Thema der Woche/Client-Server-Architektur ist dreistufig

Call-Center sichert den Service der Advance Bank

14.06.1996

Als in der Chefetage der Vereinsbank zu Beginn der 90er Jahre die Weichen für die Zukunft gestellt werden sollten, kristallisierten sich rasch zwei Hauptprobleme heraus: Das Kundenprofil war gegenüber dem Bevölkerungsdurchschnitt überaltert, und die Bank besaß nur im Norden und Süden Deutschlands punktuell ein ausreichend dichtes Filialnetz. In dem Aufbau einer Direktbank sah man die Lösung aller Probleme. Man hoffte, ohne die kostenaufwendige Gründung neuer Filialen eine jüngere und zahlungskräftige Zielgruppe erreichen zu können. Volker Visser, Mitglied der Geschäftsführung der AB, beziffert die Kosten, die ein weiterer Ausbau des Vereinsbank-Filialnetzes verursacht hätte: "Die Einrichtung einer neuen Filiale kostet je nach Lage und Größe zwischen einer und drei Millionen Mark."

Windows NT, HP-UX und MVS/CICS als Basis

Nachdem die Entscheidung gefallen war, begab sich das damals noch kleine Team der AB auf die Suche nach Partnern. In einer ersten strategischen Studie zusammen mit der Unternehmensberatung Bain & Company kristallisierte sich Andersen Consulting als Anbieter heraus, der bereits Erfahrung aus ähnlichen Projekten mitbrachte. Zudem verfügt Andersen mit "Foundation for Cooperative Processing" (FCP) über das geeignete Entwicklungstool samt Repository und Message-basierter Middleware. Michael Sauter, Manager bei Andersen, nennt auch die guten Beziehungen zur AB-Mutter Vereinsbank als entscheidend: "Wie waren bereits jahrelang mit Foundation beim Mutterhaus. Und wir haben schon vorher Call- Center-Projekte in den Vereinigten Staaten gemacht".

Das Team der AB entschied sich gemeinsam mit dem Dienstleister für eine dreistufige Client-Server-Architektur und das Outsourcing des Mainframe-Betriebs, beides war in den USA erfolgreich erprobt worden. Die Zentrale des Systems ist das Call-Center in München- Neuperlach, in dem die Anrufe der Kunden eingehen. Insgesamt 160 Kundenberater, speziell geschulte Bankkaufleute, arbeiten an Workstations unter Windows NT und mit Headsets für die Telefoniefunktionen. Einige speziellere Anwendungen, vor allem im Back-Office-Bereich, erfordern derzeit noch eine 3270-Emulation. Die nächste Client-Server-Stufe bilden zwei als "Front-end-Server" bezeichnete HP-9000-Rechner, die unter HP-UX geclustert sind. Diese dienen als Kern des Münchner Rechenzentrums, dessen Operating von der AB an AT&T vergeben wurde. Die dritte Stufe schließlich bildet ein IBM-Mainframe unter MVS/CICS, der im IBB- Rechenzentrum in Schweinfurt, einer 100prozentigen Tochter der IBM, steht. Auf dem Host befinden sich die juristischen Daten (Personendaten und Transaktionsinformationen) in einer DB/2- Datenbank. Der Advance Bank stehen dafür 25 Mips und 80 GB Plattenspeicher zur Verfügung, die Verbindung läuft über eine 2- MBit-Standleitung mit ISDN-Backup.

Die Telefonie-spezifischen Bestandteile des Systems kommen zum größten Teil von AT&T. Die Verteilung der eingehenden Anrufe erfolgt über einen Automatic Call Distributor (ACD), der auf AT&Ts Lösung "PBX" basiert. "Unser Ziel ist es, daß der Kunde spätestens nach dem dritten Klingeln mit einem Berater verbunden ist", berichtet Heinrich Neesen, Leiter der Abteilung Organisation und Informatik bei der AB. Am Telefon identifiziert sich der Anrufer über eine sechsstellige Geheimnummer, von der jeweils per Zufallsgenerator drei Stellen abgefragt werden. Daraufhin stellt die NT-Front-end-Applikation dem Kundenberater alle notwendigen Daten zur Verfügung.

Die Kopplung der Daten an das Telefongespräch und den ACD wird mittels einer speziellen Middleware der AT&T-Tochter Nabnasset realisiert, die auf separaten Computer-Telephone-Integration-( CTI-)Servern läuft. Diese ermöglicht, daß ein Anruf mitsamt den dahinterstehenden Kundeninformationen von einem Berater zum anderen weitergegeben werden kann. Für jeden Kundenberater können zudem spezielle "Skill-sets", Informationen über besondere Kenntnisse, verwaltet werden. Auf diese Weise erreicht ein Kunde stets den für seine Bedürfnisse geeigneten Berater.

Im Falle einer Leitungsüberlastung werden die Anrufe an ein Overflow-Call-Center in Düsseldorf weitergereicht, ein weiteres Call-Center in Wilhelmshaven erledigt hauptsächlich Back-Office- Aufgaben sowie die Kontoeröffnungen. Hier kann auch im Falle eines Ausfalls des Münchner Systems ein Notbetrieb aufrechterhalten werden.

Alle Kundengespräche werden mit einem Atis Assmann Voice Recorder digital aufgezeichnet und archiviert, damit jederzeit der Gesprächsinhalt nachgeprüft werden kann. Auch der gesamte Schriftverkehr wird mit Scannern von Bell & Howell digitalisiert und kann von den Kundenberatern bei Bedarf abgerufen werden.

Sprachcomputer setzt die Ad- vance Bank überhaupt nicht ein. Ekkehard Bellinghausen, Regional Manager Westeuropa für die Foundation-Produkte, meint zu diesem Thema: "Es ist Bestandteil der Servicephilosophie, daß alle Anrufe von einem Menschen und nicht von einem Automaten entgegengenommen werden."

Auf den HP-Servern im Call-Center-Rechenzentrum, die im Normalfall nur die Messages van den Mainframe weiterleiten, läuft eine Oracle "Parallel-Server"-Datenbank, in der die wichtigsten Informationen aus der DB/2-Datenbank jede Nacht repliziert werden. Dies ermöglicht im Falle von Leitungsstörungen und während des nächtlichen Mainframe-Batchlaufs ein Weiterarbeiten der Kundenberater mit praktisch aktuellen Kundendaten. Jede Transaktion wird in einem Transaction Log auf den Front-end- Servern festgehalten, so daß keine Daten verloren gehen können.

14000 Manntage für Systemimplementierung

Die eingesetzte Foundation-Middleware regelt die Kommunikation zwischen Windows NT, den HP-UX-Servern und dem IBM-Mainframe über diverse Netzwerkprotokolle. Dabei sind die für das Routing der Messages zuständigen Einheiten redundant vorhanden, so daß im Falle eines Geräteausfalls die Messages umgeleitet werden. Die Verfügbarkeit des Systems lag seit dem Start bei 99,84 Prozent.

In weniger als zwei Jahren wurde die Systemarchitektur von der ersten Vorstudie bis zum ersten Betriebstag, an dem immerhin schon 3200 Anrufe aufliefen, realisiert. In die eigentliche Implementierung hat Andersen innerhalb von neun Monaten etwa 14000 Manntage investiert. DV-Chef Neesen erinnert sich: "In der Spitzenzeit arbeitete Andersen mit 195 Leuten an dem Projekt." Dabei liefen Bauarbeiten, Programmierung, Schulung und Test unter teilweise abenteuerlichen Bedingungen parallel. Ergebnis ist trotz des knappen Terminplans nach Einschätzung der Beteiligten eine hochskalierbare und fehlertolerante Systemarchitektur. Volker Visser sagt dazu: "Die skalierbare Middleware erlaubt uns, beliebig viele Kundenberater zu ergänzen, ohne daß das System an seine Grenzen stößt." Dennoch will die AB in München zugunsten flacher Hierarchien und eines persönlichen Arbeitsklimas keine weiteren Mitarbeiter einstellen, im Bedarfsfalle soll statt dessen ein weiterer Standort aufgebaut werden.

Dank des offenen Systems lassen sich auch neue Komponenten leicht integrieren. Volker Visser meint dazu: "Wir sind in der Lage, sehr schnell neue Bankprodukte zu entwickeln beziehungsweise einzuführen und über neue Vertriebskanäle, wie das Internet oder "Electronic Kiosks", auf den Markt zu bringen".