bereitgestellt wird. Mit dem CAPI-Subsystem steht ein 32-Bit- Protected-Mode-Driver auch für den ISDN-Zugang zur Verfügung, der die ISDN-Karte(n) als Windows-Systemressource(n) verwaltet und die volle Flexibilität bietet: Eine oder mehrere Anwendungen arbeiten mit einer oder mehreren Karten.

Das Subsystem ist so angelegt, daß verschiedene Arten von Anwendungen, vom simplen DOS-Programm bis zur 32-Bit-Windows- Applikation, mit Hilfe dieser Komponente auf die ISDN-Karte(n) zugreifen können. Für die ISDN-Karten ist jeweils nur ein herstellerspezifischer Treiber erforderlich, die Umsetzung der verschiedenen Interfaces wird vom Subsystem geleistet. Damit stellt es eine Homogenisierungsinstanz zwischen unterschiedlichen Anwendungen auf der einen Seite und unterschiedlichen ISDN-Karten auf der anderen Seite zur Verfügung. Eine Anpassung einzelner Applikationen an bestimmte Karten ist nicht mehr erforderlich.

Das Interface ist Bestandteil des Produktes "ISDN für Windows 95", das von dem Berliner Softwarehaus Acotec entwickelt worden ist. Die Definition der ISDN-Schnittstelle läßt Spielraum für weitere Ergänzungen, und ihre Positionierung innerhalb des OSI-Modells erlaubt die einfache Unterstützung anderer Interfaces mittels CAPI-Umsetzern, ohne daß völlig neue Treiber für die ISDN-Karten entwickelt werden müssen.

ANGEKLICKT

Wenn auch amerikanische Hersteller wie Novell und Microsoft europäische Standards in ihre Produkte integrieren, dann ist die größte Durststrecke bei der Entwicklung der betreffenden Technologie überwunden. CAPI (Common Application Programming Interface) hat diesen Test bestanden. Doch hat die ISDN- Anwendungs-Schnittstelle auch Schwächen: Ihre implementierten, teils unterschiedlichen Versionen können noch nicht immer koexistieren.

*Renate Stücka ist Leiterin Produkt-Management und -Marketing der ITK Telekommunikation AG in Dortmund.