Neue Version des Unix-Clones

Caldera will Open Linux zum kommerziellen Durchbruch verhelfen

21.03.1997

Trotz seiner rapide wachsenden Beliebtheit ist Linux der Durchbruch im kommerziellen Umfeld bisher nicht gelungen - mangelnder Support sowie häufige Updates und Patches haben hier wohl viele potentielle Anwender abgeschreckt. Caldera bemüht sich deshalb, den Ein- und Umstieg auf Linux möglichst einfach zu machen. Dazu gehört auch der niedrige Preis, der deutlich unter dem für andere Unix-Derivate und Windows NT liegt.

Um für alle Einsatzmöglichkeiten ein maßgeschneidertes System zu bieten, wird COL in drei verschiedenen Paketen zu haben sein: als Base-Version (die uns zum Test vorlag), als Workstation- und als Server-Version.

Die Base-Version positioniert der Anbieter als leistungsfähiges Desktopsystem mit voller Netzwerkunterstützung und Internet-Anbindung. Zum Lieferumfang gehören unter anderem ein Network-File-System-(NFS-) Client und -Server inklusive eines Automounters, Unterstützung für Server Message Block (SMB) sowie Support für Appleshare und Netware-Clients. Deutsche Anwender werden zudem die integrierte ISDN-Software begrüßen.

COL basiert auf der bekannten LST-Distribution des Erlanger Linux-Teams und dem multiprozessorfähigen, äußerst stabilen Kernel 2.0.25. Wie auch bei anderen Distributionen gehören eine vollständige Entwicklungsumgebung und Treiber für alle gängigen Hardware-Komponenten zum Lieferumfang. Das besondere an COL sind die kommerziellen Bonbons: der Programm-Manager "Looking Glass", Netscapes "Navigator" (leider nur die veraltete Version 2.02), der grafische Editor "Crisp Lite" sowie der durch Bedienungskomfort überzeugende X-Server "Metro-X" von Metro Link. Nicht zu verachten ist außerdem die bei Linux übliche Dreingabe von 400 MB nützlicher, freier Software. Vermißt haben wir lediglich eine Lizenz für Motif. Anwender, die beispielsweise "Star Office" einsetzen möchten, sind zu einem kostenpflichtigen Upgrade gezwungen. Caldera hat allerdings ein Star-Office-Bundle angekündigt.

Als Zugabe enthält das Caldera-System außerdem eine "Solutions CD", auf der sich eine Fülle kommerzieller Softwarepakete für Linux befindet. Diese kann mit einem anzufordernden Lizenz-Schlüssel freigeschaltet werden. Mit von der Partie sind dort bespielsweise "Adabas D", "Corel Draw 3.5" und "Wordperfect". Diese Applikationen laufen auch unter jeder anderen Linux-Distribution. Die Solutions CD macht Skeptikern deutlich, daß für Linux eine stetig wachsende Zahl professioneller Software zur Verfügung steht.

Die Installation von Open Linux ist relativ unkompliziert und sollte auch Neulinge vor keine größeren Probleme stellen. Im Unterschied zur Vorgänger-Version wurde leider auf die Beigabe einer Boot-Diskette verzichtet. Diese muß der Anwender nun anhand der mitgelieferten Beschreibung von Hand erzeugen. Ist das CD-ROM-Laufwerk bootfähig, läßt sich COL auch direkt von der CD booten und installieren.

Open Linux verwendet einen generischen Kernel, der nach einem meist gut funktionierenden Autoprobing die korrekten Hardware-Treiber dynamisch als Module dazulädt. Dies erspart dem Benutzer das Auswählen eines für seinen Rechner passenden Bootkernels, kann jedoch - wie sich in unserem Test mit einer SCSI-Konfiguration herausstellte - auch eine Fehlerquelle sein und Linux-Unerfahrenen größeres Kopfzerbrechen bereiten. Leider fehlte in dem sonst sehr brauchbaren Installationshandbuch ein Hinweis darauf, daß und wie ein auf das eigene System zugeschnitter Kernel kompiliert werden kann.

Das Installationsprogramm "Lisa" (Linux Installation and System Administration, das später auch der Systemverwaltung dient) führt den Benutzer sicher durch alle notwendigen Installationsschritte bis hin zur Netzkonfiguration. Ein übersichtlicher Paket-Manager erlaubt die individuelle Auswahl der zu installierenden Software. Abschließend wird das X-Window-System mit wenigen Mausklicks an Monitor, Grafikkarte und Maus angepaßt. Die grafische Oberfläche hat den GNU Fine Virtual Window Manager (FVWM-2) zur Grundlage, auf den der kommerzielle Desktop Looking Glass aufsetzt. Letzter beherrscht Programm- und Datei-Management in Drag-and-Drop-Manier, was wahrscheinlich eher Windows-Umsteiger als Unix-Erfahrene anspricht. Die Oberfläche ist komplett vorkonfiguriert, sämtliche installierte Programme können sofort über die Popup-Menüs gestartet werden. Während es bisher Aufgabe des Anwenders war, die Konfiguration des Window Managers manuell über Steuerdateien vorzunehmen, können nun die wichtigsten Parameter per Mausklick eingestellt werden. Wie gewohnt läßt sich die Bildschirmauflösung - Windows-User aufgepaßt! - jederzeit mit einer Tastenkombination ohne Neustart des Systems ändern.

Vor allem Einsteigern kommt ein vollständiges Hilfesystem entgegen. Es besteht aus den üblichen Manual-Pages sowie Handbüchern und "Howtos" im HTML-Format.

Fazit: Caldera Open Linux Base bietet ein komplettes Betriebssystem inklusive vollständiger Netzanbindung, komfortabler Administration, kommerziellen Programmen sowie Support. Es muß daher auch den Vergleich mit den großen Unix-Brüdern wie Solaris oder HP-UX nicht scheuen. Support für eine Linux-Distribution ist aber nicht neu: Diesen gibt es zum Beispiel auch für die sehr empfehlenswerte Suse-Distribution, noch dazu preiswerter. Wer jedoch bei zentralen Softwarekomponenten auf kommerzielle Produkte setzen will und einen grafischen Programm-Manager benötigt, ist mit COL gut beraten. Vor allem für Ein- und Umsteiger ist COL aufgrund der einfachen Installation und Konfiguration eine Alternative. Für den professionellen Einsatz im Serverbereich interessant dürfte Open Linux erst mit Erscheinen von COL Workstation und COL Server werden. Hier gilt es, den Internet-, Intranet- und Applikationsservern auf Basis von Windows NT und den diversen Unix-PC-Varianten sowie Unix-Workstation-Systemen Paroli zu bieten. Das sollte vor allem wegen des guten Preis-Leistungsverhältnisses gelingen.

*Andrej Radonic ist bei der Kölner Textware GmbH für Anwendungs- und Intranet-Entwicklung zuständig.